So liefen zwei heimliche Tonbänder als Eder nach ein paar Bier eingestand: „Natürlich war i„s net allan. […] Wie soll i allan 700.000 Euro gfladat haben?“ Er habe in stark alkoholisiertem Zustand „alles Mögliche gesagt“ und könne nur mutmaßen, die Aussage getätigt zu haben, „um selbst in einem besseren Licht dazustehen“, erklärte Eder Anfang Mai dazu. Seine Selbstanzeige entspreche „vollinhaltlich der Wahrheit“. Eder will weiter allein gehandelt haben.
Nach anfänglichem Zögern ließ auch die StA Klagenfurt die heimlich aufgenommenen Tonbänder auswerten. Die beiden Protokolle liegen profil vor. Auf 43 Seiten zeichnen sie ein Bild eines launigen Abends, an dem Pascuttini und Co. immer wieder versuchen, „die Wahrheit“ aus Eder herauszukitzeln. Doch Eder bleibt misstrauisch, sagt stattdessen: „Die Wahrheit ist so bitter, dass sie uns allen weh tut.“
Der frühere Leiter der Immobilienabteilung der Stadt Graz sieht sich selbst als der „Meistschuldige an der Gschicht“. „I hobs gstohln, wos wollts ihr noch von mir?“, fragt Eder seine ehemaligen Weggefährten: „Dass ich für die ganzen Eierdodeln meinen Schädel hinghalten hab, find ich eh erbärmlich.“ Warum er „im Nachhinein die Arschlöcher“ deckt, fragt eine Mitarbeiterin Pascuttinis. Eder: „Weil sie unsere Leut sind, kapierts ihr des alle net?“ Besonders in Schutz nimmt Eder den steirischen FPÖ-Chef Kunasek: Dieser sei „der Unschuldigste im Spiel“.
Die Mühlen der Justiz
Aufatmen kann der blaue Spitzenkandidat deshalb noch nicht. Die StA Klagenfurt führt Kunasek weiter als Beschuldigten und untersucht zudem, ob er Parteigelder für den Bau seines Hauses veruntreut hat. Der steirische FPÖ-Chef weist die Vorwürfe vehement zurück.
Zudem hat sich jüngst das Land Steiermark dem Verfahren angeschlossen, weil auch Landesförderungen missbraucht worden sein könnten. Der Rechnungshof vermutet auch einen Verstoß gegen das Parteiengesetz: Der blaue Gemeinderatsklub habe 2021 wohl 111.000 Euro an Wahlkampfkosten für die FPÖ übernommen und nie zurückerhalten. Der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat (UPTS) wird am 5. November entscheiden, ob dies eine unzulässige Parteispende darstellt, die im blauen Rechenschaftsbericht für 2021 fehlte – und falls ja, wie hoch die Strafe für die FPÖ ist.
Womöglich wird in den nächsten Wochen auch juristisch noch einmal Tempo gemacht: Am 1. Oktober soll die vakante Führung der StA Klagenfurt nachbesetzt werden. Neben Bernhard Weratschnig, der bisher als Gruppenleiter WKStA den Ibiza-Komplex führt, dürfte die Interims-Leiterin der StA Klagenfurt, Tina Frimmel-Hesse, im Rennen um den Leitungsposten sein. Ermittlungserfolge in der politisch heißen Causa könnten ihre Chancen steigern.
Hausdurchsuchung bei einem Toten
Andererseits ortet Pascuttini einen „beispiellosen Justizskandal“ und brachte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die ermittelnde Staatsanwältin ein, deren Vorgesetzte Frimmel-Hesse derzeit ist. Einer der 14 Beschwerdegründe: Der früheren Büroleiter von Ex-FPÖ-Graz-Chef Mario Eustacchio wurde nie einvernommen. Ende April dieses Jahres nahm sich der Mann das Leben. Erst nach einer Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Graz führten die Behörden Razzien in der Wohnung des Toten und seiner Eltern durch. Die StA Klagenfurt hatte zuvor befunden, dass der Verstorbene „in keinem Zusammenhang mit den gegenständlichen Vorwürfen steht“.
Ein Trugschluss: Auf Basis der bei ihm sichergestellten Unterlagen geht die Kriminalpolizei nun „mit Sicherheit“ davon aus, dass der Verstorbene bis zuletzt in die FPÖ-interne Aufklärung der Vorgänge eingebunden war. Beziehungsweise in ihre Vertuschung: Dokumente, die beim Verstorbenen gefunden wurden, zeigen, wie die Freiheitlichen nach Bekanntwerden des Skandals vor allem die Verräter in den eigenen Reihen suchten. So wurden etwa schriftliche „Indizienketten“ angelegt, um Mitarbeiterinnen als mögliche Quellen von Leaks auszuforschen.
Die Freiheitlichen suchten auch nach „Hans Wurst“. Unter diesem Pseudonym wurden Ende Oktober 2021 Excel-Listen über fragwürdige Abrechnungen der Grazer FPÖ an Politikerinnen und Politiker vom Landeshauptmann abwärts verschickt. Ein Rechnungsprüfer der Stadtpartei wollte daher noch einmal detailliert prüfen – und geriet so selbst ins Visier der FPÖ: Die beim verstorbenen Ex-Büroleiter von Eustacchio gefunden Unterlagen zeigen, dass die Freiheitlichen ihn hinter „Hans Wurst“ vermuteten.
Der Rechnungsprüfer selbst gab gegenüber der Polizei an, daraufhin von der Partei unter Druck gesetzt worden zu sein, nicht nur in persönlichen Gesprächen. Spätnachtens sei etwa ein FPÖ-Wagen vor seinem Haus gestanden. Blanko-Eigenbelege, die Eustacchio erhalten haben soll, nannte der Rechnungsprüfer unter Wahrheitspflicht „Scheinrechnungen“. Als er Landesparteichef Kunasek davon erzählte, habe dieser sinngemäß gesagt, „dass bei Eustacchio sicher alles in Ordnung sei und es sich ja um keine großen Beträge handle.“
NS-Material und Missbrauchsbilder
Es wäre nicht das einzige Mal, dass sich Kunasek in einem Kollegen täuscht: Als Pascuttini im September 2022 den Finanzreferenten des Grazer FPÖ-Gemeinderatsklubs, Gerald Lohr wegen des Finanzskandals aus dem Klub werfen wollte, stellte sich Kunasek hinter den Beschuldigten. Am 15. Oktober 2022 führte die Justiz eine Razzia bei Lohr durch. Doch Kunasek und Partichef Kickl warfen nicht Lohr, sondern Pascuttini und dessen Mitstreiterin Claudia Schönbacher aus der FPÖ.
Was Kickl und Kunasek damals nicht wussten: Die Ermittler hatten bei Lohr auch „2587 digitale Schriftstücke mit offensichtlich nationalsozialistischem Hintergrund“ gefunden – und bildliche Darstellungen von Kindesmissbrauch. Da nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Ex-FPÖ-Gemeinderat NS-Material wie „Mein Kampf“ oder „Kampfschriften der obersten SA-Führung“ auch verbreitet hatte, wurde dieser Strang strafrechtlich fallengelassen.
Für den Besitz von 474 sexuell expliziten Fotos von Kindern und Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren stand Lohr am 23. August dieses Jahres vor dem Straflandesgericht Graz. Lohr will die Bilder versehentlich heruntergeladen haben, er habe sich bei Darstellungen von „Teens“ 18- bis 19-Jährige erwartet. Die Richterin schenkte dem keinen Glauben und verurteilte den Ex-Freiheitlichen zu sechs Monaten bedingter Haft und 14.400 Euro Strafe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Auf der Bühne in Graz werden Kickl und Kunasek wohl kaum über Lohrs Verurteilung und ihre eigene Rolle im Grazer Finanzskandal sprechen. Nur in kleinen Details lässt sich erahnen, was die FPÖ-Spitze in Wien von den Vorgängen in der Steiermark hält: Samstagfrüh redet Kickl am Welser Volksfest. Auf der parteieigenen Website wirbt der FPÖ-Chef dafür gemeinsam mit Oberösterreichs Landesparteichef Manfred Haimbuchner. Vom Sujet für den Wahlauftakt in Graz lächelt Kickl allein.