Nationalratswahl 2024

Warum auch Kickl Wien nicht knackte

Wien bleibt der einzig rote Fleck auf der Bundesländer-Karte. Aus Bezirken wie Favoriten, Simmering und Floridsdorf dröhnen aber laute Warnsignale an die SPÖ vor der Wien-Wahl 2025. Eine Analyse.

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„Wien ist anders“ - das ist nach dieser Nationalratswahl ein Hilfsausdruck. Wien ist ganz anders. Als einziges Bundesland leuchtet es rot auf der blau-türkisen Österreich-Karte. Während die Sozialdemokraten in den anderen von roten Landeshauptleuten regierten Bundesländern auf den zweiten (Kärnten) oder dritten (Burgenland) Platz abrutschten, blieb die SPÖ in ihrer roten Bastion Wien klar voran und baute den Vorsprung auf 29,9 % aus. Ein Plus von 3 Prozentpunkten, obwohl gleich drei Kleinparteien mit im linken Wählerpool fischten: Die KPÖ mit 3,7 Prozent, die Bierpartei mit 2,1 Prozent und die Liste Gaza mit 1,2 Prozent. Woran liegt das?

SPÖ räumt die Grünen ab

Als Metropole war das „rote Wien“ - nebst weiterer Landeshauptstädte - schon immer der linke Gegenpol zum strukturell rechtswählenden Land. Große Verschiebungen gibt es, meist ausschließlich innerhalb der Lager. Rechts zwischen FPÖ und ÖVP, links zwischen SPÖ und Grünen.

Warum legte die SPÖ dieses Mal sogar zu? Offiziell standen Bürgermeister Michael Ludwig und seine Vertraute, Wien-Spitzenkandidatin Doris Bures, hinter dem glücklosen SPÖ-Chef Andreas Babler. In einer Doppelstrategie hielten sie den Babler-Ball in der Stadt aber mehr als flach. Damit dämpften sie den negativen Gesamteffekt ab. 

Das erklärt aber noch nicht die roten Zugewinne. Die kommen von den Grünen. Nach einem Traumergebnis von 20,6 Prozent bei der Nationalratswahl 2019 – es war die Hochblüte der Klimadebatte – stürzten die Grünen auf 12 Prozent ab. In grünen Hochburgen wie Wien-Neubau holten sie nur noch 22 Prozent, nach 37,5 Prozent bei der letzten Wahl. Die SPÖ liegt dort wieder über 30 Prozent (+ 11 Prozentpunkte).

Bier räumt die SPÖ nicht ab

Der starke Rückfluss von Grün zu SPÖ überkompensiert den Abfluss von den Roten zu linken Kleinparteien wie KPÖ, Bier, Liste Gaza und den Nicht-Wählern.

Für die SPÖ gab es einen Grünen-Bonus, aber keinen Bier-Malus. Im Vorfeld hatte so mancher SPÖ-Funktionär mehr Angst vor einer wirklich starken Bier-Partei mit Dominik Wlazny (alias „Marco Pogo“) als vor einem blauen Höhenflug. Verständlich angesichts der Umfragen noch vor wenigen Wochen mit bundesweit 6 Prozent. Doch die Bierpartei blieb eine Protest-Blackbox ohne Inhalt und mit 2 Prozent weit hinter ihren Erwartungen.

An Haider kam Kickl in Wien nicht heran

Über die vergangenen 25 Jahre betrachtet, wählte Wien bei dieser Bundeswahl fast wieder traditionell. FPÖ in der Gegend von 20 Prozent, die SPÖ bei 30 Prozent oder darüber: So gingen bereits die Wahlen 2008, 2013 und 2017 und 2024 aus. 2019 markiert durch den Höhenflug der ÖVP mit Sebastian Kurz, der die FPÖ abräumte, auch in Wien einen Ausreißer.

Ein früher Ausreißer für die FPÖ war die Nationalratswahl 1999, bei der FPÖ-Chef Jörg Haider ihr bisheriges Wiener Rekordergebnis bei einer Nationalratswahl von 24,7 Prozent einfuhr. An dieses Ergebnis kam Haiders einstiger Redenschreiber und Nachfolger an der Parteispitze, Herbert Kickl, 25 Jahre später nicht heran.

Wie Floridsdorf blau wurde

Schmerzhaft für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig: Sein politischer Heimatbezirk Wien Floridsdorf blinkt als einziger blau auf der Wien-Karte. Ludwig war dort bis 2018 Vorsitzender. Die FPÖ holte den Bezirk mit einem Sprung auf knapp über 30 Prozent, die SPÖ blieb knapp darunter. Noch nie hatte die FPÖ bei einer Nationalratswahl eine Mehrheit auf Bezirksebene. 

Das Ergebnis zeigt, wie sehr die FPÖ der SPÖ in den sogenannten „Flächenbezirken“ auf die Pelle rückt. Im größten Bezirk Favoriten, der durch Ausländer-Kriminalität auch für ganz Österreich wahlkampfrelevant war, weil er der FPÖ als abschreckendes Beispiel diente, legten die Blauen um 11 Prozentpunkte auf 28 Prozent zu. Die vielen traditionell rot wählenden Pensionisten in ruhigeren Teilen des Bezirks und eingebürgerte Migranten sicherten der SPÖ mit 33 Prozent noch Platz 1. Doch ein Minus von fast 4 Prozentpunkten – im Gegensatz zum Wien-Ergebnis - zeigt, dass es auch in diesen Wählergruppen einen Trend zu Blau gab (die FPÖ warb gezielt mit türkischstämmigen Wählern).

Was das für die Wien-Wahl 2025 bedeutet

Nicht blau geworden ist Simmering. Doch der Rückstand der FPÖ (31,7 Prozent) auf die SPÖ (32 Prozent) beträgt unter 100 Stimmen. Der 11. Bezirk war schon einmal blau und hatte von 2015 bis 2020 einen Bezirkschef von der FPÖ: Paul Stadler. Dieser verlor den Bezirk nach Ibiza und der Spesenaffäre von Parteichef Heinz Christian Strache 2020 an die SPÖ - und will ihn bei der Wien-Wahl 2025 wieder zurückholen, wie von profil exklusiv berichtet. Das aktuelle Wahl-Ergebnis verleiht dem 67-Jährigen Rückenwind.

Neben Simmering und Favoriten steht der SPÖ in Floridsdorf ein besonders hartes Match mit der FPÖ bevor. Denn schon 2015 lag die SPÖ auf Bezirksebene nur wenige Hundert Stimmen voran. Doch die unabhängige Liste „Wir für Floridsdorf“ des früheren Freiheitlichen Hans Jörg Schimanek holte damals fast 5 Prozent der Stimmen. Die Liste löste sich 2022 auf. So sind Tausende Proteststimmen wieder auf dem Markt.

Auge um Auge, Radweg um Radweg

Mit KPÖ, Bier, der Liste Gaza sowie der ihr nahestehenden Migrantenpartei SÖZ könnten bei der nächsten Landtagswahl weitere Parteien am linken Stimm-Kuchen knabbern. Von den in Flächenbezirken schwächeren Grünen kann die SPÖ weniger zurückholen. Umso härter wird das Match in den innerstädtischen Bezirken. Radweg um Radweg, Zone 30 um Zone 30. Wobei es die Wiener Grünen mit ihrer Doppelspitze bisher kaum schafften, die Roten wirklich zu fordern.

Nach der Nationalratswahl ist vor der Wien-Wahl. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp hat das Match bereits eröffnet: „Mit dem heutigen Tag beginnt auch der Wien-Wahlkampf“, postete er noch am Wahl-Abend.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.