PK FPÖ : HOFER
Analyse

Norbert Hofer: Der Simulant

Er war Minister und wurde beinahe Bundespräsident. Über den angeschlagenen FPÖ-Chef und seinen schlimmsten Gegner: Herbert Kickl.

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Dieser Text erschien im profil Nr. 17 / 2021 vom 25.04.2021

Angenommen, Herbert Kickl ist der Donald Trump der österreichischen Politik: aggressiv, ohne Gnade, hemmungslos. Dann wäre Norbert Hofer Mike Pence. Der frühere US-Vizepräsident war im Vergleich milder, rücksichtsvoller, nachdenklicher. Am Ende konnte man ihm sogar Bedenken gegenüber Trumps Methoden anmerken. Woran allerdings kein Zweifel besteht: Pence trug inhaltlich alles mit, machte dabei aber ein freundliches Gesicht.

In etwa so verhält es sich mit Herbert Kickl und Norbert Hofer. Formal ist allerdings Hofer-Pence Chef und Kickl-Trump sein Vize. Aber seit Wochen ahnt man: Der wahre Befehlshaber in der FPÖ ist der Klubobmann.

Das Spannungsverhältnis wurde im Streit um die Maskenpflicht im Parlament offenkundig. Kickl lehnt sie ab, Hofer sprach sich in seiner Funktion als Dritter Präsident des Nationalrates dafür aus. Wer die Maske nicht trage, so Hofer, stelle "sich in einer Selbstüberhöhung über alle Menschen, die sich an Regeln halten müssen". Salbungsvoller hätte es Heinz Fischer auch nicht formulieren können.

Eine Sitzung des FPÖ-Klubs sollte Klärung bringen. Wer erwartet hatte, dort würden die Fetzen oder Masken fliegen, täuschte sich. Es herrschte Einigkeit. Das lag vor allem daran, dass Hofer die Sitzung schwänzte. Aus Feigheit vor dem Freund, wie FP-Abgeordnete stänkerten; weil er seine Schwiegermutter kurzfristig ins Krankenhaus bringen musste, wie Hofer-Vertraute korrigierten. In jedem Fall ersparte sich der Nationalratspräsident die Schmach, ignoriert zu werden. Bei Parlamentssitzungen tragen die FPÖ-Abgeordneten, gut sichtbar im TV, weiterhin keine Masken.


Montag vorvergangener Woche tagte dazu streng vertraulich das Parteipräsidium, natürlich in Präsenzsitzung. Aus Oberösterreich war der Welser Bürgermeister Andreas Rabl angereist, in Vertretung seines Landesparteiobmannes Manfred Haimbuchner. Dieser hatte gerade eine schwere Covid-Erkrankung überwunden. In Interviews nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erklärte der erst 42-jährige Haimbuchner offen, es hätte Lebensgefahr bestanden. Und Rabls Wels hat derzeit die höchste Inzidenz aller österreichischen Bezirke. Kein Wunder, dass die oberösterreichischen Blauen vergleichsweise viel von FFP2 und MNS halten. Wer genau hinschaute, konnte bei den letzten Nationalratssitzungen feststellen, dass einzelne oberösterreichische FPÖ-Mandatare eine Maske vor dem Gesicht hatten. Norbert Hofer kann das als Trostpreis verbuchen.

 

Aus der Spur

Der FPÖ-Obmann wirkt derzeit leicht aus der Spur. Auf Twitter ließ er unlängst wissen, er habe per Videoleitung nach Holland eine Prüfung absolviert. Es ging um Hofers liebstes Hobby, das Fliegen. Die Prüfung bestand im Simulationsflug. Das passt. Auch als Parteichef wirkt Hofer wie ein Simulant. Und schön zu wissen, dass der Nationalratspräsident seine Freizeit genießt.

Allerdings ist Hofer Entspannung zu gönnen. Kaum ein anderer Spitzenpolitiker war in den vergangenen Jahren so intensiv im Dauereinsatz. Im Jahr 2016 zwang ihn Heinz-Christian Strache zur Kandidatur bei der Bundespräsidenten-Wahl. Nach dem ersten Wahlgang im Mai war er Erster, acht Monate und eine Wahlaufhebung später wurde Alexander Van der Bellen als Bundespräsident angelobt. Dass Hofer ein Jahr lang den freundlichen Mitbürger, den sich jeder zum Nachbarn wünscht, gemimt - besser gesagt: simuliert - hatte, blieb unbelohnt.

Nach der verlorenen Wahl war kaum Zeit zur Regeneration. Im Mai 2017 beendete der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Große Koalition, die nächste Kampagne folgte. Bei der Wahl im Oktober 2017 wurde die FPÖ mit 26 Prozent Dritter, nur knapp hinter der SPÖ. Im Dezember muss Hofer auf Wolke sieben gewesen sein. Er wurde Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie - und war somit auch für das heimische Luftfahrtwesen zuständig.

Ein störrischer Charakter

Herbert Kickl blieb als Innenminister ein störrischer Charakter. Heinz-Christian Strache bemühte sich im Vizekanzleramt um Staatsmännlichkeit, war aber als FPÖ-Chef weiterhin in der parteipolitischen Auseinandersetzung mit der Opposition gefangen. Norbert Hofer aber konnte sein seriöses Gehabe aus dem Präsidentschafts-Wahlkampf in die Praxis umsetzen und machte tatsächlich Sachpolitik, auch wenn er darunter Tempo 140 auf Autobahnen verstand.

Ein Infrastrukturminister dreht an einem großen Rad, verantwortet viele Sektionen, ausgegliederte Bereiche, Großbaustellen und die ÖBB. Von ihm wollen alle was: Landeshauptleute wünschen sich Tunnel, Bürgermeister neue Bahnhöfe. Was macht das mit einem, der bisher von den Eliten geächtet wurde, wenn auf einmal Vertreter von ÖVP oder SPÖ geduldig im Vorzimmer des Ministers warten? Verschafft es Befriedigung? Machtgefühl? Revanchegelüste?

Hofer genoss es, nun mitmischen zu können, wo Blaue zuvor keinen Auftrag hatten, etwa bei Postenbesetzungen im ORF. Der Hebel war seine Funktion als Regierungskoordinator. Mit seinem ÖVP-Spiegel, dem damaligen Kanzleramtsminister Gernot Blümel, entschied er über die Zuteilung der Macht im Land. So wurde Hofer zum Gönner.

Und dann kam im Mai 2019 das Ibiza-Video. Hofer hatte wohl am längsten von allen Freiheitlichen gehofft, die Koalition retten zu können. Über Nacht war er wieder Oppositionspolitiker. Rache an Sebastian Kurz nahm er, indem er mithalf, dessen neue Regierung zu stürzen. Dann begann wieder ein Wahlkampf. Hofer war mittlerweile FPÖ-Obmann und Spitzenkandidat. Bei der Wahl sackten die Freiheitlichen auf 16 Prozent ab. Hofer rettete sich regelrecht in das Amt des Dritten Nationalratspräsidenten.

Ein Parteichef als Nationalratspräsident ist ein politischer Eunuch und in der österreichischen Realverfassung auch nicht vorgesehen. Norbert Hofer übernahm das zur Neutralität verpflichtende Amt zur persönlichen Schonung und als Unterschlupf bis zur nächsten Bundespräsidenten-Wahl oder - wer weiß - zu neuerlichen Ministerwürden. Die Rolle des Grobians überließ er dankbar Herbert Kickl. Seitdem übt sich der Klubobmann in oppositionellem Nihilismus.

Ein Naturgesetz der Politik lautet: Ganz oben kann es nur einen geben. Auch die Freiheitlichen sind am Beweis des Gegenteils gescheitert. Norbert Hofer dürfte die Fehlkonstruktion der blauen Doppelspitze bald erkannt haben. Im Vorjahr startete er halbherzig einen Versuch, Kickl die Klubführung abzuknöpfen-und versagte schon im Ansatz. Frühere Generationen in der FPÖ wussten noch, wie man eine ordentliche Intrige aufzieht.

Kickl kannte bisher seine Grenzen. Er war zufrieden als wohlbestallter Stratege und Nummer 2. In den Wirren um Ibiza spürte er plötzlich den Reiz der vordersten Front. Als erster Minister der Zweiten Republik wurde er vom Bundespräsidenten aus seinem Amt entlassen. Auch so kann man Geschichte schreiben.

Expect the Unexpected

Ein weiteres Prinzip der Politik lautet: Expect the Unexpected. Selbst erfahrenste Politiker erleben ihre Überraschungen. Was zählt, ist Reaktionsvermögen. Norbert Hofer stand darin seinem Klubobmann nach. Herbert Kickl erkannte rasch das Potenzial, das die Corona-Krise der FPÖ bot. Als Volkstribun hielt er Brandreden im Wiener Prater gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, rhetorisch geschliffen, in Ton und Inhalt gruselig. Hofer wirkt in der Pandemie gehemmt, vielleicht weil er und seine Frau, die in einem Pflegeheim arbeitet, selbst infiziert waren.

Hofers Masken-Fiasko bietet seinen innerparteilichen Gegnern nun Gelegenheit zum Gegenschlag. Der FPÖ-Obmann habe "Erstaunen, Entsetzen, Verärgerung und Verwunderung" unter den FPÖ-Abgeordneten ausgelöst, plauderte der blaue Bundesrat Johannes Hübner gegenüber dem rechtsradikalen Magazin "Info-Direkt" aus. Niemand im Klub habe den Parteiobmann unterstützt, so Hübner. Treue galt schon einmal mehr unter Freiheitlichen.

Wie Kickl sind viele FPÖ-Abgeordnete keine Funktionäre, die in Orts-,Bezirks- oder Landesgruppen die Mühsal der Parteiarbeit erfahren. Stattdessen erleben sie Oppositionspolitik als rein kommunikatives Handwerk. Was zählt, sind flüchtige Erfolge: eine Schlagzeile, ein Aufreger, ein TV-Auftritt. Hauptsache, die Lautstärke stimmt. Funktionäre dagegen sind in den Parteistrukturen ausgelastet, für die sich die Öffentlichkeit nicht interessiert, die aber selbst Elementarereignisse wie die FPÖ-Spaltung durch Jörg Haider 2005 oder den Ibiza-Skandal überleben, während Mandate und ihre Träger verloren gehen.

Auch daran mag es liegen, dass die FPÖ-Landesparteiobleute hinter Hofer stehen, allen voran die Chefs der einflussreichen oberösterreichischen und steirischen FPÖ, Manfred Haimbuchner und Mario Kunasek. In einem Interview bezeichnete Haimbuchner das "Herumgesäge" an Hofers Stuhl als "absolut unanständig". Auch der Wiener Dominik Nepp, frisch zur Wiederwahl beim Landesparteitag am Sonntag angetreten, ist zum Hofer-Lager zu zählen. Die Salzburgerin Marlene Svazek passt zur Kickl-Partie. Ohnehin stützt der Klubobmann seine Macht auf die Power blauer Frauen wie die Abgeordneten Petra Steger (Sportund Jugendsprecherin), Susanne Fürst (Verfassungssprecherin) und Dagmar Belakowitsch (Sozialsprecherin).

Vergangene Woche war es Kickl, der den Burgfrieden verkündete. Es habe "einen gewissen Gesprächsbedarf, Irritationen und ein kleines Gewitter" gegeben. Die Sache sei aber "erledigt".

NATIONALRAT: KICKL/HOFER

Mit dem Streichholz in der Hand

Eine dritte Regel in der Politik lautet, dass Geduld mehr bringt als Hauruck-Aktionen. Kickl ist zwar ein Zündler, kann aber mit dem Streichholz in der Hand abwarten. Norbert Hofer wurde 2019 mit 98 Prozent zum Parteiobmann gewählt. Noch dazu ziehen die Umfragewerte der FPÖ wieder an. Die Zeit für einen Wechsel ist noch nicht gekommen. Rasch loswerden (Johannes Hübner theoretisierte über eine "Trennung im Vernünftigen") könnte man Hofer ohnehin nur über einen Sonderparteitag. Ein solcher - oder die Drohung damit - war Anfang der 2000er-Jahre während der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition das bevorzugte Instrument von Jörg Haider, um Parteichefin Susanne Riess unter Druck zu setzen. Haiders stetes Mobbing und die ungeklärte Führungsfrage endeten schließlich im Koalitionsbruch.

Wohin mangelnde Disziplin führt, zeigt sich in Hofers Landespartei, der FPÖ Burgenland. Nach der Wahlniederlage im Jänner des Vorjahres eskalierten latente Streitigkeiten, sodass Hofer persönlich den Vorsitz der Landes-FPÖ übernehmen musste. Befrieden konnte er sie nicht. Im Herbst legte er den Vorsitz zurück. Es folgten Ausschlüsse, Austritte und Auflösungen. Ob jemand, der ein paar blaue Burgenländer nicht im Griff hat, auf Dauer die Bundespartei führen kann, dürfte in der FPÖ in den kommenden Monaten breit diskutiert werden.

Zu allem blauen Überdruss mischte sich vergangene Woche auch noch Hofers Vorgänger ein. Heinz-Christian Strache warf dem FPÖ-Chef "Feigheit" im Maskenstreit vor, forderte Kickl zur Übernahme der Partei auf und bot an, diesem "die Hand zu reichen". Zumindest in der Ablehnung dieses wirren Angebots waren Hofer und Kickl sich einig.

Dem FPÖ-Chef war coronabedingt nicht einmal eine kleine Feier zu seinem 50. Geburtstag am 2. März vergönnt. Nach Auskunft seines Sprechers trank Hofer ein Glas Milch und ging früh ins Bett.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.