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NEOS: Die kleine Partei erlebt einen Höhenflug. Zu Recht?

NEOS. Die kleine Partei erlebt einen Höhenflug in den Umfragen. Zu Recht?

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Ein Dachloft im siebten Wiener Gemeindebezirk: An der linken Wand steht ein langer Besprechungstisch mit Plastiksesseln, dahinter ein Wuzzler. Rechts wurden ein paar Alu-Stehtische platziert, gleich daneben führt eine Treppe auf die Südterrasse. In der Mitte des grauen Teppichbodens prangt eine große pinkfarbene Fläche in Form einer Sprechblase, rundherum wuchern Grünpflanzen. Zwischenwände gibt es nicht, sondern nur ein paar mit Glas abgetrennte Bereiche. Für einen Weitblick über Wien ist das Haus nicht hoch genug, aber die Aussicht auf Dachgiebel und andere Terrassen macht ja auch Freude.

Überraschungsteam
In Lofts wie diesem logieren häufig junge Architekturbüros und Werbeagenturen. Im obersten Stock des Hauses Neustiftgasse 73–75 hat vor Kurzem aber eine politische Partei Quartier bezogen. Die NEOS, das Überraschungsteam der vergangenen Nationalratswahl, richteten hier ihre Zentrale ein. „Neosphäre“ nennen sie ihr Refugium – und es ist vermutlich Absicht, dass auch dieser Name mehr nach Werbeagentur klingt als nach Aktenordnern mit politischem Kleinkram.

Am Mittwoch Vormittag letzter Woche ist die Neosphäre fast leer. Die meisten Mitarbeiter sind unterwegs. Beate Meinl-Reisinger, Abgeordnete zum Nationalrat und Sprecherin der Wiener Landespartei, ist da und kann Erfreuliches berichten: „In Wien sind wir jetzt komplett. Wir haben alle Bezirkskoordinatoren ernannt.“ Ob die Damen und Herren bei der Landtagswahl im Herbst 2015 tatsächlich als Spitzenkandidaten in ihren Bezirken antreten werden, ist aber längst nicht fix. Sie müssen es erst einmal durch das komplizierte Auswahlverfahren der NEOS schaffen. Dafür weiß Meinl-Reisinger jetzt schon, worüber sie sich am Wahlabend freuen will: „Unser Ziel ist ein zweistelliges Ergebnis. Ich glaube, das können wir schaffen.“

Noch im Sommer vergangenen Jahres galten die NEOS als grundsätzlich sympathisches, aber völlig chancenloses Polit-Experiment. Der Restbestand des Liberalen Forums, ein paar Ex-ÖVP-Leute und ein hyperaktiver, zu Marketing-Esoterik neigender Chef: Dergleichen habe in Österreich keine Aussicht auf Erfolg, hieß es. Dazu kam, dass die NEOS im Rennen um Aufmerksamkeit neben den etablierten Parteien lange fast leer ausgingen. Matthias Strolz, der Gründer und Spitzenkandidat, bekam keine Auftritte im Fernsehen und auch sonst wenig Gelegenheit, seine Sicht der Welt zu präsentieren.

Doch wenige Wochen vor der Wahl gab der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner bekannt, dass er die NEOS nicht nur finanziell unterstütze, sondern im Fall einer Regierungsbeteiligung gern Minister werden würde. Obwohl Haselsteiner gar nicht auf der Kandidatenliste stand, wirkte sein Name wie ein Turbo. Bei der Nationalratswahl reichte es schließlich für fünf Prozent der Stimmen und neun Sitze im Parlament. Aus dem Stand und beim ersten Versuch ist dieses Kunststück in der heimischen Geschichte noch nie einer Partei gelungen. Glaubt man den seither veröffentlichten Umfragen, war das längst nicht der Plafond. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup würden 15 Prozent der Österreicher für die NEOS votieren, wenn jetzt eine Nationalratswahl anstünde. Bei der Wahl zum Europaparlament im Mai dürfen sie nach Ansicht vieler Experten ebenfalls mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen. Matthias Strolz ist derzeit der beliebteste Chef einer Oppositionspartei.

Sind die NEOS wirklich so gut?
Schön langsam wird es unheimlich. Die österreichische Polit-Szene gilt eigentlich als behäbig. Blitzkarrieren dieses Zuschnitts sollten da gar nicht möglich sein. Sind die NEOS wirklich so gut? Oder reicht es dieser Tage schon, wenn Mandatare bestens gelaunt und dynamisch wirken, anstatt ewig nur darüber zu jammern, was sich alles nicht umsetzen lässt?

Die politische Konkurrenz tut sich jedenfalls schwer mit den neuen Kollegen. Vor allem ÖVP und Grüne, aus deren Wählerreservoirs die meisten NEOS-Stimmen kamen, kiefeln an der Frage, wie sie mit dem Mitbewerber umgehen sollen. Ignorieren wäre eine Möglichkeit. Aber das hat sich schon im Nationalratswahlkampf nicht bewährt. Nach Kräften bekämpfen ginge auch. Aber damit macht man erst recht Werbung für die Aufsteiger. Vielleicht zu Tode umarmen? Schwierig bei einer Partei, deren Chef nach eigenen Angaben mitunter in den Wald stapft, um Bäume zu knuddeln. Umarmen kann Matthias Strolz besser als die anderen.

Bis zum Beweis des Gegenteils setzt ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka auf das zwangsläufige Vergilben alles Irdischen: „Von Tag zu Tag nimmt der Glanz des Neuen ein wenig ab. Das wird auch bei den NEOS so sein“, meint er optimistisch. Innerhalb der Grünen gehen die Strategien auseinander. Michel Reimon, Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, bemüht sich um eine scharfe Abgrenzung: „Die NEOS sind Lakaien der Großindustrie. Sie wollen Deregulierung und niedrigere Sozialstandards. Das ist das Gegenteil von uns“, erklärte er jüngst. Die Salzburger Landeshauptmannstellvertreterin Astrid Rössler hält die pinke Truppe dagegen für recht nett: „Ich könnte mir eine Regierungszusammenarbeit durchaus einmal vorstellen.“

Erfolgsgarantie
Auf der Suche nach einer professionellen Einschätzung der Lage landet man schnell bei Wolfgang Bachmayer. Er ist Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM und sagte den Parlamentseinzug der NEOS präzise voraus. Außerdem hat Bachmayer ganz persönliche Erfahrungen mit Parteigründungen: In den 1990er-Jahren engagierte er sich kurz im Liberalen Forum und weiß somit, was nach einem gelungenen Start alles schiefgehen kann. Doch Bachmayer glaubt nicht an eine Wiederholung der Tragödie: „Noch nie hatte eine neue Partei so gute Karten wie die NEOS jetzt. Allein der Wahlkalender in den nächsten eineinhalb Jahren ist praktisch eine Erfolgsgarantie.“ Jenseits der Zehn-Prozent-Marke sieht Bachmayer die Partei unter anderem bei den Gemeinderatswahlen in der Stadt Salzburg, bei den EU-Wahlen und bei der Landtagswahl in Vorarlberg, wo der gebürtige Bludenzer Matthias Strolz Heimvorteil genießt. „Die Ausgangslage ist so perfekt, dass sie eigentlich nur über sich selbst stolpern könnten“, meint der Experte.

Prestige-Erfolg
Bis jetzt sind keine gröberen Schnitzer passiert. Die NEOS landeten kürzlich sogar einen Prestige-Erfolg, als sie mittels parlamentarischer Anfrage den Inhalt einer bis dahin geheim gehaltenen Studie über die Hypo Alpe-Adria publik machten. Die miserable Performance der Regierung hilft natürlich sehr. Und im Vergleich zum Team Stronach, ebenfalls neu im Hohen Haus, wirken die NEOS geradezu staatstragend. Obwohl die Parlamentsriege aus ideologisch unsortierten, selbstbewussten Freiberuflern besteht, wurden bisher keine größeren Streitereien aktenkundig. Stoff dafür gäbe es mittelfristig aber genug. Matthias Strolz etwa ist bekennender Katholik, der Abgeordnete Niko Alm machte sich vor zwei Jahren mit einem Nudelsieb auf dem Kopf über die Privilegien von Religionsgemeinschaften lustig.

Nach der reinen Lehre müsste es sich eigentlich rächen, dass niemand genau weiß, wofür die Neulinge eigentlich stehen. Eine Definition gelingt nur mittels Abgrenzung zu den anderen Parteien: Die NEOS sind liberaler als die ÖVP, wollen mehr Marktwirtschaft als die SPÖ, plädieren für weniger Verbote als die Grünen und sind gegen den Rechtspopulismus der FPÖ. Außerdem sollen sowohl die Steuern als auch die Schulden gesenkt werden. Ein stabiles Gerüst ist das noch nicht. „Wir stehen für Reformen und für eine vernünftige Politik“, sagt Angelika Mlinar, die Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl. „Jeder Einzelne hat die Kraft, etwas zu verändern.“

Parteichef Strolz hält die „Kombination aus Idealismus und Professionalität“ für unschlagbar und ist stolz auf den neuen Stil des Umgangs: „Für uns gibt es kein ‚entweder oder’, wir stehen für das ‚sowohl als auch’.“ Diese Schwammigkeit sei sogar ein Vorteil, meint Wolfgang Bachmayer: „Man könnte sagen, sie sind politisch noch interpretationsoffen.“ Das Liberale Forum habe sich seinerzeit zu sehr an Randthemen wie den Kruzifixen in Österreichs Schulen festgekrallt und war deshalb für viele Menschen nicht mehr wählbar.

Allerdings zeigen sich die Sollbruchstellen einer Partei meistens erst, wenn die Erfolge ausbleiben. Im Moment sind die NEOS besonders stolz auf ihr System der „Offenen Vorwahlen“, dem sich Kandidaten stellen müssen. Gegen einen Registrierungsbeitrag von zehn Euro kann jeder Österreicher mitbestimmen, wer in der Partei für welches Amt kandidieren darf. Das Regelwerk ist aufwendig, anfällig für Missbrauch – und bei Licht betrachtet ein Etikettenschwindel. Denn zu zwei Drittel entscheidet letztlich doch die Partei über ihr Personal. Sobald die Mühen der Ebene anfangen, ist Zoff damit vorprogrammiert.

Die NEOS wollen derzeit alles besser, moderner und bürgernäher machen als andere Parteien. Im Detail wirkt das mitunter reichlich bemüht. Geplant ist etwa ein sogenannter „Resonanzboden“, auf dem Nicht-Mandatare Manöverkritik üben können. Wissenschaftlich untersuchen möchte man auch, warum sich trotz größter Bemühungen weniger Frauen als Männer für diverse Ämter bei den NEOS bewerben. In den Bundesländern soll es keine Partei- und Bezirksorganisationen geben, sondern Regionalteams. „Wir wollen den Föderalismus nicht nachbilden“, erklärt der Landessprecher von Oberösterreich, Rainer Hable. Ist ein Regionalteam groß genug, könnten Ableger in die jeweiligen Gemeinden geschickt werden. Kürzlich sei jemandem dafür der Begriff „Setzling“ eingefallen, erzählt Hable begeistert: „Ich finde, das trifft es gut.“

Manchmal ist es doch schade, dass Josef Cap kaum noch zu Wort kommt. Dem alten Zyniker würde zu den Setzlingen und Resonanzböden bestimmt etwas einfallen.

„Ich bin da ganz ehrlich”
Diffus ist das Verhältnis der NEOS zu ihrem Gönner Hans Peter Haselsteiner. Trotz der fünf Millionen Euro jährlicher Parteienförderung ist die Truppe nach wie vor klamm und freut sich über milde Gaben. Der Multimillionär sitzt für die Partei im ORF-Stiftungsrat, habe sonst aber nur die Funktion eines Senior-Advisors, erklärt Matthias Strolz. „Manchmal nehmen wir eine Idee von ihm auf, manchmal nicht.“ Neulich schlug Strolz zum Beispiel vor, das Verhältnis zu Russland neu zu definieren und über einen EU-Beitritt des Landes nachzudenken. „Das war eine Anregung von Hans Peter Haselsteiner. Ich bin da ganz ehrlich“, sagt Strolz. Haselsteiners Baukonzern Strabag hat bekanntlich einen russischen Miteigentümer. Durchaus vorstellbar, dass der Tycoon nicht nur das Wohlergehen der EU im Sinn hat.

Wie Matthias Strolz ohne Not diese Geschichte preisgibt, ist allerdings schon wieder entwaffnend. Vielleicht kann man so wirklich Politik machen. Wenn nicht, war es zumindest den Versuch wert.

Bild: www.sebastianreich.com

Rosemarie Schwaiger