Pflasterspektakel

Pflasterspektakel: Eva Glawischnig auf Wahlkampftour

Reportage. Die Grüne Spitzenkandidatin Eva Glawischnig entdeckt die Straße - und die Leichtigkeit

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Gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden. Die kleine Radautruppe „Resistance for peace“, die am Linzer Taubenmarkt böse Sprüche in die Kameras hält und krachende Botschaften in ihre Megafone brüllt, bis die Polizei sie samt ihrer Gerätschaft wegträgt, trübt die Harmonie gerade so viel, dass sie danach umso echter wirkt.

Der Bundesgeschäftsführer im logogrünen Leinenhemd steht nach dem Zwischenfall prächtig gelaunt in der Nachmittagssonne und federt von einem Bein auf das andere, weil die Stimmung für die Grünen „noch nie so gut“ gewesen sei. Keine Haschtrafikanten-Schmähs, für jedes Lächeln gibt es ein Zurücklächeln, das sagen alle, die dieser Tage unterwegs sind – und wenn es nicht stimmt, dann ist es wenigstens ein recht taugliches Mantra für den Straßeneinsatz.

Der Wahlkampf 2013 ist ein Pflasterspektakel, kein Vergleich zu früher, als sich Grüne mit einem Mikro auf einer Bühne aufpflanzten, um auf ein Publikum einzureden, das fast ausschließlich aus eingeschworenen Grünen bestand. Passanten bekamen das eher zufällig mit. „Jetzt gehen wir auf Augenhöhe, und jeder kann dich ein paar Minuten haben“, sagt Eva Glawischnig zwischen zwei Freiluft-Auftritten.

Aufwärmen im Bobo-Grätzel
Sie hatte sich im Vorjahr einen Sommer lang Zeit gegeben, das Wechselbad in der Menge zu üben, hatte auf Einkaufsstraßen, Bauernmärkten und Hauptplätzen den politischen Smalltalk praktiziert und Kinoabende mit dem Ehrgeiz ausgerichtet, mit jedem Besucher ein paar Takte zu sprechen. Nun köpfelt sie in Gespräche hinein, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
Samstag Nachmittag auf der Wiener Mariahilfer Straße. Glawischnig hat sich in den Stunden davor im grünen Bobo-Grätzel Karmelitermarkt aufgewärmt. Nun marschiert sie in der neuen Begegnungszone auf und ab, umschwirrt von Kameras, Reportern und Grünen, die Knabberzeug und Parteiprogramme verteilen. Der Tross wird von einer elegant schwarz gekleideten Anrainerin gestoppt, die es nicht fassen kann, dass „ausgerechnet die Grünen über alles und jeden drüberfahren“. Die Bezirke sechs und sieben seien voneinander abgeschnitten, die Radfahrer hätten eine Rennstrecke bekommen, wer aber denke an die Kinder, die im 13A-Bus zur Schule fahren: So etwas habe sie „auf der ganzen Welt noch nicht gesehen“. Ein 90-Jähriger tritt mit geballter Faust dazwischen: „Halten Sie durch! Lassen Sie sich vom Bürgermeister nicht Ihren Mut abkaufen!“

Glawischnig streitet wenig und nickt viel. Kritik nehme sie „gerne mit“, sagt sie, wenn der Ton harsch wird. In der Mariahilfer Straße kommt ihr der Satz öfter als sonst über die Lippen. Am Abend, beim Ottakringer Heurigen „10er Marie“, wo sie von einem Tisch zum anderen wandert, braucht sie ihn nicht. Die Grünen haben ihre Wahlhelfer zu Gespritzen und Buffet geladen. „Ich habe noch nie so viele neue Gesichter gesehen“, wird Glawischnig sagen, bevor sie mit ihren Leuten zum Nightwalk aufbricht, einer langen Nacht der offenen Musiklokale am Wiener Gürtel. Sie telefoniert kurz mit den Freunden, die auf ihre Kinder aufpassen, und verschwindet im Mittendrin: Biertische, Händeschütteln, von irgendwo her dröhnen Beats und Gitarrenriffs. Es wird gelächelt und zurückgelächelt. Das Knabberzeug geht weg wie nichts. Ständig blitzt eine Kamera auf. Was für ein Hallo, als die Grünen den Roten – unter ihnen Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Staatssekretär Andreas Schieder und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely – über den Weg laufen. Es ist spät geworden. Glawischnig springt in ein Taxi und verschwindet in der Nacht.

Drei Tage später startet die Eva-Tour durch die Bundesländer. 31 Stationen will die Spitzenkandidatin bis zur Wahl abgeklappert haben. Vergangenen Dienstag rollt der grüne Bus auf der A1 Richtung Niederösterreich. Die Spitzenkandidatin hetzt im grünen Auto hinterher. Eben hat sie in Wien noch die Jugendbroschüre „Eva“ vorgestellt und in St. Pölten im Radio Hörerfragen beantwortet. Nun klettert sie zu ihrem Wahlkampftross in den Bus, auf dem ihr Konterfei klebt. „Eva inside“ steht darauf. Drinnen gibt es Mineralwasser und Steckdosen für Laptops und Mobiltelefone. Der Nationalratsabgeordnete Bruno Rossmann geht seine Unterlagen durch, Umweltsprecherin Christiane Brunner checkt ihre E-Mails.
Um 15 Prozent plus zu schaffen, müssen sich die Grünen aus ihren angestammten Milieus hinaustasten. Kleine und mittelgroße Wirtschaftstreibende, die sich in der Kammer nicht aufgehoben fühlen, liegen bereits in der Erweiterungszone. Auf dem „Wirtschaft ohne Freunderl“-Plakat sieht Glawischnig in der weißen Bluse und der dunklen Business-Hose nicht ganz zufällig wie eine von ihnen aus.

14 Uhr, Betriebsbesuch beim Armaturenhersteller WimTec in Ferschnitz: Der grau gelockte Firmengründer Herbert Wimberger empfängt die Gäste mit Sekt aus Mostviertler Birnen: „Wenn im April hier die Bäume blühen, vergessen Sie alles andere und kommen zu uns. Es ist eine Pracht.“ Während er die Delegation durch die Erfinderabteilung, die Printplattenerzeugung und die Montagehalle lotst, preist er die Innovationskraft seiner Daniel Düsentriebs und lässt gleich auch seine Erwartungen an eine grüne Wirtschaftspolitik einfließen: weniger Regulierung und Bürokratie, Hände weg von der Gruppenbesteuerung. „Und bitte! Vergesst mir nicht auf die Forschung!“

Frau Maresi, die seit 23 Jahren hier arbeitet und demnächst in Pension geht, zeigt der aus Wien angereisten Politikerin, wie man eine Leiterplatte zusammenbaut, bevor der Firmenchef im Kellergewölbe Birnenschnaps und Weichsellikör kredenzt. Seither ist Glawischnig mit ihm per „Herbert“. So sieht Wahlkampf in expansiven Zeiten aus.

Konzernbosse, die den Grünen vor wenigen Jahren noch ausrichten ließen, mit „extremistischen Splittergruppen“ wollten sie nichts zu tun haben, laden ihre Spitzenkandidatin neuerdings zum diskreten Hintergrundgespräch. Es gebe viele Berührungspunkte, sagt Glawischnig: Nachhaltigkeit, erneuerbare Energie, eine an Klein- und Mittelbetrieben ausgerichtete Forschungsförderung, soziale und ökologische Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen.

Glawischnig ist Jahrgang 1969. Anders als die erste Generation der Grünen musste sie „ihre“ Partei nicht erfinden. Als die Tochter eines Kärntner Gastwirts bei der Nationalratswahl 1990 zum ersten Mal ihr Kreuzerl machen durfte, gab es die Grünen schon. Und sie musste sich auch nicht, so wie der Ex-Rote Peter Pilz oder die ehemalige Bürgerliche Gabriele Moser, gegen die Partei abgrenzen, aus der sie gekommen war. Glawischnig zählt zu den Pragmatikern von Global 2000, die sich nicht gescheut hatten, die Anliegen ihres Gentechnik-Volksbegehrens auch über die „Kronen Zeitung“ zu verbreiten. Die Frage, welchem der großen, politischen Lager sie sich zugehörig fühle, habe sie immer „komisch“ gedünkt.

Gelöste Eisenklammer
Berührungsängste entwickelt sie weder bei ÖVP-naher Wirtschaftsklientel noch bei unpolitischen jungen Hedonisten. Was sie lange Zeit einengte, war die rechte Hegemonie in Kärnten, die sie als „unbesiegbar“ empfunden habe, wie sie in einer ruhigen Minute erzählt. Oft war sie als Wahlkämpferin von Gasthaus zu Gasthaus getingelt, erst spät waren die Grünen nur mit Ach und Krach in den Landtag eingezogen. Und dann „bricht plötzlich alles auf“ und Kärnten wird – mit einer Stimme Überhang – rot-grün. Sie habe sich auf das Strache-Duell akribisch vorbereitet, weil sie alles, was sie macht, „gut machen will“. Aber da war auch eine neue Leichtigkeit im Spiel, die Eisenklammer hatte sich gelöst.

Jetzt, da sie das alte Kärnten hinter sich hat, spielt sie mit der angstfreien Gewandtheit der Wirtshaustochter. Auf dem Linzer Taubenmarkt lauert vergangenen Mittwoch ein farbenfrohes, mittelalterliches Paar aus Natternbach auf Prominenz, Hans im orangefarbenen T-Shirt, seine Gefährtin mit giftgrüner Stola. „Alles Gute!“, hat ihnen der grüne Landesrat Rudi Anschober eben ins Notizbuch geschrieben. Nun spitzen die beiden auf ein Erinnerungsfoto mit Eva Glawischnig. Sie kichern wie Teenager, als sie es endlich haben. Ein junger Mann im blauen Leinenhemd, in dessen Hand eine Mineralwasserflasche wie ein lässiges Accessoire baumelt, kämpft sich zur Grünen vor, um über hohe Steuern und teures Bio-Essen zu klagen. Hinter ihm wartet Gerald darauf, etwas loszuwerden. Glawischnig sei im Fernsehen gegen Strache „sehr gut drauf“ gewesen. „Es hat Spaß gemacht“, sagt sie. Noch schwankt ihr Gesprächspartner mit der hohen Stirn und der schwarzen Brille zwischen Neos und Grünen.

Eine Bienenfreundin mit einer Halskette aus bunten Holzringen überreicht ein selbstgemachtes Täschchen. Neben ihr hat sich ein ehemaliges Heimkind in Stellung gebracht. 1980 hatten Erzieher eines staatlichen Heimes dem Mann die Zähne eingeschlagen. „Wann macht ihr Grünen endlich den Mund auf? Gegen Faschismus wird viel getan, jetzt muss sich der Nationalrat auch einmal um uns kümmern.“ Erst nach mehreren Anläufen schafft es Glawischnig, ihm eine Visitenkarte auszuhändigen: „Ich möchte wissen, was Sie von dem Papier halten, das die Grünen ausgearbeitet haben“, sagt sie, um kurz darauf in ein Gespräch über Energiewende, unvermeidlichen Autoverkehr und die verschmähte Schönheit von Windrädern einzutauchen. „Meine Stimme kriegt ihr“, sagt Renée, und seine Gesprächspartnerin dreht sich zu den jungen Mädchen um, die ihre Ansichten zu Schule, Nachmittagsunterricht, faulen Schülern und Lernstress hören wollen.

Um die FPÖ zu überholen, müssen die Grünen die Jungen bekommen, nicht nur den grün-affinen Antifa-Nachwuchs, feministische Studentinnen und Anti-Rassismus-Aktivisten, sondern auch die 16-Jährigen am Wiesenmarkt in Kärnten und in der Wiener Großdisko Praterdome, wo sich die unpolitischen Hedonisten die Nächte um die Ohren schlagen. Die ehemalige ÖH-Chefin und Nationalratskandidatin Sigrid Maurer verteilt dort neuerdings Kondome und das knallige „Eva“- Magazin, über das die Kernwählerschaft, die den Teenie-Jahren entwachsen ist, die Nase rümpft. Glawischnig lässt die Kritik abtropfen: „Ein großer Teil der Menschen beobachtet Politik nicht. Wir wollen auch mit ihnen ein Gespräch beginnen.“
Die Kernthemen bleiben. Am Amstettener Hauptplatz lädt die Grüne in „Evas Wahlkantine“. Es gibt Bio-Bratwürstel, Bier, Limo und eine Live-Band. Die Spitzenkandidatin hält eine Ansprache, mäandert anschließend durch einen Kosmos von Bürgeranliegen, der sich von kalter Steuerprogression bis zu Grätzelpolizei spannt, und landet unversehens in vertrauten Gewässern.

Die örtliche Bürgerinitiative „Pro Ybbs“ hat sich um den Biertisch in der letzten Reihe gruppiert und wartet schon eine Weile darauf, ihre Petition „Retten wir gemeinsam unseren Heimatfluss“ zu überreichen. So ähnlich hatte es bei Glawischnig begonnen: als Vogelschützerin und Kämpferin gegen den Bau der Ennstaltrasse. Der Obmann von „Pro Ybbs“ hegt keine übertriebenen Erwartungen an die Spitzenpolitikerin. Immerhin, er fühle sich verstanden und das Anliegen der Bürgerinitiative decke sich mit dem Plan der Grünen, keine Kraftwerke mehr in Natura-2000-Gebieten zuzulassen.

Glawischnig scheint ganz froh zu sein, einmal nicht über die Mariahilfer Straße reden zu müssen. Sie ist an diesem lauen Sommerabend ganz weit weg.