Nationalfeiertag: Ohrenbetäubung am Heldenplatz
In Wahlkämpfen überfallen Politiker Bürger, am Tag der offenen Tür ist es umgekehrt. Zu einem solchen lud das Parlament am Nationalfeiertag in die Redoutensäle der Wiener Hofburg. Bald ist das Ausweichquartier Geschichte. Ab Jänner 2023 wohnen der Gesetzgeber und die Gesetzgeberin wieder im frisch renovierten Parlament an der Ringstraße.
Daher liegt ein Hauch von Abschied über dem Josefsplatz, als Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ÖVP, um zehn Uhr Vormittag die ersten Besucherinnen und Besucher mit Handschlag begrüßt, darunter auch eine Gruppe asiatischer Touristen. Sobotka ist ein weltgewandter Mann: „Good Morning, where do you come from?“; „From Vietnam!“; „Ah, Vietnam!“ So einfach kann fremdsprachiger Smalltalk sein. Warum die vietnamesischen Touristen ausgerechnet das österreichische Ersatzparlament besichtigen wollen, fragt Sobotka nicht. Vielleicht dachten sie, sie würden die Lipizzaner sehen. Der Eingang zur Spanischen Hofreitschule befindet sich gleich nebenan.
Nach der Eröffnung des Tages der offenen Tür eröffnet Sobotka auf dem Josefsplatz die mobile Container-Ausstellung „Parlament on Tour“, die den Bürgern das Wesen der Demokratie näherbringen soll. Mit dabei sind die Zweite Präsidentin und der Dritte Präsident, Doris Bures und Norbert Hofer. Mit Hofer ist Sobotka per Du, mit Bures nicht. Bei der Führung durch die Container entdeckt Hofer ein interessantes Detail auf einem Wimmelbild, das das Alltagsleben in einem Bundesland zeigt: „Schau, Herr Präsident, da gibt es einen FKK-Bereich. Das könnte ich einmal in meinem Gemeinderat ansprechen.“ Bekanntlich ist Hofer seit Kurzem auch Lokalpolitiker in Pinkafeld. Falls es dort bald ein FKK-Bad gibt, könnte der Bürgermeister einen Tag der offenen Tür veranstalten. Ehrengast wäre der Dritte Nationalratspräsident.
Deus et Magnus
Auch vor den Büroräumlichkeiten von Karl Nehammer herrscht am Nationalfeiertag Andrang. Wie vor einem Jahr: Da wollten allerdings Staatsanwälte und Kriminalbeamte ins Bundeskanzleramt und nicht neugierige Bürger. Und Regierungschef war noch – aber nicht mehr für lange Zeit – Sebastian Kurz.
Eine Hausdurchsuchung bereitet einem Bundeskanzler sicherlich mehr Stress als ein Nationalfeiertag. Dennoch kommt auch Karl Nehammer ins Schwitzen. In der Früh legt er einen Kranz im Burgtor nieder und zu Mittag nimmt er mit Alexander Van der Bellen und dem Großteil seiner Regierung an der Angelobung von tausend Rekruten auf dem Heldenplatz teil. Der Bundespräsident dankt in seiner Ansprache dem Bundesheer für die Organisation von „Impfstrafen“ in der Pandemie. Auf der Ehrentribüne kriegt sich Wiens Bürgermeister Michael Ludwig daraufhin nur schwer wieder ein. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner wünscht den Rekruten in ihrer Rede „viele Abenteuer“ im Präsenzdienst und verspricht feierlich, die Modernisierung des Heeres weiter voranzutreiben: „So wahr mir Gott helfe!“
Derjenige, der Tanner dabei besser helfen könnte als der Herrgott, ist nicht anwesend. Finanzminister Magnus Brunner versäumt so die fast ohrenbetäubende Rede des Bundeskanzlers zu Landesverteidigung, Putin und Energiekrise. Die Anwesenheit von tausend Soldaten dürfte den Oberleutnant der Miliz Nehammer besonders motiviert haben. So laut wie der Kanzler sind an diesem Tag nicht einmal die über die Wiener Innenstadt hinweg fliegenden Eurofighter.
Sie lesen Folge 6 der dritten Staffel einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
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