Nach dem letzten Gefecht: Die irre Geschichte der KPÖ
An jenem Märztag 1953, an dem die Welt vom Tod Josef Stalins erfuhr, fiel Elisabeth Spiras Großmutter vor Schreck von der Leiter und brach sich ein Bein. Ihrer gleichgültigen Enkelin warf sie vor: „Du wirst nie eine richtige Kommunistin.“ Die Oma hatte recht.
Die Familie der späteren TV-Journalistin ("Liebesg’schichten & Heiratssachen") ist recht typisch für die Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs im 20. Jahrhundert. Deren Kenntnis ist bei der Einordnung der verblüffenden Wahlergebnisse in Graz und Salzburg überaus hilfreich.
In Salzburg erreichte die KPÖ nun 11,7 Prozent. Ihr bis dahin bestes Ergebnis bei Landtagswahlen waren 8,3 Prozent – in Wien 1954. Vielleicht hätte sogar die 2019 verstorbene Elisabeth "Toni" Spira den jungen Kay-Michael Dankl gewählt, der mit seiner Truppe von den Grünen absprang, um der uralten Tante KPÖ neues Leben einzuhauchen.
Ihr Vater Leopold Spira, Jahrgang 1913, war schon in der Ersten Republik Anhänger der winzigen KPÖ gewesen, er agierte in den 1930er-Jahren im Untergrund gegen die Austrofaschisten und kämpfte auf den Schlachtfeldern des spanischen Bürgerkriegs gegen Franco. 1938 verließ die jüdische Familie Spira Österreich und flüchtete nach Großbritannien. 1942 wurde dort Tochter Elisabeth geboren.
Flucht nach Moskau endete fatal
Viele KP-Aktivisten waren nach Moskau geflohen, für nicht wenige eine fatale Entscheidung. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 lieferte die Sowjetunion zahlreiche deutsche und österreichische Kommunisten der Gestapo aus, darunter KPÖ-Mitbegründer Franz Koritschoner. Sie alle wurden ermordet. Hunderte andere in die Sowjetunion emigrierte Österreicher verschwanden unter absurden Spionage-Vorwürfen in Stalins Lagern.
Die KPÖ-Granden – Ernst Fischer, Johann Koplenig, Friedl Fürnberg – saßen im Moskauer Nomenklatura-Hotel Lux und redeten Stalins Regime schön – auch aus Angst vor der eigenen Verhaftung. Als sich dieser in Schauprozessen der Mitkämpfer aus der Oktoberrevolution entledigte, verteidigten sie sogar das: "Scheußliche Machenschaften" hätten die Prozesse aufgedeckt, heißt es in einem 1937 von Koplenig verfassten Flugblatt, "dieser Abschaum sank von Stufe zu Stufe auf die Bahn des offenen Verrats am Werke Lenins und Stalins".
Die drei Österreicher wurden sofort nach Kriegsende nach Wien geflogen. Koplenig wurde Vizekanzler in der Regierung Renner, Ernst Fischer Unterrichtsminister.
Die österreichischen Genossen hatten ein Handicap: Sie mussten alle Übergriffe der sowjetischen Besatzungsmacht entweder leugnen oder schönreden.
Widerstand gegen NS-Regime
Die im Land verbliebenen Kommunisten hatten in der NS-Zeit heldenhaften Widerstand geleistet, etwa 2000 waren dabei ums Leben gekommen. Umso enttäuschender verliefen für sie im Dezember 1945 die Nationalratswahlen: 5,4 Prozent – angesichts der großen Opfer man hatte sich mehr erwartet. In Frankreich waren die Kommunisten im selben Jahr mit 26 Prozent stärkste Partei geworden, in Italien hatten sie immerhin 19 Prozent erreicht.
Die österreichischen Genossen hatten allerdings ein Handicap: Sie mussten alle Übergriffe der sowjetischen Besatzungsmacht entweder leugnen oder schönreden.
Selbst Menschen, die Stalins Opfer geworden waren, überboten einander in Hymnen auf den Despoten. Von den Schauprozessen gegen KP-Politiker in Prag und Budapest berichtete Anfang der 1950er-Jahre der Journalist Fritz Kunert für das KPÖ-Organ "Volksstimme". Er war selbst jahrelang in Stalins Gulag gesessen.
Die KPÖ machte jede Wendung der sowjetischen Politik mit. Hatte sie etwa nach 1945 Titos jugoslawische Volksrepublik in höchsten Tönen gelobt, schlug die Zuneigung 1948 nach Stalins Bruch mit Tito in blanken Hass um.
KPÖ auf Stalin-Linie
Die KPÖ machte jede Wendung der sowjetischen Politik mit. Hatte sie etwa nach 1945 Titos jugoslawische Volksrepublik in höchsten Tönen gelobt, schlug die Zuneigung 1948 nach Stalins Bruch mit Tito in blanken Hass um: Von einem Tag auf den anderen wimmelte Jugoslawien von "Tito-Faschisten".
Leopold Spira wurde nach der Rückkehr nach Wien einer der wichtigen Partei-Intellektuellen und Mitarbeiter der Theorie-Zeitschrift "Weg und Ziel". Am Tag als Stalin starb und Elisabeths Oma schockiert von der Leiter fiel, erschien das KPÖ-Organ „Volksstimme“ mit der Schlagzeile: "Der größte aller Menschen ist tot."
Verbrechen negiert
Schwierig wurde die Lage im Februar 1956, als der neue Chef der KPdSU Nikita Chruschtschow in einer Geheimrede am 20. Parteitag die Verbrechen Stalins enthüllte. Vier Monate später wurde der Text via CIA in der New York Times veröffentlicht. Selbst eine Parteitags-Anekdote sickerte durch: Nach der Rede reichte man Chruschtschow am Podium einen Zettel, auf dem die Frage stand: "Was tatest du, als Stalin diese Verbrechen beging?" Chruschtschow las die Frage laut vor und sagte: "Ich bitte den Fragesteller aufzustehen." Niemand rührte sich. "Das", sagte Chruschtschow, "ist genau das, was ich getan habe, während Stalin an der Macht war."
Die KPÖ reagierte erwartungsgemäß: Die Rede wurde einfach als Fälschung denunziert und schubladisiert.
Die nächste Peinlichkeit folgte im November 1956 mit der Reaktion auf die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn: Die KPÖ verteidigte die Rote Armee und bekräftigte "das Bekenntnis zu den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus". Ein Drittel der Parteimitglieder sprang daraufhin ab, 1959 verpasste die KPÖ das Grundmandat und ist seither nicht mehr im Nationalrat vertreten.
Kritische Töne
Erst 1965 wurden Konsequenzen aus dem Niedergang gezogen: Der 38jährige Steirer Franz Muhri übernahm von dem aus Altersgründen ausscheidenden Johann Koplenig den Parteivorsitz und ließ in seiner Parteitagsrede neue Töne anklingen: Die Krise der KPÖ hänge auch "mit den Fehlern der Stalin-Zeit zusammen, die in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern gemacht wurden". Leopold Spira saß jetzt im Zentralkomitee.
Der neue Kurs schien nach der Invasion der Warschauer Truppen gegen die reformkommunistische Tschechoslowakei im August 1968 zu halten: Muhri selbst bezeichnete die Invasion in einer ersten Stellungnahme als "Schaden für die gesamte kommunistische Bewegung", im Zentralkomitee stimmten 42 Mitglieder für und nur sechs gegen die Verurteilung der Invasion.
In einigen Bundesländern sah man das nicht so, etwa in der Steiermark. Landesobmann Franz Leitner erklärte: "Reaktionäre Kräfte in einem sozialistischen Land müssen bestraft werden." Ähnlich sah das die Salzburger KPÖ, in deren Sekretariat zu dieser Zeit noch ein Stalin-Bild hing, wie Leopold Spira später in seinen Memoiren berichtete.
Zurück zum Kuschelkurs mit Moskau
Als die Sowjetführung den tschechischen Reformern ein "Abkommen" oktroyierte, sah die Mehrheit in der KPÖ-Spitze den Zeitpunkt gekommen, um wieder mit der KPdSU zu kuscheln. Der zunehmend kritische Ernst Fischer, immer noch Mitglied des ZK, hielt in einem Fernsehinterview scharf dagegen: "Ein Diktat ist kein Übereinkommen. Es gibt zwischen der Wunde und dem Messer kein Übereinkommen."
Der Parteitag 1969 revidierte dennoch die zuvor kritische Haltung: Der Einmarsch der Truppen sei "keineswegs in der Absicht erfolgt, die sozialistische Demokratie zu verhindern". Die Reformer, darunter der Ökonomieexperte Theodor Prager, der Chefredakteur des Theorieorgans Franz Marek und auch Leopold Spira, stimmten gegen die Erklärung. Sie alle verloren bei der Neuwahl des Zentralkomitees ihren Sitz.
Am Rande des Parteitags gab es einen Vorfall, der den verknöcherten Genossen zeigte, dass sie auch von der neuen Studentenbewegung nichts zu erhoffen hatten: Mit dem Ruf "Unser lieber Herr Koplenig spricht in letzter Zeit sehr wenig" stürmte die "Kommune Wien" unter der Führung des Schriftstellers Robert Schindel den Parteitag. Das war richtig beobachtet: Johann Koplenig, der Altvorsitzende der Partei, war kurz zuvor gestorben.
Ernst Fischer war erst gar nicht zum Parteitag gekommen, er prägte stattdessen in einem Interview einen Begriff, der bis heute für die Ereignisse in der CSSR 1968 steht: Panzerkommunismus. Drei Monate später wurde er aus der Partei ausgeschlossen.
Junge KPÖ-Dissidenten suchten sich neue Betätigungsfelder. Sie fanden diese 1976 bei der Besetzung der Arena in Sankt Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk und bald darauf in der Anti-AKW-Bewegung.
Exodus der Denker
Die KPÖ verlor damit nicht nur fast alle Partei-Denker, auch die Jugendorganisation FÖJ (Freie Österreichische Jugend) und die Gewerkschaftsfraktion GE (Gewerkschaftliche Einheit) spalteten sich ab. Ernst Fischer und der mit der Journalistin Barbara Coudenhove verheiratete Franz Marek gaben nun die aus der KPÖ entführte Zeitschrift "Wiener Tagebuch" heraus, eine Plattform für undogmatische Linke mit namhaften internationalen Autoren. Nach Mareks Tod übernahm Leopold Spira das Blatt.
Die nun politisch heimatlosen Aktivisten der Jugendorganisation FÖJ suchten sich neue Betätigungsfelder. Sie fanden diese 1976 bei der Besetzung der Arena in Sankt Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk und bald darauf in der Anti-AKW-Bewegung, in der die organisationserfahrenen KPÖ-Dissidenten eine wichtige Rolle spielten.
Der FÖJ-Vorsitzende Herbert Brunner (Jahrgang 1940) engagierte sich für selbstverwaltete Jugendzentren und leitete fast 20 Jahre lang das Amerlinghaus am Wiener Spittelberg. Danach wurde er Funktionär der Alternativen Liste Wien, einer Keimzelle der Grün-Partei, und 1987 Sekretär der Wiener Grünen. Später heiratete Herbert Brunner, nunmehr Herbert Sburny-Brunner, die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Michaela Sburny.
Aus Kommunisten wurden Grüne
Eine Grünen-"Dynastie" begründete der aus der KPÖ ausgeschiedene Gewerkschafter Jean "Schani" Margulies (1939-2015).
Margulies“ Mutter entstammte einer jüdischen Familie und engagierte sich mit ihrem Mann Moritz seit den 1930er-Jahren in der KPÖ. 1938 musste das Paar nach dem Einmarsch der Nazis aus Wien fliehen. Sohn Schani wurde in Brüssel geboren, nach der Besetzung Belgiens floh die kleine Familie nach Frankreich. Schani wurde bei einer Lehrerin versteckt, die Eltern kämpften in der Résistance. Zurück in Wien engagierten sich Ida und Moritz wieder in der KPÖ, Schani lernte den Beruf des Starkstrommonteurs und wurde in der KPÖ-Gewerkschaftsfraktion aktiv.
Nach dem Bruch mit der KPÖ war er einer der Gründer der den Grünen nahestehenden „Alternativen und Unabhängigen GewerkschafterInnen“ (AUGE/UG), heute die drittstärkste Fraktion im ÖGB. Ab 1991 saß Margulies für die Grünen im Wiener Landtag. Sein Sohn Martin bekleidet seit Mitte der 1990er Jahre verschiedene Funktionen bei den Wiener Grünen und war einige Jahre lang deren Landesgeschäftsführer. Seit 2001 ist er Mitglied des Wiener Landtags.
Trotzkist Pilz
Mit Peter Pilz stand noch ein anderer „Kommunist“ an der Wiege der Grünen. Er kam jedoch nicht aus der KPÖ, sondern von der "Gruppe Revolutionärer Marxisten" GRM, die sich an dem im Auftrag Stalins ermordeten Leo Trotzki orientiert; mit den Moskautreuen hatten die Trotzkisten naturgemäß nichts am Hut.
Als 1989 die Berliner Mauer und zwei Jahre später die ganze Sowjetunion fiel, schien das Schicksal der KPÖ besiegelt. Bei der Nationalratswahl 1994 ergatterte sie gerade noch 0,2 Prozent der Stimmen. Das 1954 nach Plänen der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky am Wiener Höchstädtplatz erbaute Parteihaus musste verkauft werden, in die Halle der KPÖ-Druckerei zog ein Baumarkt ein. Die Büste des KPÖ-Pioniers Johann Koplenig steht seither recht beziehungslos vor einem Bürohaus.
Der neue Parteichef Walter Baier und Alt-Vorsitzender Franz Muhri versuchten noch in einer Broschüre ("Stalin und wir") ihre Abwendung vom einst vergötterten Diktator darzustellen – das war´s dann schon. Der letzte dreht das Licht ab.
Auferstehung in Graz und Salzburg
Doch plötzlich spross neues Leben: Bei den steirischen Landtagswahlen von 2003 holte KPÖ-Spitzenkandidat Ernest Kaltenegger mit betonter Volksnähe 6,3 Prozent – das beste Ergebnis seit 1945. In Graz wurde die KPÖ 2021 mit fast 29 Prozent stärkste Partei und stellt seither die Bürgermeisterin. Bemerkenswert: Die steirische KPÖ galt immer als orthodoxeste Landesgruppe.
Es ging fast ein wenig unter, als 2017 die Jungen Grünen nach einem Fraktionskampf aus der Partei ausgeschlossen wurden und deren Bundessprecherin Flora Petrik ankündigte, man werde künftig mit der KPÖ als KPÖ PLUS antreten. Was dann mit bescheidenem Erfolg auch geschah, mehr als 0,8 Prozent waren bei den Nationalratswahlen 2019 aber nicht drin.
Ein anderer Ex-Grüner, der Salzburger Kay-Michael Dankl zeigt, dass es mit dem richtigen Personal funktionieren kann.
Als die Berliner Mauer fiel, feierte Klein-Kay gerade seinen ersten Geburtstag. Die Fragen nach der dunklen Vergangenheit der kommunistischen Weltbewegung beantwortet er nach ähnlichem Muster wie seine steirischen Vorbilder: War da was und wenn ja, bin ich dagegen. Tiefere Analysen des studierten Historikers stehen noch aus.
Leopold Spira, geboren vier Jahre vor der roten Oktoberrevolution, starb 1997. Die Sowjetunion überlebte er um sechs Jahre.