Fehlgeburt, Totgeburt, Sternenkind: Was betroffene Frauen fordern
Man muss den Tod nicht umschreiben. Bernadette Kohlweis, 34, findet es wichtig, das Erlebte klar zu benennen. Wenn sie von ihren Erfahrungen erzählt, nennt sie den Namen ihres verstorbenen Sohnes, Maximilian. Wenn Betroffene zu ihr in die Beratungsstelle kommen, sagt sie zu ihnen: Ihr Kind ist tot, es ist gestorben.
Die Gesellschaft tut sich mit dieser Realität oft schwer, das Gesetz teilt den Tod in strikte Kategorien ein. Totgeburten werden Kinder genannt, die spätestens während der Geburt sterben und mehr als 500 Gramm wiegen. Ist das Gewicht geringer, gilt es juristisch als Fehlgeburt. Betroffene lehnen die Bezeichnung ab, es klingt nach Fehler, als hätte die Mutter etwas falsch gemacht. Die Gramm-Grenze entscheidet auch über die Rechte der Frau: Ob sie in Mutterschutz geht oder ob die Krankenkasse die Hebamme bezahlt. Selbst statistisch werden nur Totgeburten ab 500 Gramm erfasst, im Vorjahr waren es 282.
Den Tod, die Trauer, die Tragweite dieser Regeln kennt Bernadette Kohlweis aus eigener Erfahrung. Sie hat einen Weg gefunden, damit zu leben. Jetzt hilft sie anderen. „Was mich antreibt, ist, dass es anderen Frauen und Familien nicht wie mir ergehen soll.“
Vor der Hoffnung war der Schmerz, und Bernadette Kohlweis ist bereit, darüber zu sprechen. Es war ihre zweite Schwangerschaft, 16. bis 18. Woche, als sie erfuhr: „Mein Sohn, der Maximilian, lag nicht in der Gebärmutter, sondern hatte sich in der Kaiserschnittnarbe eingenistet.“ Er war lebensfähig, sie wäre aber gestorben, wenn sie die Schwangerschaft fortgesetzt hätte. Bernadette Kohlweis bekommt Tabletten für einen Abbruch, später vier Spritzen mit Methotrexat. Einen Tag vor Weihnachten ist Maximilian tot, bleibt aber im Bauch. „Fast vier Monate lang habe ich ihn so in mir getragen.“ Selbst als Wehen eingeleitet werden und auch, als sie noch einmal Tabletten für den Abbruch nimmt. Am Ende führen die Ärztinnen und Ärzte eine Operation durch. „Danach habe ich nachgefragt, wo mein totes Kind hingekommen ist, und sie haben mir geantwortet: ‚Medizinischer Abfall.‘“
Diese zwei Wörter beschäftigen Kohlweis auch heute noch, vier Jahre später. Sie stehen für die Kälte, die sie erfährt. Am Papier war der Eingriff erfolgreich, trotz vieler Komplikationen. Aber eigentlich hat Kohlweis einen Sohn verloren. Warum verhielten sich dann alle so, als wäre das nicht passiert, fragt sie?
Niemand hatte gefragt, sagt Bernadette Kohlweis, ob sie psychologische Hilfe braucht. Dabei hätte sie, sehr dringend sogar. Ihr selbst war das nicht von Beginn an klar. Ihr Leben ging, organisatorisch zumindest, weiter wie bisher. Zeit zu erholen, körperlich wie psychisch, nahm sie sich nicht. „Ich habe weiter rotiert und arbeiten müssen, weil mein Mann studiert hat und ich Alleinerhalterin war.“ Auch die nächste Schwangerschaft verläuft ähnlich. Erst danach kommt ihr viertes Kind zur Welt – gesund und lebendig. „Ich habe Vertrauen in mich und meinen Körper gehabt, das hat mich gerettet.“
Ihre eigenen Erfahrungen stehen für all das, wovor Bernadette Kohlweis andere schützen möchte. Das soll keiner anderen Frau, keiner anderen Familie passieren. Sie gründet den Verein Wandelstern, eine Anspielung auf die Bezeichnung Sternenkinder, die Hinterbliebene verwenden.
Heute führt sie durch die Räumlichkeiten des Vereins in Klagenfurt: Kohlweis zeigt das Beratungszimmer, die Ecke mit den Kinderbüchern, die Geschwistern den Tod erklären sollen, den Tisch mit Kleidung für Sternenkinder, die Ehrenamtliche gestrickt haben, daneben eine kleine Holzurne. Hier in Kärnten berät und betreut Kohlweis mit ihrer Vereinspartnerin Anita Ogris-Lipitsch Betroffene, die körperliche und psychische Hilfe brauchen.
Seit 2017 Einträge im Personenstandsregister möglich
In Wien kämpfen die beiden für mehr Rechte für sogenannte Sternenmamas. Ogris-Lipitsch war schon einmal erfolgreich. Sie setzte sich mit anderen dafür ein, dass betroffene Eltern ihr Totgeborenes freiwillig in das Personenstandsregister eintragen können, auch wenn es weniger als 500 Gramm wiegt. 2017 wurde die Änderung beschlossen.
Kohlweis und Ogris-Lipitsch haben aber noch andere Forderungen an die Politik, und tatsächlich wird in der Bundesregierung schon darüber verhandelt: „Aktuell laufen Gespräche zwischen allen betroffenen Ministerien, bei denen der Bedarf einer Ausweitung der Schutzbestimmungen diskutiert wird“, heißt es auf profil-Anfrage aus dem Arbeitsministerium von Martin Kocher. Philip Kucher, SPÖ-Klubchef aus Kärnten, hat Teile der Wandelstern-Anliegen auch schon in einen Antrag im Parlament niedergeschrieben: „Insbesondere die Fragen des Mutterschutzes“ und „der kassenfinanzierten Hebammenbetreuung“ sollten dringend diskutiert werden.
Denn rechtlich gelten Fehlgeburten nicht als Entbindung, erklärt das Gesundheitsministerium. Betroffene Frauen können danach zwar zu einer Hebamme, müssen aber selbst dafür bezahlen. Anders als bei Totgeburten über 500 Gramm trägt die Krankenkasse die Kosten nicht. Für Sternenmamas gilt ein Kündigungsschutz von vier Wochen, ein Mutterschutz aber nicht.
Die Hebammenbetreuung, der Mutterschutz, das wäre beides wichtig für Betroffene, glauben die beiden Frauen vom Verein Wandelstern. „Für viele ist die Rückkehr ins Arbeitsleben auch ein Fluchtreflex, aber der Körper macht etwas mit. Oft gibt es Nachblutungen, viele haben eine Woche später plötzlich einen Milcheinschuss“, sagt Ogris-Lipitsch. Auch die Krankschreibung sei nicht immer so einfach zu bekommen, nicht jeder Arzt sei verständnisvoll in so einer Situation. Dabei wäre neben psychologischer Betreuung auch körperliche Rückbildung immens wichtig. „Man muss sich nur vorstellen, was der Körper bei einer Schwangerschaft alles mitmacht. Dann lässt man das Kind gehen und soll wieder voll einsatzfähig sein?“
Ein möglicher Lösungsansatz wäre es, die 500-Gramm-Grenze zu hinterfragen. Für Betroffene wirke sie willkürlich und verletzend, sagen Kohlweis und Ogris-Lipitsch. Vor allem, wenn ein oder zwei Gramm über die Rechte von Frauen entscheiden.
Gramm-Grenze hinterfragen?
Im Gesundheitsministerium von Johannes Rauch, Grüne, steht man einer Änderung „positiv gegenüber“, heißt es auf profil-Anfrage. Allerdings wolle man sie nicht in Österreich allein beschließen: Die Gramm-Regelung sei eine Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation WHO, „die als statistische Größe eine internationale Vergleichbarkeit schafft“, und diese Vergleichbarkeit möchte das Gesundheitsministerium nicht gefährden. Wenn die WHO zustimme, könnte man sich vorstellen, auch Schwangerschaftswochen als Kriterium einzubauen. Dadurch könnten Frauen mehr Rechte zugesprochen werden, wenn sie beispielsweise zumindest in der 23. oder 24. Schwangerschaftswoche sind oder das Kind eben 500 Gramm wiegt.
Diese Koppelung an die Schwangerschaftswochen könnte eine Lösung von heiklen Fragen sein. Frauenpolitisch ist sie ein schmaler Grat: Kämpferinnen für die Selbstbestimmung sind zwar für möglichst viele Ansprüche nach einem Schwangerschaftsverlust. Gleichzeitig sorgen sie sich, dass mühsam erstrittene Rechte auf Schwangerschaftsabbruch angegriffen werden könnten. Jede Änderung könnte eine Gefahr für bisherige Errungenschaften sein.
Skeptisch bei Mutterschutz
Und dann kommen noch verteilte Zuständigkeiten hinzu. Das Gesundheitsministerium teilt sich die Thematik mit dem Arbeitsministerium. Auch dort ist man grundsätzlich gesprächsbereit, gerade in der Frage nach dem Mutterschutz allerdings skeptisch. „Denn Arbeitnehmerinnen, die einem absoluten Beschäftigungsverbot unterliegen, dürfen dann nicht arbeiten, auch wenn sie das gerne möchten. Eine Ausweitung dieses absoluten Beschäftigungsverbots schränkt folglich in gewissem Maße die Wahlfreiheit der Frauen ein.“ NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter fügt noch hinzu, dass dadurch alle Frauen im gebärfähigen Alter als Arbeitnehmerinnen noch unattraktiver scheinen könnten.
Grundsätzlich sprechen sich auf Anfrage von profil alle Parteien für mehr Unterstützung von Sternenmamas aus, vor allem durch psychologische Betreuung.
Bis es – oder falls es – zu einer Einigung kommt, stellen Kohlweis und Ogris-Lipitsch aber noch andere Ansprüche, die keine Gesetzesänderung brauchen. Frauen müssten früher und besser über die Hilfe, die es bereits gibt, informiert werden. Und das Thema dürfe kein Tabu mehr sein. Den Tod klar zu benennen und darüber zu sprechen, das müsse in der Gesellschaft ankommen.