Nationalratswahl: Sebastian Kurz - jüngster Kanzler in spe
Sebastian Kurz hat seinen Start-Vorsprung ins Ziel gebracht und wird aller Wahrscheinlichkeit nach Österreichs nächster und zugleich jüngster Bundeskanzler. Der 31-jährige Wiener hat es geschafft, der schon für verloren erklärten Bundes-ÖVP als "Neue Volkspartei" so viel Elan zu geben, dass sie am Sonntag erstmals seit 2002 wieder zur stärksten Kraft wurde - und das recht deutlich.
Kurz' Erfolg ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Weder stammt er aus schwarzem Polit-Adel noch gehört er einer starken Landes- oder Bündegruppe an. Letztlich kann er sich auf die Fahnen schreiben, den Wahlsieg im Wesentlichen aus eigener Kraft geschafft zu haben.
Dabei ist Kurz nicht einmal ein außerordentlicher Charismatiker. Er ist ein guter Redner, aber kein mitreißender. Er ist stets höflich und freundlich, hat aber kaum Kanten. Sollte er Humor haben, ist der fürs Private reserviert. Von seinem Privatleben wiederum gibt Kurz allenfalls das nötigste bekannt, behält aber immer Distanz und ist ideologisch durchaus flexibel. Auch seine Hobbys wie Bergsteigen oder Segeln sind nicht exotisch. Liiert ist er seit Schulzeiten mit Lebensgefährtin Susanne.
Trotz dieser reichlich unspektakulären Eckdaten hat es Kurz geschafft, einen geeichten Manager wie Christian Kern und einen erfolgreichen Langzeit-Parteichef wie Heinz-Christian Strache in der Publikumsgunst deutlich hinter sich zu lassen. Dafür gibt es etliche Gründe, vielleicht der wesentlichste davon Kurz' Souveränität.
Häme wegen "Geil-o-mobil"
Als dem damaligen JVP-Obmann im politisch zarten Alter von 24 Jahren vom damaligen VP-Chef Michael Spindelegger das Integrationsstaatssekretariat überantwortet wurde, ergossen sich Kübel voller Häme über den Jus-Studenten, der einer breiteren Öffentlichkeit allenfalls als Erfinder des "Geil-o-mobils" aufgefallen war. Kurz' Scheitern schien vorprogrammiert.
Doch der Neo-Staatssekretär wusste zu gefallen. Schon damals erwies sich seine Fähigkeit, tüchtige Mitarbeiter um sich zu scharen, als entscheidende Tugend. Kurz trug zur Versachlichung der Debatte bei, holte Experten und Promis an seine Seite, von denen er bis heute profitiert.
Als ihn Spindelegger 2013 zum Außenminister machte, war die Häme verschwunden, nur noch Skepsis blieb, ob ein Student im von Standesdünkel nicht gerade freien Außenressort reüssieren würde können. Doch Kurz konnte. Der gerne das Du-Wort strapazierende Ressortchef blieb seiner Linie treu, heuerte fähiges Personal an und etablierte sich rasch.
Zwar gibt es immer wieder Kritik, dass Kurz keine eigenständige österreichische Agenda in der Außenpolitik zusammengebracht habe, doch die Wirkung nach außen verfing. Die Syrien-Friedensgespräche brachten die Weltpolitk nach Wien und die sogenannte Schließung der Balkan-Route, die ohne den von Deutschland orchestrierten Pakt mit der Türkei wohl weniger effektiv gewesen wäre, machte den jungen Außenminister zu einem europäischen Provinzpolitiker, über den man auch nicht mehr in Brüsseler, Berliner oder Pariser Zirkeln ganz so einfach hinwegsehen konnte.
Freilich, die deutlich größere Wirkung erzielte Kurz nach innen, umso mehr mit seinem Nein zu einem türkischen EU-Beitritt oder mit Initiativen wie jener zu einem Burka-Verbot, wiewohl er dieses anfangs selbst noch abgelehnt hatte. Die Story dieses Wahlkampfs war im wesentlichen geschrieben, bevor er überhaupt begonnen hatte. Kurz war es gelungen, der FPÖ die Themen-Hoheit in der Ausländerpolitik zu nehmen. Die unversehens in Bedrängnis geratenen Freiheitlichen konnten den Rückstand bis zum Wahltag trotz einer gelungen Wahlkampagne nicht mehr aufholen.
Markige Ansagen
Kurz hat längst bewiesen, dass er bereit ist mit harten Bandagen zu arbeiten. Diverse, manchmal durchaus fragwürdige Studien zum Islam in seinem Auftrag dienten wohl weniger der Sache als dem eigenen Image. Gleiches gilt für markige Ansagen in Richtung EU, die manchmal durchaus an den in Brüssel geächteten ungarischen Premier Viktor Orban erinnern, dem gegenüber Kurz auffällig mit Kritik spart.
Damit hat der VP-Chef, wie das heutige Wahlergebnis zeigt, durchaus den Nerv der Österreicher getroffen, ebenso wie mit seiner Machtübernahme in der ÖVP, die ihm (freilich realpolitisch nur am Papier) mehr oder weniger einer Alleinherrschaft in der von ihm türkis übermalten Volkspartei zuwies. Auch die ungeklärte Rolle seiner Mitarbeiter in der roten "Dirty Campaigning"-Affäre hat auf Kurz nicht wirklich abgefärbt - ebenso wenig wie Dokumente, die belegen, wie lange er sich schon detailgetreu die Nachfolge von VP-Obmann Reinhold Mitterlehner vorbereitet hat.
Noch verzeiht der Großteil der Österreicher dem jungen Mann, der wie einst Karl-Heinz Grasser breite Wählerschichten einzunehmen versteht, viel. Sein Meisterstück liegt allerdings noch vor ihm. Zwar wird Kurz sich nicht wie dereinst Wolfgang Schüssel mit EU-Sanktionen herum zu schlagen haben, wenn er eine Regierung mit der FPÖ eingehen sollte, doch im Land wird der Widerstand vor allem seitens der Gewerkschaften groß sein, sollte Kurz eine allzu liberale Agenda einschlagen, wie das viele vermuten. Eine gewisse Kaltschnäuzigkeit wird da hilfreich sein - und hier sind sich Fans wie Gegner ausnahmsweise einig - über die verfügt der vermutlich neue Regierungschef in jedem Fall.
Wie sein Arbeitsprogramm aussehen wird, ist noch schwer abschätzbar. Zu erwarten ist, dass er gegenüber der EU einen rescheren Kurs einschlagen wird als bisher von Österreich gewohnt. Aus Imagegründen fast schon gezwungen ist Kurz, eine Verwaltungsreform einzuleiten. In der Wirtschaftspolitik werden die Unternehmer wohl einige Goodies bekommen, in der Steuer- und der Sozialpolitik dürfte der Mittelstand stärker im Fokus stehen als die niedrigsten Einkommen. Bekommt Kurz das alles und den Koalitionspartner in den Griff, könnte mit dem heutigen Tag tatsächlich eine lange neue Ära in der österreichischen Innenpolitik starten.
Zur Person:
Sebastian Kurz, geboren am 27. August 1986 in Wien. 2007-2012 Vorsitzender der Wiener JVP, 2009-2017 Obmann der Bundes-JVP. 2010-2011 Abgeordneter zum Wiener Landtag. Ab Juni 2011 Staatssekretär für Integration, seit Dezember 2013 Außen- und seit März 2014 Außen- und Integrationsminister. Seit Mai 2017 ÖVP-Obmann.