Nationalratswahl 2024

Neos: Die Hoffnung auf Schwarz-Rot-Pink wächst

Die Neos verzeichnen sanfte Zugewinne. Nach 12 Jahren Parteigeschichte stehen die Chancen nicht schlecht, zum ersten Mal mitregieren zu können.

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Im Salonplafond, dem Innenstadtrestaurant im Museum für Angewandte Kunst, bricht kurz nach 17 Uhr Jubel aus. Es ist noch unklar, ob er gerechtfertigt ist. Man ist stolz auf diesen Wahlkampf, Generalsekretär Douglas Hoyos bedankt sich bei den „Aktivist:innen“, den Wahlkampfhelfern. Die Neos haben zwar dazu gewonnen, ganz spürt man die Erleichterung jedoch noch nicht. 

Werden die Neos endlich mitregieren dürfen? Darauf hoffen die hier Anwesenden. Und darauf, dass die ÖVP ihr Versprechen einhält – und tatsächlich nicht mit der stark dazu gewinnenden FPÖ koalieren wird. Eine gute Nachricht für die Pinken: Die Kleinparteien schaffen den Einzug in den Nationalrat nicht, dafür erhalten die Neos ihr bestes Ergebnis bisher.

Doch die Stimmung ist gedrückt. Viele hier hätten sich ein besseres Ergebnis erwartet, manche gar von 12 Prozent geträumt. Es ist zu spüren, wie stark man versucht, realistisch zu bleiben. „Es wird wahrscheinlich nicht viel zum Feiern geben“, sagt ein Besucher auf dem Weg zur Wahlparty, „aber dafür viel zum Trinken.“ 

Noch liegt kein Endergebnis vor, Generalsekretär Hoyos sieht ein zweistelliges Ergebnis im Lauf des Abends zunächst noch in Reichweite. „Wir haben als einzige Partei in der Geschichte zum vierten Mal in Folge zugelegt“, sagt Hoyos zum Ergebnis. „Aber nur leicht“, schwingt hier unausgesprochen mit. Bei dieser Wahl „gibt es zwei Gewinner“, sagt Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, „die für Veränderung stehen“: Die FPÖ (29,1 Prozent) und eben die Neos. Die Frage ist, so die Spitzenkandidatin, wohin diese führe.

Eine Dreierkoalition wäre die einzige Chance der Neos auf ein Regierungsamt. Um eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen, könnten sie wohl nur den kleineren Partner von ÖVP und SPÖ spielen. Wie auch immer die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen ausgehen: Meinl-Reisinger kann das heutige Ergebnis jetzt schon als Sieg verkaufen.

Dass die Neos hier nicht im „Driving Seat“ sitzen, also das Lenkrad sprichwörtlich in der Hand halten, ist ihren Anhängern bewusst. Die Entscheidung müssten die anderen Parteien treffen.

Beate Meinl-Reisinger schaffte es in der Vergangenheit immer wieder, sich als Parteichefin zu behaupten. Trotz Abgängen und Wahleinbußen blieb ihre bürgerliche Partei stabil. Bei der Nationalratswahl 2019 kamen die Neos auf 8,1 Prozent der Stimmen. Die Hoffnungen auf ein weiteres Wachstum erfüllen sich auch heuer, wenn auch nach derzeitigem Auszählungsstand nur marginal.

Doch schafft es die Obfrau heuer wieder nicht, die Pinken in eine Regierung zu führen, so könnte dies durchaus am Selbstbewusstsein der Partei rütteln. Die Neos wollen mitregieren – außer mit den Freiheitlichen, wie Meinl-Reisinger mehrmals festhielt.

Noch am Freitag, beim pinken „Zukunftsfest“, dem Wahlkampffinale der Neos, zeigte sich Spitzenkandidatin „Beate“ siegessicher, am heutigen Sonntag „Geschichte“ zu schreiben. Sie drehte Runden durch die Menge, ihr grauer Anzug ein Kontrast zur pink geschmückten Freyung. Sie verteilte Umarmungen und Luft-Bussis. Einmal noch präsentieren die Neos ihre Lieblingsthemen: Bildung, Transparenz, Wirtschaft. Ein Kind zoomte mit der Handykamera an Meinl-Reisinger heran, wie sie auflacht, als Europa-Abgeordneter Helmut Brandstätter die Anekdote erzählt, wie seine Jeans auf der Wahlkampftour zerrissen. Später gab sich der Hotelier und Wieder-Neos-Kandidat Sepp Schellhorn auf der Bühne wütend: „Jede Reform scheitert an den Landeshauptleuten.“ Deswegen, sagte er, „wollen wir in die Regierung.“ 

Es kam nicht gerade gelegen, dass der ehemalige Parteichef und Neos-Gründer Matthias Strolz nur fünf Tage vor der Wahl auf X bekannt gab, seine Mitgliedschaft gekündigt zu haben. Er wolle an diesem Sonntag zwar die Neos wählen, verabschiede sich jedoch von der Parteipolitik. In einem Gespräch mit profil wollte Strolz das Wahlergebnis der Neos nicht öffentlich kommentieren.

Als der Parteigründer 2018 „dem Ruf seines Herzens“ folgte und die Parteispitze verließ, ließen sich die Neos nicht verunsichern. „Eine 20-Prozent-Kraft“ wollten sie werden, sagte Strolz damals. Diese Erwartung wurde bald zurückgeschraubt, doch eine Ambition blieb seit dem Einzug ins Parlament 2013 ungebrochen. Sie lautet: als „einzige unverbrauchte Reformkraft“ mitregieren.

Die Macht der Städte 

Auch diese Wahl werden die Städte für die Neos entscheiden, wo sie traditionell mehr Wähler:innen überzeugen können. Am Land fehlen der Partei noch die Strukturen und eine treue Anhängerschaft. Die Landtagswahl in Salzburg zeigte dies deutlich. Mit dem desaströsen Ergebnis von 4,2 Prozent verloren die Pinken ein Drittel ihrer Wähler:innen, flogen aus dem Landtag und aus der Landesregierung. In Kärnten ist die Partei noch schlechter aufgestellt. Bei der Landtagswahl 2023 erreichten die Neos nur 2,6 Prozent.

Dennoch gelingt es ihnen immer wieder, Wähler und Wählerinnen dazu zu gewinnen. In Wien stellen sie mit Christoph Wiederkehr den Vizebürgermeister. 2020 zählten die Neos zu den Wahlsiegern der Gemeinderatswahl. Mit 7,47 Prozent konnten sie ihre Mandate von fünf auf acht steigern. Seither regieren sie mit der SPÖ in Wien. In der Stadtregierung geht es den Neos ähnlich wie den Grünen in der Regierungskoalition – sie müssen sich neben einem starken Koalitionspartner behaupten. Bildung und Integration, die Ressorts, die ihnen die SPÖ zuteilte, sind nicht gerade beliebt. Wiederkehr wird öfter Sündenbock als Vizebürgermeister genannt.

Nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen

Das Ziel für die Nationalratswahl laut Generalsekretär „Duxi“ (Douglas Hoyos) bei einem Gespräch im Juni: „zweistellig mit einem Einser vorne“. „Wir werden oft gefragt, mit wem wir koalieren wollen“, erzählte Pressemann Julian Steiner später. Und verriet auch schon die gewünschten Koalitionspartner: „Die Frage muss man der ÖVP und SPÖ stellen: Sind sie bereit, in diesem Land etwas weiterzubringen, anstatt sich in eine Koalition mit der FPÖ zu flüchten, nur weil es angenehmer ist.“

Ob die Neos 12 Jahre nach ihrer Gründung in einer Regierung „Geschichte schreiben“ dürfen, wie Parteichefin Meinl-Reisinger beim Wahlkampffinale verkündete, werden die kommenden Wochen zeigen. Ein kleines Stück Parteigeschichte schreiben sie, sollte ihr Stimmenzuwachs halten, schon heute. 

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.