Neisser: „ÖVP hat kein Recht mehr, sich als Europapartei zu bezeichnen“

Scharfe Kritik des ÖVP-Politikers und EU-Experten Neisser an Bundeskanzler Kurz.

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In einem Interview in der Sonntag erscheinenden Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil übt der langgediente ÖVP-Politiker und EU-Experte Heinrich Neisser scharfe Kritik an den EU-Wahlkampftönen von Sebastian Kurz.

Der Bundeskanzler und ÖVP-Chef hatte Brüssel „Regelungswahnsinn“ und „Bevormundung“ vorgeworfen. Dazu sagt Neisser: „Das ist die klassische Erzählung der populistischen, neonationalistischen Bewegungen, die den europäischen Integrationsprozess prinzipiell in Frage stellen.“ Diese würden mit dem Argument der Überregulierung und der Bevormundung durch Brüssel arbeiten. „Wenn das, was Kurz verlangt und formuliert hat, die aktuelle Linie der ÖVP ist, hat sie kein Recht mehr, sich als Europapartei zu bezeichnen.“

Neisser prägte die Partei seit den 1960er-Jahren als Staatssekretär, Minister, Klubobmann und Zweiter Nationalratspräsident mit. Zuletzt forschte und lehrte er über die Europäische Integration. Die NEOS beriet er in Europafragen. Das ändere aber nichts an seiner Zugehörigkeit zur Volkspartei, betont Neisser.

Auch der frühere Bankmanager und langjährige ÖVP-Abgeordnete Michael Ikrath, der heute für die Wirtschaftskammer im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sitzt, zeigt sich befremdet: „Den Vorstoß von Kurz am Beginn des Wahlkampfes, die EU-Verträge zu ändern, empfand ich als sehr positiv. Deswegen bin ich fassungslos über seinen Schwenk hin zu einem Wording der EU-Gegner. Kurz müsste mit seiner hohen Popularität und Überzeugungskraft der Feindbildpolitik entgegenwirken, nicht diese verstärken.“