Justiz

Mutmaßlicher Spion Egisto Ott enthaftet

Das Wiener Oberlandesgericht sieht keine Tatbegehungsgefahr bei Ex-Verfassungsschützer Ott und gab seiner Haftbeschwerde Folge.

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Der Spionage-Krimi um den österreichischen Verfassungsschutz nahm heute eine überraschende Wendung: Fast drei Monate saß der frühere Staatsschützer Egisto Ott in U-Haft, er steht im Verdacht, Daten aus dem Innersten der österreichischen Sicherheitsbehörden an russische Dienste weitergereicht zu haben. Heute spazierte der mutmaßliche Spion aus der Justizanstalt Josefstadt und ist zumindest vorerst ein freier Mann. Denn das Oberlandesgericht (OLG) Wien gab einer Haftbeschwerde des ehemaligen Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Folge und ordnete die Enthaftung Otts an.

Das OLG begründete seine Entscheidung in einer Pressemitteilung damit, dass zwar der dringende Tatverdacht weitgehend bestünde, aber der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nicht gegeben sei. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte nach einer früheren Untersuchungshaft Anfang des Jahres 2021 weitere Straftaten verübt hat. Die Fakten, auf die sich der dringende Tatverdacht bezieht, liegen vor der seinerzeit verhängten Untersuchungshaft, hieß es in der Medienerklärung.

Ott weiter im Visier der Ermittler

Die Enthaftung ist zwar ein Etappensieg für Ott, doch die Justiz wird sich weiter mit seinen Aktivitäten beschäftigen.

Gegen Ott ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien seit 2017. Laut profil vorliegenden Akten steht Ott im Verdacht „schon im Zeitraum von Juli 2017 bis März 2021 in Wien als ehemaliger BVT Beamter (und danach als Polizeibeamter) zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst der russischen Föderation dadurch unterstützt zu haben, dass er systematisch nicht für die Öffentlichkeit bestimmte geheime Tatsachen und Erkenntnisse sowie personenbezogene Daten aus polizeilichen Datenbanken zum Zweck der Übermittlung an Jan Marsalek (Anm.: flüchtiger Ex-Wirecard-Chef mit Geheimdienstkontakten) und an unbekannte Vertreter der russischen Behörden sammelte, indem er unter wahrheitswidriger Vorgabe eines dienstlichen Bezugs als Mitarbeiter des BVT und der SIAK/ZIA (Anmerkung: Sicherheitsakademie, Ott war dort ab seinem Ausscheiden im BVT 2017 tätig) sowie als suspendierter Polizeibeamter teils unter wissentlichem Missbrauch seiner hoheitlichen Befugnisse nicht öffentliche personenbezogene Informationen zu vorwiegend russischen Staatsangehörigen aus nationalen behördlichen personenbezogenen Datenbanken sowie im Rechtshilfeweg von italienischen und britischen Polizeibehörden einholte, an deren Gewinnung die russische Föderation und deren Nachrichtendienst ein Interesse hatte.“ 

Otts Festnahme Ende März waren Informationen vorangegangen, dieser habe Diensthandys von drei damaligen Kabinettsmitarbeitern des seinerzeitigen Innenministers Wolfgang Sobotka (ÖVP) dem russischen Inlandsgeheimdienst übergeben. Auf den Handys der drei Spitzenbeamten sollen sich jedenfalls Amtsgeheimnisse, aber keine speziell klassifizierten Dokumente befunden haben.

Die Geräte waren bei einem Bootsausflug des Innenministeriums am 10. Juli 2017 ins Wasser gefallen, als ein Kanu kenterte. In weiterer Folge wurden sie zur Datenrettung ins BVT gebracht, wobei ein Forensiker zuerst eine Trocknung mit Reiskörnern vornahm. Offenbar wurde sogar versucht, einen Spezialisten aus Israel beizuziehen, um die Daten der durchnässten Handys auslesen zu können, was an dessen finanziellen Forderungen scheiterten.

Die List der mutmaßlichen Maulwürfe

Ott und der Forensiker - gegen diesen ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien wegen Veruntreuung - sollen in weiterer Folge den damaligen Sobotka-Mitarbeitern vorgemacht haben, ihre Handys wären unbrauchbar, die Daten unrettbar verloren und sie würden die Geräte daher der Vernichtung zuführen. Während bei zwei Handys vermutlich kein Zugriff auf die abgespeicherten Daten mehr möglich war, dürfte das beim dritten Gerät aber zumindest in Teilen gelungen sein. Dafür spricht ein USB-Stick, der im Februar 2021 bei einem Ex-Polizisten und Unternehmer im Zuge einer Hausdurchsuchung sichergestellt werden konnte. Der Ex-Polizist behauptet, Ott habe ihm den USB-Stick im September 2019 in der Therme Oberlaa übergeben. Auf dem USB-Stick fand sich ein vollständiger Extraktionsbericht über die forensische Datensicherung eines Mobiltelefons, das auf Grund der gesicherten Kontakte und Chats einem der drei betroffenen früheren Sobotka-Mitarbeiter zuordenbar war.

Ott bestreitet, mit der Beschaffung der Handys etwas zu tun gehabt und diese weitergegeben zu haben. Die Handys seien ihm "in einem Kuvert in den Briefkasten in meiner Wiener Wohnung gelegt" worden, gab er nach seiner Festnahme am 30. März in seiner Beschuldigteneinvernahme zu Protokoll: "Von wem ist mir nicht bekannt. Zum Vorhalt, dass diese drei Telefone über mich (...) nach Russland verbracht wurden, bestreite ich. Diese drei Telefone habe ich irgendwann zuhause in Kärnten physisch vernichtet, sprich mit dem Fäustel zerschlagen. Danach habe ich sie in der Mülltonne entsorgt."

Spionage für Russland?

Der frühere BVT-Chefinspektor wird weiters verdächtigt, auch einen SINA-Laptop mit möglicherweise brisantem Datenmaterial dem russischen Geheimdienst verkauft zu haben. Das Gerät soll am 19. November 2022 in Wien mit falschen Pässen ausgestatteten Männern, die vermutlich dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB zuzurechnen waren, übergeben und über Istanbul nach Moskau zum Sitz des FSB gebracht worden sein. Den Deal eingefädelt haben soll Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der mittlerweile für den russischen Geheimdienst tätig sein soll. Für den Laptop sollen im Herbst 2022 20.000 Euro bezahlt worden sein, wobei Marsalek das Geld von "laundry guys" (Geldwäscheleuten, Anm.) von Berlin nach Wien bringen ließ, wie sich aus Chats ergibt, die Marsalek mit einem inzwischen in London inhaftierten bulgarischen Geschäftsmann führte, der eine mehrköpfige, für Russland operierende Spionage-Zelle angeführt haben soll. Auf dem nach Russland transferierten Laptop dürften sich der Geheimhaltung unterliegende Daten eines EU-Staates befunden haben, ergibt sich aus dem Ermittlungsakt.

Was mit den nunmehr entdeckten SINA-Laptops, die kriminaltechnisch untersucht werden, geplant war, ist unklar. Ott soll mittlerweile gestanden haben, er wisse von insgesamt fünf SINA-Laptops, wobei sich einer "im Ausland, aber nicht in Russland" befinde. Einen hätte "einer seiner Mitarbeiter", einen weiteren "ein Journalist in Österreich". Für Egisto Ott gilt die Unschuldsvermutung.