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Neuer ÖVP-Chef Stocker für Koalition mit Kickl offen

Der scheidende Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird sein Amt im Laufe der kommenden Woche übergeben. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird morgen FPÖ-Obmann Herbert Kickl zu Gesprächen einladen. Neo-ÖVP-Chef Stocker würde in Regierungsverhandlungen mit der FPÖ eintreten.

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Nachdem am Samstag die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ geplatzt sind und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seinen Rückzug als Regierungschef und Parteiobmann ankündigte, hat die Volkspartei Generalsekretär Christian Stocker zum geschäftsführenden ÖVP-Obmann bestimmt. In die Funktion des Generalsekretärs folgt ihm der 34-jährige Alexander Pröll, bisher als Bundesgeschäftsführer nach Innen in der Partei tätig, nach. 

Wie es nun in der Republik weitergeht, hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen Sonntagnachmittag in einem ersten Statement zu den geplatzten Koalitionsverhandlungen erklärt.

„Man denkt, man kennt die Lage und hat schon wirklich alles erlebt und dann kommt wieder eine neue Situation“, so Van der Bellen. Der scheidende Bundeskanzler Karl Nehammer habe ihm in einem Gespräch rund um die Mittagszeit zugesichert, dass es eine geordnete Übergabe im Laufe der kommenden Woche geben wird. Bis dahin wird Nehammer weiterhin im Amt sein, Van der Bellen dann einen neuen Bundeskanzler der amtierenden Regierung ernennen.

Wie es bezüglich einer Regierungsbildung weitergeht, blieb offen. Bundespräsident Van der Bellen kündigte an, FPÖ-Chef Herbert Kickl am morgigen Montagvormittag zu einem Gespräch in die Hofburg einzuladen.

Stocker begrüßt Gespräche mit Kickl

„Der heutige Tag ist auch für mich ein ereignisreicher Tag“, sagt der geschäftsführende Bundesparteiobmann Christian Stocker in seinem ersten Statement um kurz nach 15 Uhr. „Ich begrüße die Entscheidung des Bundespräsidenten, den Obmann der stimmenstärksten Partei zu einem Gespräch zu treffen“, so Stocker. Seine wohl wichtigste Aussage an diesem Nachmittag: Er spricht sich für einen Regierungsbildungsauftrag für die FPÖ aus. Sollten die Freiheitlichen diesen Auftrag bekommen und die ÖVP zu Sondierungsgesprächen einladen, werde er der Einladung folgen. „Dazu wurde ich vom Bundesparteivorstand auch ermächtigt“, sagt Stocker. Auf seine kritische Haltung und seinen Wortmeldungen gegenüber Kickl angesprochen sagte Stocker, dass er ähnliche Töne auch in Richtung Andreas Babler getroffen habe. An Verhandlungen mit der SPÖ gehindert habe auch das die ÖVP nicht.

Ob es Verhandlungen mit der FPÖ geben werde oder nicht, liegt laut Stocker nun am Bundespräsidenten und folgend an den Freiheitlichen selbst. Etwaige Schuldzuweisungen zu den geplatzten Verhandlungen mit der SPÖ wollte Stocker am Sonntag nicht mehr kommentieren.

Wie sich die ÖVP von der FPÖ distanzierte

Stocker macht es sich mit seiner Haltung bezüglich der FPÖ am Sonntag allerdings etwas einfach. Denn er und seine Partei äußerten sich um einiges kritischer gegenüber eine Koalition mit Kickl als etwa mit Andreas Babler. Spannend ist auch, wie die Distanzierung zur FPÖ unter Kickl begann. Nicht die fehlende Abgrenzung zum rechten Rand war der Anlass dafür, auch nicht die Ablehnung zur Corona-Schutzimpfung, ja auch nicht die harschen Töne über angebliche Systemparteien. Der Auslöser dafür, dass die Volkspartei offiziell eine Koalition mit der FPÖ unter Herbert Kickl ausschloss, war ein völlig anderer: der Raketenschutzschirm Sky Shield – ein Projekt von mehreren europäischen, vorwiegend der NATO angehörigen Staaten für gemeinsame Beschaffungen und Datenaustausch bei der Luftraumsicherung. Eine Missachtung der österreichischen Neutralität, befand die FPÖ. Die ÖVP widersprach – und distanzierte sich erstmals deutlich von den Freiheitlichen.

„Die Volkspartei wird kein Sicherheitsrisiko in Amt und Würden hieven.“

Christian Stocker (ÖVP)

über einen potenziellen Regierungschef Herbert Kickl im Juli 2023

In seiner Funktion als Generalsekretär war es ausgerechnet Christian Stocker, der im Juli 2023 die erste offizielle Aussendung firmierte: „Schon als Innenminister war Herbert Kickl ein Risiko für die innere Sicherheit Österreichs, jetzt ist er als FPÖ-Obmann ein Sicherheitsrisiko“, verkündete er. Und: „In dieser sensiblen Zeit für Europa können wir uns glücklich schätzen, dass kein freiheitlicher Innenminister oder Verteidigungsminister die Sicherheit Österreichs zu verantworten hat.“ Kurze Zeit später schloss Bundeskanzler Karl Nehammer eine Koalition mit Kickl offiziell aus. Er sei „ein Sicherheitsrisiko“ und mit ihm „kein Staat zu machen“.

Nach und nach stimmten andere hohe Funktionärinnen und Funktionäre der ÖVP: Karoline Edtstadler sprach zum Beispiel von einer „roten Linie“ gegenüber Kickl. Außenminister Alexander Schallenberg schloss aus, Teil einer Regierung unter Kanzler Kickl zu sein. Und Christian Stocker hielt noch einmal fest: „Die Volkspartei wird kein Sicherheitsrisiko in Amt und Würden hieven.“ In den vergangenen zwei Jahren, und je näher der Wahltermin rückte, desto deutlicher wurde die Partei in ihren Aussagen. 

Tirols Landeshauptmann Anton Mattle sagte zum Beispiel: „Eine Koalition mit diesem FPÖ-Bundesparteiobmann und diesem Parteiprogramm, das aufliegt, ist mit meiner politischen Wertehaltung nicht in Verbindung zu bringen und lehne ich ab.“ In einem Interview mit profil wollte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im Mai 2024 nicht einmal Kickls Name in den Mund nehmen. 

„Seit gestern“, sagte Stocker am Sonntag, „stellt sich die Situation anders dar“. Es gehe nicht um Kickl oder um ihn, sondern um eine Regierung. Und die könnte nun, laut Stocker, möglicherweise Blau-Schwarz sein. 

Kickl will sich nach Hofburg-Treffen im Detail äußern 

Am späten Sonntagnachmittag meldete sich auch Herbert Kickl – schriftlich – zu Wort. „Unsere allererste Verpflichtung besteht gegenüber unserer eigenen Bevölkerung, schrieb er auf Facebook. Es geht dabei um elementare Dinge wie ein leistbares Leben, die Anerkennung von Leistung, Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden, den Schutz unserer Heimat, Freiheit und eine gute Zukunftsperspektive für die kommenden Generationen. Dem ist alles unterzuordnen. Was das für die kommenden Wochen bedeutet, ließ Kickl allerdings offen. Erst nach dem offiziellen Termin bei Van der Bellen werde er eine detaillierte Stellungnahme abgeben.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.