Zuwanderung

Notlage durch Familiennachzug aus Syrien: Warum stehen dann die Containerschulen leer?

Die Regierung stoppt den Familiennachzug. Und begründet das mit einem Notstand im Wiener Bildungssystem. Doch die Schulcontainer, die wegen der syrischen Kinder neu errichtet wurden, sind nur spärlich genutzt.

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Freitag, 7.45 Uhr, Wien-Donaustadt. Hunderte Schülerinnen und Schüler strömen zum Haupttor der Mittelschule Afritschgasse.

Die Schule hat einen zweiten Eingang. Eine Zauntür am Ende des großen Sportplatzes. Hier wurde im Sommer 2024 ein zweistöckiger Container aufgestellt, um zusätzlichen Schulraum für neun Klassen und bis zu 200 Schüler zu schaffen. 

Grund war der starke Familiennachzug aus Syrien sowie der Zuzug ukrainischer Kinder.

Vor diesem Eingang herrscht idyllische Ruhe. Nur vereinzelt tröpfeln Jugendliche ein. Der Grund: Der Container ist nur zu einem Viertel besetzt. Ein externes Polytechnikum hat zwei Klassen untergebracht, eine externe Inklusionsschule zwei weitere Klassen mit jeweils nur rund sechs Schülern.

Leerstände in allen fünf Container-Bezirken

Noch vor einem Jahr wurden monatlich bis zu 400 Kinder und Jugendliche im Pflichtschulalter von ihren syrischen Vätern nach Wien nachgeholt. Die Stadtpolitik reagierte mit insgesamt fünf Containerschulen. 

Neben der Mittelschule Afritschgasse wurden vier weitere Volksschulen um Mobilklassen erweitert. Doch dort ist die Belegung noch geringer, geht aus aktuellen Zahlen der Bildungsdirektion hervor.

In der Arkaziengasse (Liesing) und Rittingergasse (Floridsdorf) befindet sich jeweils eine Schulklasse im Container, in der Hoefftgasse (Simmering) sind drei der neun Räume durchgehend beschult. Die restlichen Klassenzimmer stehen leer oder werden vorwiegend als Freizeitraum genutzt. 

Am fünften Standort, in der Ada-Christen-Gasse (Favoriten), wurden zwar zwei neue Klassen eröffnet, diese kamen jedoch im Haupthaus unter. Der Container wird ausschließlich als Freizeitraum genutzt. 

Ab kommendem Schuljahr kommen insgesamt nur sechs neue Klassen in den Container-Schulen hinzu.

Platznot in Schulen ist nicht zu argumentieren 

Die Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Neos gerät dadurch in Erklärungsnot. Sie hat verkündet, den Familiennachzug komplett zu stoppen. Sie will zu einer Notfallklausel greifen und begründet das gegenüber der EU und dem österreichischen Migrationskommissar Magnus Brunner mit der Überlastung der Wiener Schulsystems. 

Die sprachlichen und kulturellen Herausforderungen sind in den Schulen tatsächlich massiv gestiegen. Die höhere Zahl an Schülern verstärkt auch den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern. Eine Platznot ist angesichts der leeren Container aber kaum zu argumentieren.

Container ließen die Wogen hochgehen

Im Frühjahr 2024, als die Containerpläne ruchbar wurden, war der Zaun rund um die Mittelschule Afritschgasse voll behängt mit Protestplakaten, auf denen Sprüche wie „Sportplatz statt Container“ prangerten.

Der Elternverein hielt, unterstützt vom Direktor, mehrere Demos ab. Das mediale Echo war enorm. Es herrschte nicht nur Angst vor versiegelten Freizeitflächen. Viele Eltern und Anrainer fragten sich auch, wie Hunderte syrische Schüler das Grätzel verändern.

Heute zeigt sich: Vom Freizeitgelände hat die Containerschule einen viel geringeren Teil abgezwackt als damals befürchtet. Und von den neuen Schülern in den vier Mobilklassen stammt nur ein sehr kleiner Teil aus Syrien – darunter auch Jugendliche, die bereits mit der ersten Flüchtlingswelle 2015 nach Österreich kamen. Die auf die damalige Aufregung angesprochenen Anrainer rund um die Schule sind mittlerweile wieder völlig entspannt.

Österreich war auf Familiennachzug nicht vorbereitet

Natürlich entlastet es Schulen mit Platznot, wenn sie Klassen in Containerschulen wie die Afritschgasse auslagern können. Doch der tatsächliche Bedarf an zusätzlichem Schulraum blieb weit unter den Erwartungen. Gekostet haben die fünf Containerschulen 14 Millionen Euro. Wie konnten sich die Stadt und ihr damaliger Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) so verkalkulieren?

Ein Grund für die Fehlkalkulation der Stadt war die schlechte Vorbereitung der Republik auf die Familiennachzugswelle aus Syrien, die sich ab 2020 langsam aufbaute.

Die Schüler fühlen sich wohl in den Mobilklassen 

Außenministerium, Innenministerium, Stadt Wien und das (beim Management behilfliche) Rote Kreuz sprachen zu wenig miteinander, tauschten ihre Prognosen zu wenig aus und wollten den Andrang aus Syrien aus Angst vor der FPÖ wohl bis zu einem gewissen Grad unter der Decke halten. Die Wirrnisse der Pandemie kam auch noch hinzu.

Wiederkehr sprach die Herausforderung durch den Familiennachzug für Wien noch am deutlichsten an und wollte vorbereitet sein: Doch das hat jetzt seinen Preis.

Immerhin: Die Schülerinnen und Schüler, die vor dem Zauntor mit profil sprachen, fühlen sich wohl in ihren Mobilklassen. Sie genießen die Ruhe, die Aussicht und das gute Raumklima.

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.