Absolute Mehrheiten in 83 Prozent der NÖ Gemeinden
Die Zeit der absoluten Mehrheiten ist auf Landes- und Bundesebene vorbei. Im Bund fiel die letzte Absolute vor mehr als vier Jahrzehnten, die letzte Länder-Absolute ist seit der Burgenlandwahl am vorvergangenen Wochenende Geschichte.
Ganz anders sieht es in den Gemeinden aus: Dort lebt das Prinzip der uneingeschränkten Macht weiter, trotz aller Krisen, trotz politischer Polarisierung und Denkzettel-Wahlen. Am Sonntag wählten 568 der 573 niederösterreichischen Kommunen einen neuen Gemeinderat, zwei weitere Gemeinden hatten kürzlich vorgezogene Wahlen. Die FPÖ legte zwar flächendeckend zu und konnte in drei Gemeinden erstmals Platz eins erringen. Doch eine Auswertung von profil verdeutlicht, wie treu die niederösterreichischen Wählerinnen und Wähler auf kommunaler Ebene sind.
Denn in 473 von 570 Gemeinden holte die erstplatzierte Partei ein Ergebnis von über 50 Prozent der Stimmen. Das heißt: In den kommenden fünf Jahren werden 83 Prozent der Kommunen von nur einer Fraktion regiert. 385 von der ÖVP, 77 von der SPÖ und elf von unabhängigen Listen.
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es in den Gemeinden anderer Bundesländer deutlich weniger absolute Mehrheiten gibt. Für die Machtfülle der niederösterreichischen Ortschefs gibt es mehrere Erklärungsansätze:
Die Wahlordnung
Ein entscheidender Faktor könnte dabei die niederösterreichische Wahlordnung sein. Während in den meisten Bundesländern das Bürgermeisteramt direkt gewählt wird, gilt in Niederösterreich – neben der Steiermark (und Wien als Sonderfall) – das Listenwahlrecht. Das bedeutet: Die Bevölkerung wählt eine Partei oder Liste für den Gemeinderat, welcher wiederum den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin bestimmt.
Das heißt auch: Will die Bevölkerung einen beliebten Bürgermeister im Amt bestätigen, muss sie wohl oder übel seine Partei wählen.
Ein Vergleich zeigt: Während in Salzburg (2024) und Oberösterreich (2021) - wo die Ortsvorstände direkt gewählt wurden - rund die Hälfte der Gemeinden von einer Partei mit absoluter Mehrheit regiert werden, liegt dieser Anteil in Niederösterreich und der Steiermark bei über 80 Prozent. Belohnt das Listenwahlrecht die Parteien eher mit einer absoluten Mehrheit?
Fehlende Konkurrenz
Politologen wie Katrin Praprotnik von der Uni Graz sind vorsichtig mit einer Kausalität zwischen Wahlordnung und absoluter Mehrheit, denn auf Gemeindeebene fehle es schlichtweg an Wahlforschung. Den seit Jahrzehnten amtierenden Ortskaiser vom Thron zu stoßen, ist auf Gemeindeebene ein schwieriges Unterfangen. Die Vormachtstellung der Volkspartei in den niederösterreichischen Gemeinden sei historisch gewachsen, so Praprotnik, „im Vergleich zum Bund oder Land sind das viel starrere Parteiensysteme.“ Dadurch ließen sich die „großen Abstände zwischen ÖVP und anderen Parteien“ erklären.
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gelten als besonders volksnah. Sie sind aktiv im Gemeindeleben, in örtlichen Vereinen organisiert und meistens beliebt. Von der Bevölkerung wird das persönliche Engagement des Ortschefs geschätzt – umso mehr, wenn dieses Engagement sich kurz vor der Wahl verstärkt. In den Kleingemeinden von Niederösterreich ist es möglich, dass die Ortschefinnen und -chefs alle Wahlberechtigten persönlich per Hausbesuch erreichen.
„Es gibt keine große Medienberichterstattung, da ist man auf die Strukturen vor Ort durch persönlichen Kontakt angewiesen“, sagt Praprotnik. Zudem haben jüngere Parteien wie die Grünen, aber auch die FPÖ, oft keine regionalen Strukturen oder genügend Personal, um bei Gemeinderatswahlen flächendeckend in einem Bundesland antreten zu können. Für die politische Vielfalt bedeutet das schlichtweg: Es mangelt an Konkurrenz.
In sieben Gemeinden trat überhaupt nur eine Partei an.
Die Kleinteiligkeit des Landes
In Großhofen (Bezirk Gänserndorf) sitzt jeder sechste Wahlberechtigte im Gemeinderat. Auf 79 Menschen im wahlberechtigten Alter kommen 13 Mandatare. Bei so wenigen Einwohnern kann es kaum politischen Pluralismus geben, in Großhofen - der kleinsten Gemeinde des Landes - gibt es nur eine Partei, die ÖVP.
Kleine Gemeinden wie Großhofen entwickeln sich in Hinblick auf die Parteienvielfalt sehr träge im Vergleich zu Städten wie Wiener Neustadt oder St. Pölten. Während in ländlichen Gemeinden politische Erfolge oftmals dem Ortschef zugeschrieben werden können, ist es in Anbetracht konsensualer Gemeindearbeit schwierig, sich als Opposition zu profilieren.
Die kleinteiligen Strukturen würden auch die historische Dominanz der ÖVP erklären, sagt Praprotnik. Das manifestiert sich beispielsweise im Bezirk Horn, wo die Volkspartei nach wie vor die absolute Mehrheit in allen Gemeinden hält. Im ganzen Land gibt es sieben Gemeinden – darunter Wolfsthal, Aderklaa und Großhofen – wo die ÖVP 100 Prozent der Sitze hält.
„Wir haben mit einem Zwei-Parteiensystem in den Nachkriegsjahren angefangen - das hat sich über die Jahre in eine Mehr-Parteienlandschaft normalisiert. Im Bund etwas schneller, auf Landesebene mit Zeitverzögerung“, sagt die Politologin.
Das Modell der absoluten Mehrheiten lebt nur auf einer Ebene weiter: Den Gemeinden.