Norbert Hofer und das Eliten-Bashing: Die Vertreibung der Vernunft
Von Beginn dieses Präsidentschaftswahlkampfs an zog ein Thema unterirdisch seine Bahnen: gegen die Parteien, gegen die Politiker, gegen das System im Allgemeinen -bis es im Finale für alle sichtbar an die Oberfläche drängte: das altbekannte Eliten-Bashing.
So war es keine Überraschung, dass der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer auf die Bemerkung eines TV-Journalisten, zahlreiche Künstler riefen zur Wahl von Alexander Van der Bellen auf, keiner jedoch für Hofer, gerade damit auftrumpfte. "Der hat die Hautevolee, bei mir sind die Menschen", sagte Hofer, mehr als selbstbewusst.
Ökonomieprofessor aus Wolkenkuckucksheim
Welche Bilder werden da evoziert? "Hautevolee": die vornehme Gesellschaft, auch "Schickeria" genannt -das sind die mit dem Sektglas in der Hand; ein Klüngel von Nichtstuern, die jemanden hofieren um eines erhofften Vorteils willen. Van der Bellen, ein Ökonomieprofessor aus Wolkenkuckucksheim, der "nie in seinem Leben in der freien Wirtschaft" gearbeitet habe, wie Hofer seinem Gegner vorwarf - ausgerechnet er, der kaum drei Jahre lang in einem Unternehmen tätig war, ehe er sich einer lupenreinen FPÖ-Parteikarriere hingab. Aber es war endlich gesagt, worum es in diesem Wahlkampf ging: um den Popanz einer von der Gesellschaft ausgehaltenen Kaste, die angeblich korrumpiert wird, um die wahren Verhältnisse der arbeitenden Massen zu verschleiern und zu verleugnen.
Zur Erinnerung: Nicht nur das Wort "Systemparteien", auch das verschriene Wort "Lügenpresse" kam einst direkt aus dem Büro von Joseph Goebbels, dem begnadeten Propagandaminister der Nazis; ebenso die Verachtung all jener Professoren, Maler, Schriftsteller, Journalisten und Verleger, die nicht völkisch dachten, sondern im "Dienste der Herrschenden" noch als deren Kritiker wirkten.
Volkswillen
In diesem Geist steckt eine Logik, die an den Populismus erinnert. Damals wurde die Abschaffung der Demokratie im Namen des Volkes gefeiert. Im Jahr 1938 brachten die neuen Machthaber ein Banner an der Stirn des Wiener Parlaments an, auf dem geschrieben stand: "Das Volk regiert." Die Nazis hielten große Stücke auf den Volkswillen -die Juden gehörten freilich nicht dazu. Sie waren mit allen Mitteln der Propaganda zu einem besonders gefährlichen Teil der Elite gestempelt worden, selbst wenn sie bitterarm waren.
Eliten-Bashing ist ein Krisenphänomen. US-Präsident Barack Obama wurde in seinem ersten Wahlkampf 2008 als Abkömmling einer Elite gebrandmarkt, weil er Harvard-Student war. Heute lässt der New Yorker Milliardär Donald Trump Hasstiraden gegen das Establishment los und wird dafür von der abgehängten weißen Mittelschicht hysterisch bejubelt.
Nicht nur rechte Gruppen betreiben Eliten-Bashing. Der Vulgärmarxismus ist darin ebenfalls geübt. Nach Carlo Strenger, einem israelischen Soziologen, hat der egalitäre Zeitgeist der 1970er-Jahre sein Scherflein dazu beigetragen. "Mit dieser Verdammung der Eliten leben wir in vielerlei Hinsicht bis heute." Es ist allerdings eine Besonderheit rechtspopulistischer Führungskader, so zu tun, als gehörten sie selbst nicht zur Elite.
In einer freien Gesellschaft müssen führende Politiker, Eliten aus Kunst, Kultur und Wissenschaften, Unternehmer und Manager kritisiert, für Missstände und Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden. Aber in der Sache eben. Nicht, weil sie Elite sind.
Eliten, die sich um Eliten scharen
Es wäre auch hilfreich, zu unterscheiden zwischen echten Eliten, die Verantwortung tragen und Macht haben, und Eliten, die sich um Eliten scharen. Nach Pierre Bourdieu sind diese der ohnmächtige Teil der herrschenden Klasse. Genau auf diese aber hat sich die FPÖ seit Jahrzehnten eingeschossen. Wer erinnert sich nicht an die aggressiv-großflächigen FPÖ-Plakate aus dem Jahr 1995: "Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk oder Kunst und Kultur?" Künstler und Intellektuelle hat die FPÖ immer als Erstes an den Pranger gestellt, denn sie können nicht zurückschlagen. Sie haben keine Partei und keine Institutionen hinter sich. Man vergisst das leicht, ob ihrer Prominenz. Doch die Macht sitzt immer noch anderswo, jedenfalls nicht im Burgtheater und nicht im Kaffeehaus.
Es gibt heute ein "Unbehagen in der Kultur", um einen berühmten Aufsatz von Sigmund Freud zu zitieren, der am Vorabend der Barbarei des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht wurde. Instanzen der Autoritäten werden nicht mehr anerkannt. Warum?" In einer Konsumgesellschaft sind vor der Ware alle gleich", gibt der Wiener Philosoph Oliver Marchart zu bedenken. Man kann vermuten: In der bitteren Einsicht, dass es nicht weiter aufwärts gehen könne mit dem Konsum, geben die Menschen nun jenen Politikern die Schuld, die ihnen vorher im Überfluss gegeben haben. Das trifft vor allem die Sozialdemokratie.
Der Antagonismus "Volk" und "Elite" ist ein uraltes Thema. Die klassische Elitentheorie ging davon aus, dass die Einbeziehung der ungebildeten Arbeiterschaft in den politischen Entscheidungsprozess der Demokratie schade, da dies zur "Verrohung des öffentlichen Lebens" führe. Nur Gebildete sollten das Staatsleben bestimmen. Einen Ausweg aus dem demokratischen Dilemma, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen solle, obwohl eben dieses Volk nicht ausreichend informiert sei, sah man im Konzept der "Veredelung" des Volkswillens durch die Eliten.
"Vertriebene Vernunft"
Ganz anders, nämlich emanzipatorisch, ging das sozialdemokratische Wien in der Zwischenkriegszeit die Aufgabe an - freilich um den Preis, dass "der Kapitalist" als Feindbild erhalten blieb und der Sozialdemokratie die Intelligenz des Kapitals fehlte. Ihr Role Model war der lesende und lernende Arbeiter. Es ist heute unvorstellbar, was damals an den Volkshochschulen angeboten wurde. Die Arbeiterschaft wurde an die Avantgarde in Kunst, Kultur und Philosophie herangeführt: Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg; Psychoanalyse, Reformpädagogik. Modernes Theater, moderne Architektur. Niemals zuvor und niemals danach standen Intellektuelle und Wissenschafter so sehr im Dienst der Gesellschaft und einer Partei, ohne Parteigänger zu sein.
Man bekommt eine Ahnung davon, wenn man das heute noch existierende "Wirtschafts-und Gesellschaftsmuseum" im 5. Wiener Gemeindebezirk aufsucht, das 1925 von Otto Neurath gegründet wurde. Der Philosoph und Nationalökonom wollte mithilfe der Bildstatistik noch dem einfachsten Arbeiter Kenntnisse über die Gesellschaft, in der er lebt, vermitteln. Wer sich ein Bild machen könne über seinen Platz in der Gesellschaft, sich vergleichen könne mit anderen, der werde auch Solidarität entwickeln, das war die Idee dahinter.
Der Niedergang kam mit Gewalt. Die "vertriebene Vernunft" (so der Titel des Standardwerks von Friedrich Stadler) kehrte - bis auf wenige Ausnahmen - nicht in ihre Heimat zurück. Die jüdischen oder politisch verfemten Wissenschafter und Künstler waren in den Konzentrationslagern ermordet worden, oder sie waren als Emigranten in den Ländern geblieben, die sie aufgenommen hatten.
Heute steht die Gesellschaft, vor allem die österreichische, vor dem Problem, dass Eliten nichts mehr gelten. Das betrifft Politiker, Banker, Unternehmer, Künstler, Intellektuelle, Medien, Experten.
Autoritätshörigkeit
Gleichzeitig ist eine paradoxe Situation zu beobachten: Verschwörungstheorien, wonach etwa "die Amerikaner" oder andere dunkle Mächte Europa schwächen wollten, indem sie es absichtlich mit Flüchtlingen "fluten". Politiker der FPÖ, die derlei Unsinn verbreiten, machen dafür gern auch "Experten" namhaft. Der Autoritätsverlust geht also einher mit absoluter Autoritätshörigkeit, mit dem Aufblühen fundamentalistischer Strömungen in Religion und Politik. Es wird mehr geglaubt als jemals zuvor, aber eben an Ideologien, islamistische wie nationalistische.
Solch neue Vertreibung der Vernunft ist brandgefährlich für die Demokratie, wie wir sie kennen. Moderne Demokratien sind repräsentative Demokratien. Denn das "Volk" kann sich nicht zu einem Scherbengericht versammeln wie in der griechischen Antike. Rechtspopulisten geben vor, im Namen des Volkes zu sprechen, aber das "Volk", das sie im Sinn haben, in seiner metaphysischen Einheit, das gibt es nicht.
In jener denkwürdigen ATV-Fernsehdebatte ohne Moderator, die später von allen Seiten als stillos und das Amt beschädigend kommentiert wurde und für die sich beide Kandidaten später entschuldigten, hatte Norbert Hofer weit mehr verletzt als die Benimm-Regeln. Seine indirekte Botschaft war gewesen: "Wer zum Volk gehört, sage ich."