Popper
Das war sehr unterschiedlich und von der jeweiligen Situation abhängig. Bei den ersten Meetings meinten einige in der Regierung, sie müssen den Menschen Angst machen. Ich sagte damals: „Das funktioniert genau ein Mal. Es werden aber noch viele Wellen kommen. Dann wird es wirklich schwierig.“
Was war die Reaktion?
Popper
Einige dachten zu der Zeit wirklich, das Ganze sei doch in zwei Monaten vorüber. Dementsprechend wurde dann gehandelt. Mich hat das aber nicht überrascht, vorausschauende Politik bringt spieltheoretisch selten einen „Quick Win“. Nehmen wir zum Beispiel die Chats von 2016 zwischen dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz und Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium. Die beiden hatten mitbekommen, dass der damals neue, rote Kanzler Christian Kern und sein schwarzer Vize Reinhold Mitterlehner ein Paket für die Nachmittagsbetreuung von Kindern verhandelten. Ein absolut vernünftiger Plan, den man den Konkurrenten auf keinen Fall gönnen wollte. Kurz schrieb: „Gar nicht gut!!! Kannst du das aufhalten?“ Und weiter: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ Wenn das stimmt, ist es ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte. Politische Gegner zu diskreditieren oder Politik wie bei Postenvergaben als „Tauschsystem“ zwischen den Parteien zu sehen, ärgert mich. Sinnvolle Entscheidungen für Österreich zu treffen, darf nicht nur ein Nebeneffekt sein.
Kurz vor der Auflösung des Beratergremiums GECKO sagte Kanzler Nehammer, man sei in der Pandemie zu expertenhörig gewesen. Hat Sie das auch geärgert?
Popper
Ich denke, wenn man in der Öffentlichkeit steht, darf man nicht sensibel sein. Aber ich habe daraufhin ein E-Mail an die GECKO-Leitung geschrieben mit der Frage, ob GECKO nicht aufgelöst werden solle.
Haben Sie eine Antwort bekommen?
Popper
Ohne direkten Bezug auf meine Frage. Es kam eine relativierende Antwort zurück, nach dem Motto: So war das eh nicht gemeint, wir schätzen euch sehr. Ich finde, einzelne Wortmeldungen muss man nicht überbewerten und gelassen sehen – da rutscht jedem mal was Unpassendes heraus. Problematischer war für mich das Agieren der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich, wo völlig evidenzbefreit gehandelt wurde, als man die Rückzahlung von Corona-Strafen beschloss.
Wie fanden Sie Nehammers Autogipfel im Juni, bei dem er die Rettung des Verbrennermotors ausrief?
Popper
Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass es vielen Parteien eher um Weltanschauung und Wahlumfragen geht. Offensichtlich glaubt die ÖVP, dass junge Konservative ein Auto wollen und ein Einfamilienhaus. Und erst wenn der letzte Politiker verstanden hat, dass womöglich auch die jungen Konservativen verstanden haben, dass nicht jeder ein Einfamilienhaus auf die grüne Wiese stellen muss, werden sie vielleicht auch vernünftige Politik machen. Die anderen Parteien sind da nicht besser. Ich glaube, oft muss die Bevölkerung schlauer sein als die Politik – und klar machen, dass es neue Lösungen braucht.
Zuletzt saßen Sie kopfschüttelnd vor dem Radio, als der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) verkündete, viele neue MRT-Geräte für die Spitäler gekauft zu haben. Was ist daran auszusetzen?
Popper
Das betrifft nicht nur den Gesundheitsstadtrat, sondern Bund, Länder und Sozialversicherung sind sich einig. Alle sind stolz, dass sie um viel Steuergeld neue Geräte angeschafft haben. Allerdings steht zu befürchten, dass neue Geräte nur kurz Entlastung bringen, wenn die Logistik dahinter nicht verbessert wird. Würde man sie verbessern, bräuchte man weniger oder keine neuen Geräte. Das haben wir schon vor einigen Jahren modelliert.
Frustriert Sie das nicht?
Popper
Es ergibt keinen Sinn, frustriert zu sein. Wir müssen konsequent mit den Modellen veranschaulichen, was etwas bringt und was nicht. Entscheiden muss die Politik, unser Job ist, beharrlich zu sein. Wir dürfen der „Trumpisierung“ nicht nachgeben.
Woran arbeiten Sie jetzt gerade?
Popper
Wir helfen den ÖBB dabei, effizienter zu werden. Da lachen manche Leserinnen wahrscheinlich, weil es ja derzeit noch oft hakt. Aber es ist toll, wenn wir künftig Lösungen für fehlende Loks präsentieren können. Nicht indem Loks gekauft werden müssen, sondern indem wir den Einsatz effizienter machen. Zudem bauen wir im Moment wiederverwendbare Modelle, um anstehende Investitionen im Gesundheitssystem evidenzbasiert und transparent vergleichen zu können. Wir können uns wie Pippi Langstrumpf die Welt schaffen, wie sie uns gefällt, und dann versuchen, einiges von dem umzusetzen, anstatt destruktiv-wienerisch zu jammern. Ich habe den schönsten Job der Welt.
Nur wenn die Verantwortlichen nicht mitmachen, verändert sich gar nichts. Reizt es Sie nicht, in die Politik zu gehen und selbst zu entscheiden?
Popper
Nein. Da müsste ich ja den genannten Spielregeln folgen.
Vor etwa zwei Jahren warf Ihnen der selbsternannte Plagiatsjäger Stefan Weber vor, Sie hätten bei Ihrer Doktorarbeit abgeschrieben. Sie sind sehr offensiv mit den Vorwürfen umgegangen, haben sich auf Twitter ausgiebig erklärt. Würden Sie das auch Politikern raten, die oft dazu neigen, Kritik kleinzureden?
Popper
Lassen Sie es mich so formulieren: Mit vollen Hosen ist leicht stinken. Ich wusste, dass man mir fachlich nichts vorwerfen kann. Das kam bei der Untersuchung später auch raus. Jedem, der ungerechtfertigt angeschüttet wird, empfehle ich, offensiv zu argumentieren.
Gibt es Seuchen wie Mpox oder die Vogelgrippe, die Ihnen im Hinblick auf eine neue Pandemie Sorgen machen?
Popper
Wir können nicht einschätzen, wann eine Krankheit zur Epidemie oder gar zur Pandemie werden könnte. Wir können erst Modelle bauen, wenn es eine modellierbare Dynamik gibt, wie bei Covid-19, Masern oder der Schlaganfallversorgung. Grundsätzlich finde ich, wir sollten uns weniger vor Dingen in der Zukunft fürchten – und mehr gegen den Wahnsinn tun, der täglich passiert, etwa beim Umgang mit der Klimakrise.
Sie haben für die Lange Nacht der Forschung einmal den Weltuntergang simuliert. Wie nah sind wir diesem denn angesichts der Erderhitzung?
Popper
Das müssen Sie Klimaforscherinnen fragen. Aber was die Frage betrifft, ob wir etwas dagegen tun können, da bin ich gar nicht so pessimistisch. Der Grund: Wir glauben in unserem menschlichen Größenwahn immer, unsere Welt sei enorm effizient. Aus meiner Praxis weiß ich, das Gegenteil ist der Fall. Ein Beispiel: Wir untersuchen gerade die Effizienz der Paketdienste. Man könnte den Verkehr massiv reduzieren, indem man den Güterverkehr intelligenter organisiert. Ähnlich ist es bei der Nutzung von Infrastruktur. Fazit: Wir haben uns unsere eigene Umwelt dermaßen kompliziert gebaut, dass wir noch an vielen Schrauben drehen können – mit einem überraschend geringen Schmerzfaktor für den Einzelnen. Das macht mir Hoffnung.