NÖ: In Ramsau tobt ein bizarrer Polit-Krieg
Wie es in der Ramsau so weit kommen konnte, darauf gibt es in dem idyllischen Dorf keine einfachen Antworten. So weit nämlich, dass ein ÖVP-Gemeinderat voller Zorn einen Brief an alle 821 Gemeindebürger verschickte und die konkurrierende Bürgerliste als „Gesindel“ beschimpfte. So weit, dass die Bürgerliste den Bürgermeister im Vorjahr mit gut einem Dutzend Klagen eindeckte. So weit, dass der Konflikt zwischen den beiden lokalpolitischen Großmächten, ÖVP und Bürgerliste, Bruchlinien innerhalb von Vereinen und sogar Familien offenlegte. Ein ganzes Dorf im Clinch mit sich selbst.
Nichts verdeutlicht die Dimension der Spaltung in der Mostviertler Kleingemeinde im hügeligen und dicht bewaldeten Alpenvorland so gut wie die zwei Gaststätten, die der Ort zu bieten hat: Das „Gasthaus Gruber“ wird vom gleichnamigen Bürgerlistenmandatar betrieben, das Publikum ist dementsprechend gefärbt. ÖVP-Funktionäre meiden das Lokal. Sie frequentieren für konspirative Treffen lieber die Gastwirtschaft „Brücklmühle“.
Was klingt wie das überzeichnete Drehbuch einer ländlichen Krimi-Fernsehserie, ist in Ramsau im Bezirk Lilienfeld Realität: Persönliche Rachegelüste, kommunalpolitische Taschenspielertricks und erbitterte Rechtsstreitigkeiten haben die Gemeinde in die politische Handlungsunfähigkeit getrieben. Der bisher letzte Akt der Politposse: Neuwahlen im September, dabei liegen die letzten Gemeinderatswahlen erst eineinhalb Jahre zurück. Der neuerliche Wahlgang ist ein Schachzug der absolut regierenden ÖVP, ihre acht Gemeinderäte traten im April geschlossen zurück, das Ramsauer Ortsparlament kann seither nicht tagen.
Was den Ort im Bann hält, ist eine Fehde unter Freunden.
Die politische Landkarte von Ramsau ist äußerst speziell und Hauptgrund für den heftigen Streit: Auf der einen Seite die ÖVP, seit jeher regiert sie absolut, teils mit Stimmenanteilen von über 80 Prozent; auf der anderen Seite die Bürgerliste, die sich fast ausschließlich aus ehemaligen ÖVP-Funktionären rekrutiert, darunter der schwarze Altbürgermeister Ferdinand Reicherstorfer, der 2005 einem parteiinternen Widersacher Platz machen musste und danach auch beim Team Stronach sein Glück versuchte. Der Bürgerliste, sie ging 2015 aus zwei unterschiedlichen Listen hervor, gelang das Kunststück, zwei Teilorganisationen der bündischen ÖVP zu kapern, den örtlichen Bauernbund und den Wirtschaftsbund. SPÖ (ein Mandat) und FPÖ (kein Mandat) sind mehr politische Zaungäste als ernstzunehmende Mitbewerber. Was den Ort im Bann hält, ist eine Fehde unter Freunden.
Noch-Bürgermeister Raimund Reichel, ÖVP, ist die Verbitterung anzumerken. Er wird sich nach der Wahl verabschieden, wohl nicht ganz freiwillig, es soll einigen Druck aus der schwarzen Bezirks- und Landespartei gegeben haben. Schuld an allem sei „die Bösartigkeit der Bürgerliste“. Mit ihren „unnötigen Anzeigen“ habe sie die Gemeindepolitik zum Erliegen gebracht.
Erst seit drei Jahren ist der Landwirt mit Halbglatze Ortschef, schon damals war die Stimmung unterkühlt, im Vorfeld der Gemeinderatswahl im Jänner 2015 eskalierte der Konflikt schließlich. Die Bürgerliste wurde nicht zur konstituierenden Sitzung der Gemeindewahlbehörde eingeladen, das demokratiepolitisch bedenkliche Resultat: Die ÖVP sollte alle Wahlzeugen stellen, Stimmenauszählung inklusive. Nach Intervention der Bürgerliste wurde der Beschluss von der Bezirkswahlbehörde aufgehoben, der Bürgermeister sprach damals von einem „administrativen Fehler“, der „nicht politisch motiviert“ gewesen sei.
Im Wählerverzeichnis tauchten verdächtig viele Personen mit Zweitwohnsitz in Ramsau auf, die relativ knapp vor Ablauf der Frist angemeldet worden waren.
Damit nicht genug: Im Wählerverzeichnis tauchten verdächtig viele Personen mit Zweitwohnsitz in Ramsau auf, die relativ knapp vor Ablauf der Frist angemeldet worden waren. (Inhaber von Zweitwohnsitzen sind in Niederösterreich wahlberechtigt.) Der Landesverwaltungsgerichtshof gab damals den Einsprüchen der Bürgerliste recht, 18 Personen wurden aus der Wählerevidenz gestrichen (bei etwa 600 Wahlberechtigten nicht unwesentlich), darunter sogar Verwandte des Bürgermeisters.
Zwar konnte die ÖVP im Jänner 2015 ganz knapp ihre absolute Mehrheit halten (acht Mandate), die Bürgerliste (sechs Mandate) setzte ihr aber gehörig zu: Mit dem abgebrühten Altbürgermeister im Hintergrund, der alle Kniffe der Gemeindeordnung kennt, und dem umtriebigen Bauernbundobmann Stefan Steinacher an der Spitze betrieb die Bürgerliste in der Folge gnadenlose Oppositionspolitik: Mit einem Drittel der Gemeinderäte im Rücken hatte Steinacher die Möglichkeit, Gemeinderatssitzungen durch einen geschlossenen Auszug zumindest vorübergehend zu blockieren, Tagesordnungspunkte und sogar zusätzliche Sitzungen einzufordern.
„Bis zum Konflikt hat es im Jahr etwa vier Gemeinderatssitzungen gegeben, manchmal fünf. Allein zwischen Anfang Dezember und Ende Jänner haben wir fünf Sitzungen gehabt“, ärgert sich Bürgermeister Reichel über die „Bürgerlistler“, wie sie verächtlich genannt werden. Dazu hagelte es mehrere Anzeigen gegen den Ortschef. Tatsächlich hielt sich Reichel nicht immer an die Gemeindeordnung: Einmal vergab er freihändig Aufträge um mehrere tausend Euro, ohne Gemeinderatsbeschluss. Die Bürgerliste reagierte auf jeden noch so kleinen Fehltritt mit einer Anzeige und schoss dabei auch übers Ziel hinaus: Sogar nicht genehme Sitzungsprotokolle wurden angezeigt. Das ging so weit, dass die Kriminalpolizei Gemeindebedienstete vernahm und das Haus des Bürgermeisters durchsuchte. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, eines läuft noch.
Für beide Seiten geht es darum, dem jeweils anderen die Schuld am Chaos zuzuschieben.
Gemeinderatssitzungen seien wie „Kabarettvorstellungen“ abgelaufen, sagen Beobachter: Selbst vor einstimmigen Beschlüssen soll erst einmal ausführlich gestritten worden sein. Die gehässige Sitzungsmentalität ist inzwischen auf den Ort übergeschwappt: Als Stefan Steinachers Bruder, einst Bürgerlisten-Kandidat, für die Freiwillige Feuerwehr Spenden sammeln ging, wurde er von einem ÖVP-Gemeinderat aus dem Haus komplimentiert. „Du schmeißt einen Feuerwehrler raus?“, soll der Bürgerlisten-Mann gelacht haben und die Kunde freudig im Wirtshaus verbreitet haben. Später rechtfertigte sich der ÖVP-Funktionär per Postwurf an alle Haushalte, nicht ohne die Bürgerliste als „Gesindel“ zu diffamieren. Die Bürgerliste wiederum zog in einem Flugblatt über die Bürgermeistergattin her. Sie hatte ihre Rolle in der Laientheatergruppe hingeschmissen, weil sie nicht mit Leuten auftreten wollte, die ihren Mann verklagen. Sogar eine Wirtshaus-Rauferei aus dem vergangenen Juni ist überliefert. Und als der Pfarrer beim Adventauftakt zur Besinnung aufrief und alle gemeinsam zur Segnung des Christbaumes auf dem Hauptplatz bewegen wollte, blieb der Bürgermeister demonstrativ bei der Kirche stehen. Den Baum hatte Bürgerlistenchef Steinacher organisiert.
Die nun anstehende Neuwahl birgt Verwechslungsgefahr: Das Duell lautet Gertraud Steinacher, ÖVP, gegen Stefan Steinacher, Bürgerliste – nicht verwandt, wie beide ungefragt hervorstreichen. Frau Steinacher ist als Leiterin der Musikkapelle und Gemeindebedienstete gut im Ort verankert. Ihre politische Unerfahrenheit wird von der ÖVP als Vorteil verkauft, sie war im Konflikt nicht unmittelbar beteiligt. Warum die ÖVP – ihre Absolute ist nur mit einem Mandat abgesichert – ein derartiges Risikomanöver wagt? Gertraud Steinacher: „Wir wollen mit dem Neustart eigentlich bezwecken, dass die Leute draufkommen: Sie liegen mit der Bürgerliste falsch.“ Ihr Ziel ist, der Bürgerliste zumindest zwei Mandate abzuluchsen, damit diese unter ein Drittel der Gemeinderäte fällt und ihre Sonderrechte verliert.
Für beide Seiten geht es darum, dem jeweils anderen die Schuld am Chaos zuzuschieben. Dabei werden alle Register gezogen: Die ÖVP inszeniert die Neuwahlen als politischen Notwehrakt gegen die Finten der Bürgerliste, mit dem runderneuerten Team habe man die Hardliner in den eigenen Reihen entfernt, im Gegensatz zur Konkurrenz. Das brachte die Bürgerliste unter Zugzwang, die der ÖVP öffentlichkeitswirksam eine Fusion anbot, um die Volkspartei wieder zu vereinen. „Ich habe die Hosen weit runtergelassen“, sagt Bürgerlistenchef Stefan Steinacher, er sicherte seiner Namensvetterin sogar den Bürgermeisterposten zu.
Beide haben jedenfalls eine gute Ausrede parat, warum aus der Befriedung nichts wird: Die Bürgerliste will auf den in der ÖVP verhassten Altbürgermeister Reicherstorfer nicht verzichten. Und die ÖVP kann den „Bürgerlistlern“ keine fixen Listenplätze zusichern. Dabei wollen beide nur eines: dass „Frieden einkehrt“.