Die grüne Abgeordnete Nina Tomaselli ist mit dem Ergebnis der Nationalratswahl nicht zufrieden. Zwischen Regierung, Krisen und Koalitionspartner hätten die Grünen ihre Politik zu wenig erklärt.
Im Nationalratswahlkampf haben Sie in Bregenz mit einem Stoff-Hai am Kopf vegane Fischstäbchen gegrillt. Wie ist das angekommen?
Nina Tomaselli
Das sollte symbolisieren, wofür wir Grünen wohnbaupolitisch stehen: Wir wollen aus Miet-Haien Fischstäbchen machen. Aber so viele Miet-Haie in Form von Fischstäbchen können wir gar nicht verspeisen. Deshalb braucht es eine effektive Regulierung.
Muss Politik so verspielt sein?
Tomaselli
Es geht hier nicht um ein Spiel. Es steckt eine sehr ernsthafte Botschaft dahinter: Leistbares Wohnen ist die zentrale soziale Frage.
Regierungen jeglicher Couleur sind durch die europaweiten Krisen nicht hoch angeschrieben. Und ja, insbesondere unser thematisches Steckenpferd, der Klimaschutz, ist unter Druck geraten – vor allem wegen erstarktem Rechtspopulismus und zunehmenden Fake News.
Nachwahlbefragungen zufolge war die Klimakrise nicht einmal unter den Top 5 der meistdiskutierten Themen. Haben die Grünen auf das falsche Thema gesetzt?
Tomaselli
Nein, Klimaschutz ist nie das falsche Thema. Bis 2040 klimaneutral zu sein, ist keine politische Einstellung, es ist eine Notwendigkeit.
Andere Notwendigkeiten standen nicht auf jedem Wahlplakat.
In der politischen Zuspitzung haben wir nicht die gesamte thematische Breite der Grünen ins Schaufenster gestellt, sondern das, wofür wir schon immer stehen: Klimaschutz, Naturschutz und die ökologische Transformation.
Hätte man andere Themen ins Schaufenster stellen sollen?
Tomaselli
Wir Grünen sind Überzeugungstäter. Klimaschutz ist für uns die entscheidende Überlebensfrage. Wir setzen uns nicht nur dafür ein, wenn es grad politisch im Trend ist.
Die Grünen haben laut eigenen Angaben rund 5 Millionen Euro in den Wahlkampf gesteckt. Das sind ungefähr 12 Euro pro Stimme. Kann man mit dem Ergebnis zufrieden sein?
Tomaselli
Mit dem Ergebnis sind wir selbstverständlich nicht zufrieden. Das wäre vermessen. Wir hätten uns eine stärkere Stimme im Parlament für den Klimaschutz gewünscht.
Müssen sich die Grünen überlegen, wie es als Partei weitergeht?
Tomaselli
Parteien, die meinen, sie hätten die Weisheit mit dem Löffel gefressen und nicht im ständigen Reflexionsprozess sind, haben schon verloren. Wir Grünen werden uns inhaltlich und programmatisch als Partei auseinandersetzen. Das ist ein Ding der Notwendigkeit, unabhängig vom Wahlergebnis.
Es kann selbstverständlich sein, dass es mittelfristig oder langfristig personelle Neuerungen gibt. Im Moment stellt sich die Frage nicht.
Warum nicht?
Tomaselli
Andere Parteien sind da hierarchischer organisiert als die Grünen. Bei uns ist ein Team angetreten, das übernimmt die Verantwortung und an seiner Spitze steht Werner Kogler. Er hat sich in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition der Grünen zwischen 2017 und 2019 als umsichtiger Umweltfighter bewiesen.
Bei Parteiveranstaltungen der Grünen bekommt Umweltministerin Leonore Gewessler konstant den größten und lautesten Applaus. Folgt sie Kogler nach?
Tomaselli
Das wird der Bundeskongress 2025 entscheiden. Bis dahin haben wir einen aufrecht gewählten Bundessprecher und das ist Werner Kogler.
Sie stellen weder den Fokus auf Klimaschutz noch die Führung der Partei in Frage. Was sollen die Grünen dann anders machen?
Tomaselli
Die Umstände unserer Regierungsbeteiligung waren alles außer einfach. Neben dem eigenen Regierungsprogramm und Krisen wie Pandemie und Teuerung waren wir auch mit einem korruptionsgebeutelten Koalitionspartner konfrontiert. Und wahrscheinlich haben wir dabei eine andere Grundaufgabe vernachlässigt, nämlich unsere Politik gut zu erklären und den Bürgerinnen und Bürgern nahezubringen.
Die FPÖ spricht von „Klimahysterie“ und hat trotzdem in Gebieten gewonnen, die wenige Wochen vor der Wahl unter Wasser standen. Warum konnten die Grünen dort nicht punkten?
Tomaselli
Klimaschutz ist für die Menschen da und kein abstraktes Gebilde, wie das gerne dargestellt wird. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass offenbar auch Betroffenen im Hochwassergebiet andere Dinge wichtiger erschienen. Nichtsdestotrotz gibt es genügend Menschen, die beim Klimaschutz mitmachen wollen und Wirtschaftsunternehmen, die nachhaltig investieren wollen. Da ist die Aufgabe von uns Grünen, die Menschen besser abzuholen.
Vor zehn Jahren saßen die Grünen in sechs Landesregierungen. Bei der Landtagswahl in Vorarlberg am Sonntag drohen sie aus der letzten herauszufliegen. Sind die Grünen auf dem Weg zu einer echten Oppositionspartei?
Die Grünen stehen vor allem für saubere Umwelt und saubere Politik. Und das tun wir unabhängig davon, ob wir auf der Regierungs- oder Oppositionsbank sitzen. In Vorarlberg stehen wir erneut vor einer Richtungsentscheidung: Schaffen es die Grünen nochmal in die Landesregierung oder kommt ein Rückschritt mit der schwarz-blauen Ibiza-Betonierer-Koalition?
Für die Grünen ist klar, dass die ÖVP wieder den Landeshauptmann stellt. Wäre es nicht demokratiepolitisch sinnvoll, dass eine andere Partei den Landeshauptmann stellt?
Die ÖVP versucht ein Duell um das Land Vorarlberg zu inszenieren, das es de facto nicht gibt. Es geht darum, wer Regierungspartner der ÖVP wird. Und das sind realistischerweise die FPÖ oder die Grünen.
Oder SPÖ oder Neos.
Tomaselli
Andere Parteien gibt es selbstverständlich auch noch im Vorarlberger Landtag. Die Frage ist, ob Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) den hohen Preis einer FPÖ-Regierungsbeteiligung zahlen will. Das wäre nicht nur ein herber Imageverlust für das Export- und Tourismusland Vorarlberg, dann werden auch wichtige Transformationsprojekte für die Vorarlberger Wirtschaft abgedreht.
Auch bei der Nationalratswahl wollten die Grünen eine Brandmauer gegen rechts aufbauen. Die wurde nicht gewählt.
Tomaselli
Wir sind die Einzigen, die immer dabei geblieben sind: Keine Zusammenarbeit mit der rechten FPÖ. Der Spitzenkandidat der SPÖ in Vorarlberg hat schon mehrmals Gespräche mit der FPÖ in Aussicht gestellt. Und die Wiener SPÖ-Abgeordnete Doris Bures war eine der Ersten, die gesagt hat, dass sie einen Kandidaten oder eine Kandidatin der FPÖ zum Nationalratspräsidenten beziehungsweise -präsidentin wählen wird.
Die Freiheitlichen sind die stärkste Partei und es ist Usance, dass die stimmenstärkste Partei den Nationalratspräsidenten stellt.
Tomaselli
Wenn ich mir die Programmatik der FPÖ anschaue, lehnt sie die demokratischen Grundsäulen dieses Staates ab. Ich kann mir nicht vorstellen und will es schon gar nicht mittragen, dass eine Person, die so denkt, die zweitmächtigste Position im Staat besetzt.
Sind Sie dafür, das Amt des Nationalratspräsidenten abzuschwächen, bevor die FPÖ es übernimmt?
Tomaselli
Nein. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Verfassung mit ihren Checks und Balances sehr gut funktioniert. Die Verfassung schreibt nicht vor, dass die stimmenstärkste Partei den Nationalratspräsidenten bestellt, das wird von einer parlamentarischen Mehrheit bestimmt. Und über 70 Prozent haben die FPÖ nicht gewählt. Da müssen sich alle Abgeordnete einzeln überlegen, wie sie mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen.
Werden Sie Wolfgang Sobotka als Nationalratspräsidenten vermissen?
Schlussendlich braucht es im Amt des Nationalratspräsidenten Personen mit einem hohen Maß an Integrität. Wolfgang Sobotka zählt nicht dazu. Und FPÖ-Politikerinnen und -Politiker [...] auch nicht.
Auch nicht, wenn ein FPÖ-Kandidat Präsident wird?
Tomaselli
Ich habe Wolfgang Sobotka insbesondere in seiner Funktion als U-Ausschuss-Vorsitzender kennenlernen dürfen. Er hat ab Tag eins nicht verstanden, dass das Amt unabhängig von parteipolitischer Taktiererei auszuführen ist. Schlussendlich braucht es in diesem Amt Personen mit einem hohen Maß an Integrität. Wolfgang Sobotka zählt nicht dazu. Und FPÖ-Politikerinnen und -Politiker mit dieser grundlegenden Ablehnung gegenüber dem demokratischen Staat und den Menschenrechten auch nicht.
Haben Sie Wolfgang Sobotka im Jahr 2019 als Nationalratspräsidenten gewählt?
Tomaselli
Nein.
Vorarlberg als möglicher grüner Kipppunkt
Am Sonntag wählt Vorarlberg einen neuen Landtag. Bei der Nationalratswahl vor zwei Wochen lag die ÖVP dort nur mehr zwei Prozentpunkte vor der FPÖ. Ist der Vorsprung der Volkspartei bei der Landtagswahl nicht deutlich größer, wäre es eine Blamage für Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP).
Für Wallners derzeitigen grünen Koalitionspartner ist die Wahl entscheidend. Findet sich nach Sonntag keine Mehrheit aus ÖVP und Grünen, fliegt die Öko-Partei aus ihrer letzten Koalition in einem Bundesland. Und ohne finanzielle Unterstützung der Landesparteien hätten es die Bundes-Grünen um Parteichef Werner Kogler 2019 wohl kaum zurück ins Parlament geschafft.
Mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen in der Steiermark (24. November), im Burgenland (19. Jänner 2025) und vor allem in Wien (Herbst 2025) sind daher nicht alle Grünen mit dem derzeit starken Fokus auf Klimapolitik zufrieden. Öffentlich will den grünen Markenkern aber niemand infrage stellen. Auf die ersten Plakate für die steirische Landtagswahl am November schrieb die Partei: „Mehr Grün. Mehr Plan. Mehr Miteinander.“
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.