Wer mit wem regieren könnte und woran es scheitert
Nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen – und die könnten heuer länger dauern, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen bereits am Wahlabend prophezeite: „Jetzt geht es darum, aufeinander zuzugehen, Lösungen und Kompromisse zu finden. Das kann schon dauern, aber es ist gut investierte Zeit.“
Nicht alle Parteien sind an großen Kompromissen interessiert. Allen voran die FPÖ. Erstmals seit 1945 sind die Freiheitlichen die stärkste Partei in Österreich. Das Ziel ist klar: FPÖ-Chef Herbert Kickl will Kanzler werden, genauer gesagt „Volkskanzler“, wie Leopold Figl, Bruno Kreisky, Alfred Gusenbauer und Adolf Hitler vor ihm. Nur: Alle anderen Parteien wollen nicht mit ihm regieren.
Welche Koalitionsvarianten sind möglich und woran könnten sie scheitern?
Inhalt Inhaltsverzeichnis
FPÖ und ÖVP
FPÖ und ÖVP könnten die mandatsmäßig stärkste Zweier-Koalition im neuen Parlament eingehen. Dass die beiden Parteien miteinander regieren können, ist bekannt: In Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg gibt es derzeit eine schwarz-blaue Koalition. Im Bund würden die Parteien zum vierten Mal zusammenkommen. Allerdings erstmals unter anderen Voraussetzungen: Bisher war die Volkspartei, im Bund wie in den Ländern, stets der stärkere Koalitionspartner (selbst als die FPÖ 1999 mehr Stimmen erhielt, stellte die Volkspartei mit Wolfgang Schüssel den Kanzler). Diesmal würden die Freiheitlichen den Ton angeben. Herbert Kickl gefällt das, der ÖVP und Karl Nehammer hingegen gar nicht.
Vor allem deshalb scheint eine blau-schwarze Koalition wenig wahrscheinlich: Die Volkspartei hat bessere Optionen, dazu später mehr. Zudem hätte die ÖVP im Falle einer blau-schwarzen Zusammenarbeit erneut ein Glaubwürdigkeitsproblem: Die Partei hat Kickl in der Regierung ausgeschlossen. Ohne Kickl wollen die Freiheitlichen aber nicht koalieren. Zudem wurde die FPÖ unter Kickl zwar radikaler, in den Spitzenfunktionen der Partei würden ohne dem aktuellen blauen Parteichef aber dieselben Personen sitzen, die schon jetzt seine Linie mittragen.
Und: Für die Freiheitlichen gibt es keinen Grund, ihren Spitzenkandidaten zu opfern. Sollte sich eine Regierung gegen die FPÖ bilden, würde das die Freiheitlichen nur weiter stärken, ist die Partei überzeugt.
Was macht Blau-Schwarz möglich?
- ÖVP und FPÖ regieren in drei Bundesländern zusammen (in Salzburg auch trotz anderslautenden Ankündigungen vor der Wahl)
- Die ÖVP hat von 2017 bis 2019 mit der FPÖ im Bund koaliert
- In Spitzenfunktionen der FPÖ sitzen Großteils dieselben Personen wie 2017 bis 2019
- Es ist die einzige realistische, stabile Zweier-Koalition
- Inhaltlich sind sich die beiden Parteien sehr nahe
- Teile der ÖVP wünschen sich diese Variante (Großteils noch hinter vorgehaltener Hand)
- Die ÖVP will regieren
Was macht Blau-Schwarz unwahrscheinlich?
- Die ÖVP wäre der Juniorpartner
- Das hohe Skandal-Potenzial und der schlechte Ruf im demokratischen Ausland der FPÖ
- Die FPÖ besteht auf Kickl als Kanzler, die ÖVP hat eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen
- Die FPÖ war historisch im Bund kein stabiler Regierungspartner
- Die ÖVP hat die FPÖ nach Ibiza aus der Regierung gedrängt
- Die FPÖ muss nicht um jeden Preis regieren
FPÖ und SPÖ
FPÖ und SPÖ könnten auf den ersten Blick die zweite, zumindest mandatsmäßig, stabile Zweier-Koalition bilden. Auch dieses Paar würde nicht zum ersten Mal zusammenkommen: Die FPÖ stellte von 1983 bis 1987 mit Norbert Steger den Vizekanzler in einer rot-blauen Regierung. Auch hier gilt: Damals war die SPÖ der klar größere Partner. Und: Seit Stegers Abwahl als FPÖ-Chef schließt die Sozialdemokratie eine erneute Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen im Bund aus. Lange galt dies absolut als „Vranitzky-Doktrin“. Mittlerweile gilt in der SPÖ ein „Kriterienkatalog“ – den die FPÖ derzeit aus Sicht der Sozialdemokratie nicht erfüllt. SPÖ-Chef Andreas Babler hat eine Koalition mit den Freiheitlichen klar ausgeschlossen.
Selbst unter neuer Führung könnten die Sozialdemokrat:innen kaum mit der FPÖ regieren. Zwar herrschte im Burgenland von 2015 bis 2019 eine rot-blaue Koalition (der Hans Peter Doskozil als Landesrat angehörte). Im neuen SPÖ-Klub sitzen aber schlicht zu viele Abgeordnete, die sich eine Zusammenarbeit mit den Blauen nicht vorstellen können, die mächtige Wiener Partei ist gegen dieses Experiment und große Teile der Parteibasis würden sich abwenden. Kurz gesagt: Eine blau-rote Koalition im Bund würde die SPÖ in ihrem derzeitigen Zustand wohl spalten.
Aus FPÖ-Sicht wäre die Zusammenarbeit mit der SPÖ trotz großer inhaltlicher Unterschiede kein Problem, im Gegenteil: Die Freiheitlichen wollen den linken Widerstand in der SPÖ gegen rot-blau bzw. blau-rot brechen – und sei es nur, um künftig mehr Koalitionsvarianten zu haben. Ein ähnliches Argument bringen auch die Befürworter in der SPÖ: Durch den Ausschluss der Freiheitlichen mache sich die Sozialdemokratie zu sehr von der ÖVP als einzigen Weg in eine Regierung abhängig – und ermöglicht der Volkspartei, weiter an der Macht zu bleiben.
Was macht Blau-Rot möglich?
- Die Regierung hätte eine stabile Mehrheit
- FPÖ und SPÖ machen sich dadurch von der ÖVP unabhängig
- Es ist die einzig mögliche Regierung ohne ÖVP
Was macht Blau-Rot unwahrscheinlich?
- Die SPÖ schließt eine Koalition mit der FPÖ klar aus (auch aus schon bei der ÖVP genannten Gründen)
- Teile der SPÖ würden die Koalition nicht mittragen und könnten die Regierung womöglich platzen lassen
- SPÖ-Chef Andreas Babler will nicht um jeden Preis regieren
- Die Parteien stehen sich inhaltlich kaum nahe
ÖVP und SPÖ
Nur ein einziges Mandat würde die ehemals große Koalition aus ÖVP und SPÖ laut aktuellen Hochrechnungen sichern. Ein Risiko, das kaum jemand eingehen würde, noch weniger Volkspartei und Sozialdemokratie. Denn obwohl oder gerade weil die Zusammenarbeit der beiden Parteien die Zweite Republik geprägt hat, blieb die gegenseitige Abneigung erhalten. Die große Koalition war nie eine Liebeshochzeit, zuletzt haben sich die beiden möglichen Partner auch inhaltlich distanziert.
Andererseits haben beide Parteien versprochen, nicht mit der (Kickl-)FPÖ zu regieren. Es bleibt ihnen also womöglich nichts anderes übrig, als zusammenzuarbeiten. Aber vielleicht nicht nur zu zweit.
Was macht Schwarz-Rot möglich?
- Es wäre die 20. „große Koalition“ im Bund, keine Regierungsvariante gab es in der zweiten Republik öfter
- Wollen sie nicht mit Kickl regieren, müssen ÖVP und SPÖ zusammenarbeiten
Was macht Schwarz-Rot unwahrscheinlich?
- Die Mehrheit ist nur durch ein Mandat gesichert
- Die Parteien hegen eine jahrzehntealte Aversion gegeneinander
- Es wäre eine Koalition der Wahlverlierer
Zum zweiten Mal in Österreichs Geschichte könnte sich eine Dreier-Koalition im Nationalrat bilden. Das war bisher nur 1945 geschehen als ÖVP, SPÖ und KPÖ nach dem Zweiten Weltkrieg eine Allparteien-Regierung stellten. Danach war es nicht nötig gewesen, dass mehr als zwei Parteien zusammen regieren und ohne Not gibt es kaum einen Grund dazu: Schon zwei Parteien haben es schwer, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, zu mehrt wird es nur komplizierter. Hat eine Koalition eine stabile Mehrheit, wird sie sich daher kaum eine zusätzliche Partei in die Regierung holen. Auf (rechnerisch mögliche) Vierer-Varianten wird daher hier genauso wenig eingegangen wie auf Dreier-Koalitionen mit der FPÖ.
Für ÖVP und SPÖ könnte eine dritte Partei aber hilfreich sein, um die knappe Mehrheit zu sichern.
ÖVP, SPÖ und die Grünen
ÖVP, SPÖ und die Grünen könnten so etwa eine stabile Koalition bilden. Die Nachteile sind dieselben wie bei der ehemals großen Koalition – mit dem Zusatz, dass die Volkspartei nach viereinhalb Jahren genug von den Grünen hat. Zudem haben auch die Grünen am Wahlabend deutlich an Stimmen verloren und Parteichef Werner Kogler hat keinen Zwang zu regieren.
Was macht Schwarz-Rot-Grün möglich?
- Die Regierung hätte eine sehr stabile Mehrheit
- Die Grünen haben Regierungserfahrung gesammelt und wissen, wie die ÖVP tickt
Was macht Schwarz-Rot-Grün unwahrscheinlich?
- ÖVP und SPÖ müssen zusammenfinden
- Die ÖVP ist von den Grünen genervt
- Es wäre eine Koalition der Wahlverlierer
- Die Grünen müssen nicht um jeden Preis regieren
ÖVP, SPÖ und die Neos
ÖVP, SPÖ und die Neos hätten sogar zwei Mandate mehr als die Koalition mit den Grünen. Vor allem aber wollen die Neos unbedingt regieren. Der gesamte Wahlkampf von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger zielte auf den Sprung in die Regierung ab, das einzig realistische Ziel war stets die Koalition mit ÖVP und SPÖ. Inhaltlich sind die Liberalen der Volkspartei wirtschaftlich näher, gesellschaftspolitisch der SPÖ, mit der sie in Wien regieren. Es wäre allerdings die erste Regierungsbeteiligung der Neos im Bund.
Was macht Schwarz-Rot-Pink möglich?
- Die Regierung hätte eine sehr stabile Mehrheit
- Die Neos wollen unbedingt regieren und das ist ihre einzige Möglichkeit
Was macht Schwarz-Rot-Pink unwahrscheinlich?
- ÖVP und SPÖ müssen zusammenfinden
- Es wäre die erste Regierungsbeteiligung der Neos im Bund