Neue Rekonstruktion: Wiener IS-Attentäter spähte Tatort aus

Über zwanzig Minuten kundschaftete Attentäter K.F. den Tatort aus, ehe er am 2.11.2020 zuschlug. Sein Schussverhalten beurteilen Ermittler als „geschult und vertraut.“

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Knapp ein Jahr nach dem Wiener Terroranschlag steht für die Ermittler fest: Der Attentäter K. F. handelte zumindest in der Tatnacht allein. Ein aktueller Zwischenbericht des Wiener Verfassungsschutzes schildert nun minutiös den Tatablauf und das Bewegungsprofil des Attentäters, anhand zahlreicher Überwachungskameras. Beklemmend: Über zwanzig Minuten kundschaftete K.F. den Tatort aus, ehe er am 2.11.2020 zuschlug. Sein Schussverhalten beurteilen die Ermittler als „geschult und vertraut.“ Minuten vor dem Anschlag wäre das Attentat laut dem 26-seitigen Bericht möglicherweise noch verheerender ausgegangen. 

Es ist 17.44 Uhr, als K. F. seine Gemeindebauwohnung in Wien-Donaustadt verlässt. Der Attentäter trägt eine schwarze Haube und eine dunkle Daunenjacke über einem weißen T-Shirt. In einer bunten Tragetasche befindet sich – abgedeckt mit einem weißen Stofftuch – das Sturmgewehr der Bauart AK-47. Später werden Spürhunde entlang der Strecke bis zum Schwedenplatz mehrmals anschlagen. Die Ermittler sind deshalb überzeugt, dass K. F. allein und zu Fuß unterwegs war. Um 19.20 postet er Fotos in den sozialen Medien: „Der Islamische Staat bleibt“, so das darunter stehende Bekenntnis zur Terrormiliz.

Gegen 19.30 erscheint er auf den ersten Überwachungskameras des Wiener Schwedenplatzes (siehe Karte). Sein zurückgesetztes Handy wirft er in einen Mistkübel. Mit den versteckten Waffen befindet er sich bereits mitten im Geschehen. An den zahlreichen Imbissbuden und am Ende der Rotenturmstraße herrscht bei milden Temperaturen reges Treiben. Es ist der letzte Abend vor dem zweiten Corona-Lockdown, und vor allem junge Menschen treibt es nach draußen. Doch K. F. handelt nicht überstürzt. 

„Zielstrebig und steten Schrittes“ bewegt er sich bis zur Marc-Aurel-Straße, notieren die Ermittler. Um 19.36 Uhr steht er vor dem geschlossenen „Le Salzgries“ – ein französisches Restaurant, dessen Nummer er einige Stunden zuvor gewählt hat. Dann gelangt er über die Theodor-Herzl-Stiege um 19.39 Uhr hinauf zum sogenannten Bermudadreieck – und steht damit, 20 Minuten vor dem Attentat, bereits direkt am Tatort. 50 bis 60 Personen sitzen in den angrenzenden Schanigärten. „Er dreht sich um, macht sich einen Überblick über den dortigen Bereich“, so das Fazit der Polizei.

Dann geht der Attentäter einmal um den gesamten Häuserblock über den Hohen Markt, und geht noch zweimal am französischen Restaurant „Le Salzgries“ vorbei, gegen 19.47 Uhr wieder zurück über die Treppe. An der Theodor-Herzl-Stiege adjustiert er laut Bericht mutmaßlich seine Waffe, anschließend geht er „zielstrebig“ um 19:55 Uhr in einen Durchgang zwischen Seitenstettengasse und Ruprechtskirche. Offensichtlich wird er hier von zwei Passantinnen gestört. Er zeigt sich „auffällig-unauffällig umblickend“, zupft sich nervös an Bart und Mütze. Die 20-minütige Auskundschaftung endet schließlich am Desider-Friedmann-Platz. Erst hier, vor einem geschlossenen Hoteleingang, entledigt er sich seiner Jacke – und feuert los: Uhrzeit: 19.59.

"Aus glücklicher Fügung" nicht mehr Opfer

Es sei „eine glückliche Fügung“, dass es nicht noch mehr Opfer gab, schreiben die Ermittler im Bericht. So habe sich nur wenige Minuten vor der Tat die Zahl an Fußgängern am Tatort mehr als halbiert. Verstörend erscheinen auch das „gute Handling“ und die „griffsicheren Nachladevorgänge“ des Attentäters, die von den Beamten in ihrem Bericht bemerkt werden. Im „Schussverhalten der Waffe“ war er „geschult und vertraut“. „Allein durch Trockentraining und aus YouTube-Videos erscheint es von ho. unmöglich, sich solche einschlägigen Fähigkeiten und Kenntnisse selbst beizubringen“, so die Ermittler. Bemerkenswert befinden die Beamten auch die Schussabgaben im  Bereich unterhalb der Ruprechtskirche, wo ein WEGA-Beamter K.F. um 20:08 erschießen sollte. Dort hat der Attentäter zweimal einen abladenden Tankwagen Nahe der Tankstelle getroffenOb durch die Schussabgabe in Richtung des Tankwagens eine Feuerbrunst verursacht werden sollte, bleibt Spekulation.” 

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