Nationalratswahl: Unsere Zukunft - abgewählt und prolongiert
Manche Begriffe wird man neu definieren müssen. Das Wort Großpartei etwa. Oder den Terminus Große Koalition. Oder die Bezeichnung Volkspartei. Denn groß sind Parteien nicht mehr, wenn sie gerade noch ein Viertel der Stimmen bekommen;eine Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP ist so sie zu Stande kommt kleiner als die seinerzeitige kleine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ in den 1980er-Jahren; und ob eine Partei wie die ÖVP mit gerade noch 23 Stimmprozenten tatsächlich den Anspruch erheben kann, für das Volk zu sprechen, ist zweifelhaft.
Dieser Wahltag war ein Zeitbruch: Fast 95 Prozent hatten die beiden einst so großen Gründungsparteien der Zweiten Republik im Dezember 1945 gemeinsam eingefahren, am Sonntag waren es gerade noch 50,9 Prozent.
Ungewollt, aber eindrucksvoll hat die SPÖ/ÖVP-Regierung fünf lähmende Jahre lang bewiesen, dass eine sogenannte Große Koalition eben keine Probleme löst, sondern nur vertagt. Lehrerdienstrecht, Verwaltungsreform, Pflegereform, Universitäten die Liste der nicht erledigten oder nicht einmal angepackten Politikfelder ist lang.
Dabei hätte diese Regierung über eine historische Chance verfügt zwischen 2010 und 2013 gab es keine einzige Landtagswahl. Ein derartiges Flugloch, in dem auch Unpopuläres anzupacken ist, bietet sich nur einmal in einem Politikerleben. Die nächste dreijährige wahlfreie Periode ergibt sich erst wieder zwischen 2030 und 2033 und das auch nur, wenn kein Urnengang vorverlegt wird.
Die schallende Ohrfeige für die vormals Große Koalition wurzelt auch in ihrerjahrzehntelangen Geschichte der faulen Kompromisse: SPÖ und ÖVP passten nie wirklich zusammen und vergällten sich oft mit Verve gegenseitig den Alltag. Schon ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab (19531961) sprach von zwei zum Zusammenleben Verdammten.
Man agierte schon von Beginn an nach dem Prinzip des Tauschhandels: Als die SPÖ nach dem Krieg große Teile der Metallindustrie verstaatlichten wollte, stimmte die ÖVP nur zu, weil im Gegenzug das Handelskammergesetz, inklusive Pflichtmitgliedschaft, beschlossen wurde. Abgetauscht werden bis heute meist Dinge, die überhauptnichts miteinander zu tun haben, aber die eigene Klientel befriedigen vor allem aber schöne Posten.
Nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 war der Sinn des breiten Bündnisses, eineinheitliches Bollwerk gegenüber den Besatzungsmächten darzustellen, weitgehend geschwunden. Nach zehn Jahren Zwangsehe sehnt sich jeder Ehepartner danach, frei zu sein, titelte die Wochenpresse.
Freilich mangelte es schon damals an Alternativen: Die FPÖ war ein Sammelbecken ehemaliger Nazis, ihr langjähriger Vorsitzender Friedrich Peter entpuppte sich später als Mitglied einer SS-Mordbrigade.
Als Wunderlösung gegen die Zwänge einer Großen Koalition pries ÖVP-Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) Anfang der 1960er-Jahre den koalitionsfreien Raum, der aber in der Praxis eine Farce war: So wurde im Koalitionspakt 1962 penibel festgelegt, wo sich ÖVP und SPÖ keinesfalls überstimmen durften bis hin zum Export von Kälbern (tot) und der Erhöhung des Trinkmilchpreises um 20 Groschen.
Mit dem Ende der Ära Kreisky und dem etwa zeitgleich einsetzenden Aufstieg des Rechtspopulismus in Österreich wurde Mitte der 1980er-Jahre die erste große Zeitenwende eingeläutet: Die großen politischen Lager zerbröselten. Bei jeder Wahl wechselten nun immer mehr Wähler die Partei. Waren bis 1980 Zugewinne oder Verluste von mehr als einem Prozentpunkt geradezu ein Erdrutsch, verlor die ÖVP bei den Nationalratswahlen 1990 fast zehn Prozentpunkte.
Das alles nur auf das Auftauchen des Paradepopulisten Jörg Haider zurückzuführen, greift zu kurz: Auch in Deutschland lagen die Volksparteien CDU/CSU und SPD bei den Bundestagswahlen 2009 gemeinsam nur noch an der 55 Prozent-Marke, jetzt sind es durch den Triumph Angela Merkels wieder 65 Prozent.
Der Zerfall der großen politischen Lager und die damit verbundene Schwächung der Großen Koalition ist auch eine Zeiterscheinung: Die noch in der Ersten Republik und in den ersten Nachkriegsjahrzehnten politisch sozialisierten Generationen, die nie daran dachten, nicht ihre Partei zu wählen, sterben weg. Gleichzeitig zerbröseln viele traditionelle Bindungen: Die Verstaatlichte Industrie wurde kleiner und schließlich privatisiert, die Zahl der von der Landwirtschaft lebenden Österreicher nahm stark ab, die Dörfer wurden verlassen, die Kirche verlor ihren Einfluss, der Organisationsgrad der Parteien und Gewerkschaften ging zurück.
Die einst so großen Parteien sind heute nicht mehr jene Segensbringer, die Jobs, Wohnungen und viele andere Annehmlichkeiten des Lebens vermitteln. Sie haben große Teile ihrer Macht verloren. Die SPÖ traf das obwohl sie wahrscheinlich weiterhin den Kanzler stellen wird mindestens ebenso hart, wie die Volkspartei: Sie hat sich seit den Kreisky-Jahren glatt halbiert.
Vor allem die Misserfolgsserie im anlaufenden Wahljahr zeigt, dass Österreichs immer noch größte Partei auf äußerst wackeligen Beinen steht. Die Bundesheer-Volksbefragung im Jänner: mit 40 Prozent krachend verloren. DerParteitag im November: desaströs vermasselt, Faymann mit 83,4 Prozent abgestraft. Die Landtagswahlen eine Serie von Negativrekorden: das schlechteste Ergebnis seit 1945 in Niederösterreich, Tirol und Salzburg. Von den 13 Wahlen seit Antritt der Regierung Faymann konnte die SPÖ nur eine einzige als Erfolg verbuchen, den Ausnahmen-Urnengang in Kärnten. Die zwölf anderen waren schwere Niederlagen.
Erst spät war Faymanns Kampfgeist erwacht. Das reichte nur noch für ein holzschnittartiges Kernschichtenprogramm von der Reichensteuer bis zu den Pensionen. Außerhalb der verbliebenen Stammwählerschaft konnte der SPÖ-Wahlkampf sichtlich niemanden elektrisieren. Das reichte für Platz eins, aber Sieger sehen anders aus.
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