NATO-Annäherung, weg vom Russen-Gas: Das steht in der Sicherheitsstrategie
Allein an den Korrekturen sieht man, wie lange ÖVP und Grüne an diesem Dokument gearbeitet haben. Bis zum Schluss wurde an einzelnen Passagen gefeilt, Kommentare angemerkt, ganze Sätze rausgestrichen – und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon monatelang verhandelt wurde. Jetzt aber sollen sich die beiden Regierungsparteien tatsächlich auf eine neue Sicherheitsstrategie geeinigt haben. profil liegt ein Letztentwurf vor (Änderungen in letzter Sekunde sind nicht auszuschließen).
Auf 57 Seiten wird die offizielle Linie in wirtschaftspolitischen, verteidigungspolitischen und auch ökonomischen Fragen vorgezeichnet, die auf die Sicherheit der Republik Einfluss haben könnten. Das Dokument gilt als Rahmen für alle Ministerien und öffentlichen Stellen und muss im Parlament beschlossen werden. Wie viele Parteien – neben ÖVP und Grünen – zustimmen, ist allerdings noch völlig offen. Nicht mit allen Passagen wird die Opposition glücklich sein.
Weil dieses Papier so wichtig ist und länger als eine Legislaturperiode gültig sein soll, hatte man sich in der Vergangenheit immer um einen breiten Konsens bemüht. 2013 segneten ÖVP, SPÖ, FPÖ und das Team Stronach die derzeitige Strategie ab. Mehr als zehn Jahre später war die Zeit dann doch dringend reif für eine neue. Denn wie unaktuell das Dokument ist, zeigt sich schon im ersten Absatz: „Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die sicherheitspolitische Agenda.“
Russland will EU destabilisieren
In der neuen Sicherheitsstrategie verschwenden ÖVP und Grüne daher keine Zeile, ohne klarzumachen, dass sich die Zeiten geändert haben. „Die nationale, europäische und internationale Sicherheitslage sowie die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren, insbesondere seit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sowie durch innere und äußere Herausforderungen für die europäischen Werte fundamental verändert“, heißt es gleich im ersten Absatz. Auf den folgenden Seiten kommen die Regierungsparteien immer wieder auf den Ukrainekrieg zurück: „Das Verhältnis zwischen der EU und Russland hat sich seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine fundamental geändert“, lässt sich zum Beispiel nachlesen. Oder: „Im Rahmen seiner hybriden Kriegsführung wird Russland Europa weiterhin auch militärisch bedrohen, mit unterschiedlichen Mitteln herausfordern und versuchen, die Europäische Union und ihr Umfeld zu destabilisieren.“
Es wird noch deutlicher: „Implizite, aber unmissverständliche nukleare Drohungen wurden auch gegen Europa ausgesprochen.“ Russland setze Energie- und Lebensmittelexporte gezielt als Waffe ein. Die Lehren, die Österreich für seine Sicherheit daraus ziehen soll, sind klar: Der Ukrainekrieg verdeutliche, dass „Österreichs Verteidigungsfähigkeit und Resilienz in allen sicherheitspolitischen Handlungsfeldern auf nationaler Ebene im Einklang mit der EU erhöht werden muss“.
„Militärisch neutral, nicht gleichgültig“
Hier könnte es spannend werden. Denn nicht alle Parlamentsparteien werden diese und andere Passagen unterschreiben: „Militärisch neutral zu sein, bedeutet nicht, gleichgültig zu sein, wenn Völkerrecht gebrochen wird und die Souveränität, die territoriale Integrität oder die Unabhängigkeit eines Staates angegriffen wird“, heißt es im Kapitel „aktive Neutralitätspolitik und europäische Solidarität“. In einer solchen Situation sei Österreich im Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen (und der Neutralität) gefordert, gemeinsame Maßnahmen der Europäischen Union solidarisch zu unterstützen.
Die FPÖ werden aber vor allem jene Absätze ins Auge stechen, bei der eine engere Zusammenarbeit mit der NATO beschrieben wird. Zur Erklärung: Österreich bekennt sich weiterhin zur Neutralität und darf demnach keinem Militärbündnis angehören, arbeitet aber seit Jahren auf verschiedenen Ebenen mit dem transatlantischen Bündnis zusammen. Zum Beispiel bei Auslandsmissionen oder der sogenannten NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP). Und das soll nun noch verstärkt werden.
NATO: Kooperationsmöglichkeiten ausschöpfen
Wohlwissend, dass das Thema emotionalisieren wird, liefert das Dokument auch Kontext, unter anderem: „Mit dem im April 2022 vereinbarten individuell-maßgeschneiderten Partnerschaftsprogramm (ITPP) hat Österreich die geeignete Basis, den politischen Dialog auszubauen und die praktische militärische Zusammenarbeit zu vertiefen.“ Und weiter: „Es ist wesentlich, dass wir die Kooperationsmöglichkeiten mit der NATO in den Bereichen Konfliktprävention, Krisenmanagement und kooperative Sicherheit sowie im Interesse der Stärkung der Interoperabilität unserer militärischen Kapazitäten ausschöpfen.“
Auch die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern im Rahmen der EU wird unterstützt.
Soweit zum Konfliktpotenzial im Nationalrat. Innerhalb der Regierung wurden aber vor allem die Passagen zur Energiepolitik hart verhandelt. Auch hier geht es um Russland: Die Grünen bestanden monatelang darauf, die Unabhängigkeit von russischem Gas in der Strategie festzuschreiben. Die ÖVP weigerte sich – bis Finanzminister Magnus Brunner als Kandidat für die EU-Kommission nominiert und die Volkspartei etwas kompromissfreudiger wurde.
Unabhängigkeit von russischem Gas
Im Dokument lässt sich nachverfolgen, dass die Regierungsparteien bis zum Schluss um Sätze wie den folgenden rangen: „(...) weswegen es dringend geboten ist, die Energielieferungen aus Russland zu beenden.“ Geeinigt haben sich die Parteien darauf, dass durch Abhängigkeiten eben auch Risiken entstehen, „etwa im Bereich kritischer Rohstoffe“ und „Energieträgern“. Dann wird es etwas deutlicher: „Im Sektor Energie ist der Einsatz des netzgebundenen Energieträgers Gas so rasch wie möglich zu reduzieren.“ Und auch die Abhängigkeit von russischen Energieeinfuhren, wie es genannt wird, soll beendet werden – allerdings im Einklang mit der Europäischen Union.
Bis 2027 will man kein russisches Erdgas mehr beziehen. Und auch Gasheizungen in Wohnungen sollen der Vergangenheit angehören. Die Grünen wollten den Einsatz „schnellstmöglich beenden“, nun liest es sich im Papier folgendermaßen: „Im Bereich der Raumwärme sollte aus Gründen der Versorgungssicherheit der Einsatz von gasförmigen Energieträgern so rasch wie möglich reduziert werden.“ Denn je mehr heimische erneuerbare Ressourcen genützt werden, desto resilienter und unabhängiger wird auch die Republik.
Und sonst?
Und was steht sonst noch im Papier? Nachrichtendienste sollen – ohne näher auf Details einzugehen – „zur Unterstützung der gesamtstaatlichen Lagebeurteilung“ im Rahmen der militärischen Landesverteidigung „personell, materiell und legistisch an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden“. Auch dem Verhältnis zu China widmet sich die Sicherheitsstrategie: Das Land sei „gleichzeitig Partner, Konkurrent und systemischer Rivale“. Auch innenpolitische Debatten haben ihre Spuren hinterlassen: „Das Vertrauen der Bevölkerung in die unabhängige Strafverfolgung und den Rechtsstaat kann durch Korruption nachhaltig erschüttert werden.“
Verhandelt wurde tatsächlich bis zum Schluss um jedes Wort: Zum Beispiel, ob man den Begriff „Klimakrise“ oder „Klimawandel“ benutzen soll.