Im Kremser Hallenbad geht die Uhr nicht richtig. Es ist schon fast Mittag, doch die Uhrzeiger stehen auf 10.30 Uhr. Die Zeitumstellung allein kann nicht schuld sein, zu groß ist der Unterschied zur tatsächlichen Uhrzeit. Wenige Minuten nach Mittag steigt der Bademeister auf eine Holzleiter, nimmt die Uhr von der Wand über dem Sportbecken und will den Fehler beheben. Doch weil sich die Zeiger nicht manuell verstellen lassen, sondern wie bei jeder Funkuhr per Knopfdruck synchronisiert werden, ist das nicht so einfach. „Das kann dauern“, sagt der Bademeister zu einem Gast. „Dafür brauchen wir ein Signal von draußen.“
Das Hallenbad in Krems – mit 25.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Niederösterreichs – ist ziemlich aus der Zeit gefallen. Das merkt man nicht nur an der Uhr. Die Gestelle der meisten Liegen sind angerostet, die Schlüsselbänder vieler Garderobenkästchen haben Löcher, und das Braun der Bodenfliesen ist seit ungefähr 30 Jahren nicht mehr in Mode. Bald wird das Bad verschwunden sein.
Draußen haben die Bauarbeiten schon begonnen. Bis Mai 2026 soll Krems ein neues Hallenbad bekommen. Es soll alle Stücke spielen. In den Plänen sind ein Wellnessbereich, ein Panoramapool mit Blick auf die benachbarte Donau und eine lange Rutsche vorgesehen. Ziemlich sicher werden auch die Liegen und die Umkleidekästchen ausgetauscht. „Endlich!“, könnte man sagen. Doch nicht alle Kremser sind über den Neubau erfreut. Die Causa hat Züge einer Kleinstadtposse, trägt aber auch große Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in sich.
Horrende Summen
Seit erstmals über den Neubau des Hallenbads diskutiert worden ist, ist ziemlich viel Wasser die Donau hinuntergeflossen. Vor 13 Jahren beauftragte die Stadtgemeinde Krems ein Beratungsunternehmen, um zu prüfen, wie viel Geld das Unterfangen denn kosten würde. Das Ergebnis: Eine Sanierung würde neun, ein Neubau 13,5 Millionen Euro kosten. Die SPÖ hielt das für notwendig, ÖVP-Baustadtrat Heinz Stummer aber sagte damals: „Das sind Horrorsummen.“ Und da die Volkspartei auch den Bürgermeister stellte, lag die Sache auf Eis.
Weil das Bad jedoch immer desolater wurde, blieb das Thema auf der Agenda. Im November 2020 beschloss der Gemeinderat schließlich mit Stimmen der ÖVP und der SPÖ, die mittlerweile den Bürgermeister stellt, den Neubau um 24 Millionen Euro. Er sollte nicht am selben Ort, sondern im rechten Winkel zum aktuellen Standort entstehen – und ein Leuchtturmprojekt der von der SPÖ geführten Stadtregierung werden. Dann aber standen im Herbst 2023 plötzlich Kosten von 45 Millionen Euro im Raum, und der Gemeinderat musste sich abermals mit dem Bad befassen. Im Dezember beschloss er einen neuen, billigeren Entwurf um 38 Millionen Euro.
Bis April 2026 kann man im alten Kremser Hallenbad noch Längen schwimmen.
Bis April 2026 kann man im alten Kremser Hallenbad noch Längen schwimmen.
Die armen Bäume
Schon im Jänner rückten die Maschinen an. Dann ging es auch auf Social Media los. Denn als erste Baumaßnahme wurden Bäume gefällt, darunter eine Schwarzkiefer – Jahrzehnte alt und fast 30 Meter hoch – und eine Reihe von Winterlinden. Sie spendeten im angrenzenden Freibad bisher Schatten, nun war aufgrund des neuen Standorts des Hallenbads kein Platz mehr für sie. Eine Spaziergängerin fotografierte die gefällten Bäume und postete sie auf der Facebook-Seite „Mein Krems“ – mit 25.000 Mitgliedern das digitale Rückgrat der Stadt. Dutzende Menschen reagierten auf die Fotos, darunter entwickelten sich hitzige Diskussionen. Die Kommentare reichten von „Die armen Bäume!“ über „Seid doch mal froh, dass wir ein tolles neues Bad bekommen“ bis hin zu „Der Mensch ist und bleibt ein Suderant“. Auf Anfrage erklärte eine Sprecherin des Kremser Rathauses, dass im Zuge des Neubaus statt der 25 gefällten 31 „standorttypische Bäume unterschiedlicher Größe“ gepflanzt werden.
Befriedet ist der Streit bis heute nicht. Erst vorvergangene Woche entbrannte er unter einer Werbung für Saisonkarten für das Freibad auf ein Neues. Die Facebook-Seite der Kremser SPÖ schaltete sich ein und versuchte zu kalmieren.
Die Baustelle hat bereits erste Spuren und 25 Baumstümpfe hinterlassen.
Rarität Mittagsmenü
Die Baumstümpfe am Areal des Bades sind bisher die einzigen Spuren, die der Neubau hinterlassen hat. An einem Dienstag Anfang April – es ist der erste Werktag nach Ostern – geht in der Halle alles seinen gewohnten Gang. Neun Leute drehen im Sportbecken ihre Runden, während der Bademeister die Uhr richtet. Drei ältere Menschen spielen auf den Liegen mit ihren Handys, zwei junge Frauen mit ihren Kindern.
Weitaus geschäftiger geht es nebenan im Gasthaus zu. Vom Sportbecken ist das „Baderestaurant“ nur durch eine Glasscheibe getrennt, den Geruch aus der Küche kann man auch beim Schwimmen riechen. Zwischen 11 und 13 Uhr ist mindestens immer die Hälfte der etwa 15 Tische besetzt. Auf jedem davon stehen Salz- und Pfefferstreuer, Zahnstocher und eine kleine braune Flasche Maggi. Hauptgrund für den regen Besuch ist das Mittagsmenü: Bärlauchsuppe, danach ein köstliches Surschnitzel mit hausgemachtem Kartoffelsalat um 9,40 Euro. Es sei dennoch ein „schwacher Tag“, sagt eine der Kellnerinnen. Sie vermisst einige Stammkunden. An diesem Dienstag nehmen vor allem Paare im pensionsfähigen Alter, aber auch der Postler, Magistratsbedienstete und ein Bahnhofsmitarbeiter Platz.
Als Wirtin bin ich immer auch Therapeutin, Eheberaterin und Lifecoach
Christina Kröll
Wirtin „Baderestaurant“
„Wir sind eine Familie“, sagt die 59-jährige Wirtin Christina Kröll, die das Restaurant gemeinsam mit ihrem Mann Manfred betreibt. Sie meint damit nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Stammgäste. Die meisten Gäste werden mit ihrem Vornamen oder mit Sätzen wie „Zwei Menüs. Einmal mit Suppe, einmal Nachspeise?“ begrüßt. Für Gelächter sorgt die Ankunft eines Mittfünfzigers mit dem Rufnamen „schöner Rudi“, für den ein Tisch reserviert ist und der dann auf „die Damen“ wartet. Er meint damit seine Frau und deren Mutter.
Das Baderestaurant lebt nicht nur von den preiswerten Menüs. „Als Wirtin bin ich immer auch Therapeutin, Eheberaterin und Lifecoach“, sagt Kröll und erzählt von einer älteren Frau, die regelmäßig komme, aber sehr langsam esse. „Darauf nehmen wir Rücksicht. Wir machen niemandem Stress“, sagt Kröll etwas gerührt und verweist darauf, dass das Lokal völlig barrierefrei ist – zwischen Parkplatz und Esstischen liegt keine Stufe. Seit 1987 betreibt die Familie das Restaurant.
Das Ehepaar Kröll führt noch bis Oktober das Baderestaurant.
Ein Fest zum Abschied
Im Oktober wird die Ära zu Ende sein. Denn während das Hallenbad noch bis zur Eröffnung des Neubaus geöffnet bleibt, wird das Baderestaurant schon früher weggerissen. Es wird im Kremser Zentrum dann nur mehr ein einziges Gasthaus geben, in dem es mittags ein Menü gibt. Zwar ist auch im neuen Hallenbad ein Restaurant vorgesehen, was dort aber auf der Speisekarte steht, ist noch offen. Aus dem Rathaus heißt es, dass es im Neubau ein Lokal mit „gutbürgerlicher Küche“ für externe Gäste geben wird, die Menügestaltung aber dem Betreiber obliegt. Fest steht, die Familie Kröll wird das neue Lokal nicht führen. „Ich freue mich, bald mehr Freizeit zu haben“, sagt Wirtin Kröll, die wie ihr Mann im kommenden Jahr in Pension gehen wird. „Aber auf der Welt wird es immer härter.“ Für die letzte Oktoberwoche sind Abschiedsfeierlichkeiten geplant.
Man kann diese Diskussionen übertrieben rührselig und zwanghaft nostalgisch finden. Doch das neue Hallenbad wird sich trotz Rutsche und Wellnesslandschaft beweisen müssen. Es wird sich zeigen, ob auch in seinem Schatten hohe Bäume wachsen und das neue Baderestaurant als Treffpunkt jener Menschen taugt, deren Radius schon etwas eingeschränkt ist.
„Wir sehen uns sicher noch ein paar Mal“, sagt der „schöne Rudi“ beim Gehen und lässt seinen Damen den Vortritt durch die Ausgangstür.
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Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.