Oberösterreich-Wahl: Die Schlacht um Ischl

Türkis gegen Rot im Salzkammergut: In der SPÖ-Hochburg Bad Ischl toben seit Monaten nie gekannte politische Kämpfe. Mit einem Ex-Roten will die ÖVP dort die Bürgermeisterin stürzen.

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von Johannes Bruckenberger

Bad Ischl im August 2021: Um den Geburtstag von Kaiser Franz Josef am 18. August erreicht die Sommersaison ihren Höhepunkt. Touristen strömen in die Stadt, um Ischls k. u. k. Attraktionen zu besuchen. Im Hubertushof neben der Kaiservilla kümmert sich Ernst Strasser um anreisende Gäste. Der einst mächtige ÖVP-Innenminister und EU-Abgeordnete, der 2011 wegen Korruption und Bestechlichkeit aus allen politischen Funktionen schied und einen tiefen Fall erlebte, hat sich in Ischl eine neue Existenz fern der Politik aufgebaut. 2019 kauften seine Frau und er den renommierten Hubertushof. Strasser hilft an der Hotelrezeption bei Buchungen, serviert im Wirtshaus Getränke und führt dazwischen Schmäh mit Gästen. „Ich bin hier der Hausl“, legt der Hotelier seine Rolle demütig an.

Draußen in der Stadt tobt derweilen eine Wahlkampfschlacht, die ganz nach dem Geschmack des früheren Wahlkämpfers Strasser wäre, während der oberösterreichische Landtagswahlkampf gemächlich vor sich hinläuft. Die ÖVP hat mit Landeshauptmann Thomas Stelzer neben einer Ibiza-geschwächten FPÖ und einer orientierungslosen SPÖ mit sommerlichen Wohlfühlbotschaften der Marke „Bleib so, Oberösterreich“ einen Start-Ziel-Sieg im Visier. Holt die ÖVP, die derzeit auf 21 Sitze im Landtag kommt, die absolute Mehrheit in der Regierung zurück, was Umfragen zufolge möglich ist, kann sie es sich aussuchen, ob sie weiter mit den Freiheitlichen regiert, wieder auf die Grünen einschwenkt oder – eher unwahrscheinlich – sich wie in den alten, großkoalitionären Zeiten mit der SPÖ zusammentut.

Spannend wird es am Wahltag vor allem für FPÖ-Frontman Manfred Haimbuchner. Die Flüchtlingsbewegung hatte den Freiheitlichen 2015 Wind unter den Flügeln und ein Rekordergebnis von 30,4 Prozent verschafft. Nun könnten sie ihre de facto einzige Koalition auf Landesebene verspielen. Die Sozialdemokraten hingegen brachen bei der vergangenen Oberösterreich-Wahl dramatisch ein. Derzeit deutet wenig darauf hin, dass sie es am 26. September schaffen, verloren gegangenes Terrain in nennenswertem Ausmaß wettzumachen.

Im Verhältnis dazu spielt sich vor den Augen der Ischler ein Politdrama ab, das locker Stoff für mehrere Folgen „Borgen“ oder „House of Cards“ liefern könnte. Mithilfe des ehemaligen SPÖ-Politikers Hannes Mathes will die ÖVP die amtierende SPÖ-Bürgermeisterin Ines Schiller stürzen und im Inneren Salzkammergut eine der letzten roten Hochburgen umdrehen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Interne SPÖ-Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schiller und Mathes. „Ich glaube, dass es eng wird und schwer, im ersten Wahlgang über 50 Prozent zu kommen“, sagt Schiller. Die SPÖ regierte zuletzt mit einer relativen Mehrheit im Gemeinderat, aber einer absoluten Mehrheit im Stadtsenat. Diese Vormachtstellung ist so gut wie weg. Politische Beobachter rechnen fix mit einer Stichwahl um das Bürgermeisteramt.

Um die außergewöhnliche Konstellation in Bad Ischl zu begreifen, muss man zwei Jahre zurückgehen: Die Stadt wird von Bürgermeister Hannes Heide regiert. Seit 2007 führt er die Geschäfte. Heide ist der Treiber hinter der Bewerbung der Salzkammergutgemeinden um den Titel der EU-Kulturhauptstadt 2024. Bei der vergangenen Bürgermeisterwahl 2015 erreichte er im ersten Wahlgang 71 Prozent, seine SPÖ kam bei der Gemeinderatswahl auf 46,5 Prozent. Heide gilt als einer der beliebtesten Bürgermeister in der politischen Geschichte Ischls. Er hat ein gutes Gespür für die Bedürfnisse der Stadt und ihrer Einwohner und strahlt weit über die SPÖ-Wählerschaft hinaus. Bei einem neuerlichen Antreten wäre ihm eine weitere Periode als Stadtoberhaupt sicher.

Mit der EU-Wahl 2019 aber wird Heide für die SPÖ ins EU-Parlament gewählt, das Bürgermeisteramt möchte er zum Jahreswechsel 2019/2020 abgeben. Die Nachfolge ist geregelt. Vizebürgermeister und Stadtparteiobmann Josef Reisenbichler soll übernehmen. Doch im Sommer 2019 stirbt Reisenbichler plötzlich an einem Herzinfarkt, und in der SPÖ bricht ein Streit um die Führung aus. Ines Schiller, langjährige Sozialstadträtin und Lebensgefährtin Heides, und auf der anderen Seite Hannes Mathes, damals Landesgeschäftsführer der Salzburger SPÖ und davor als Stadtrat und Fraktionschef in der Ischler SPÖ aktiv, drängen nach vorn und melden ihren Anspruch auf das Bürgermeisteramt an. Schiller setzt sich mit Unterstützung Heides durch. Anfang 2020 wählt sie der Gemeinderat zur Bürgermeisterin. Die innerfamiliäre Amtsübergabe sorgt für Irritation und hinterlässt in der Stadt-SPÖ bis heute offene Wunden.

Schiller ist links, sozial, engagiert, direkt, manchmal undiplomatisch und kommt mit dieser Mischung bei der Bevölkerung nicht so gut an wie ihr Vorgänger und Lebensgefährte. Als sie noch vor Amtsantritt im Auftrag des roten Samariterbunds Decken und Medikamente ins bosnische Flüchtlingslager Bihac bringt, erhält sie Drohungen. Dass sie im Pfarrheim das erste Ischler Fastenbrechen mit muslimischen Mitbürgern veranstaltet, wird ebenfalls kritisch gesehen. Während der Corona-Pandemie, die den vom Tourismus abhängigen Ort hart trifft, wird Schiller aber auch von Kritikern gute Arbeit attestiert. Für Unmut sorgen hingegen Stadtentwicklungs- und Bauprojekte, gegen die sich mehrere Bürgerinitiativen bilden.

Rund um den Jahreswechsel 2020/2021 wird Hannes Mathes von enttäuschten SPÖlern bekniet, mit einer eigenen Liste bei der Gemeinderatswahl anzutreten. Im Jänner gibt es erste Kontakte zur ÖVP. Die Volkspartei landete bei der Wahl 2015 mit 21,4 Prozent knapp hinter der FPÖ auf dem dritten Platz. Die Blauen kamen auf 22 Prozent. Als „g’schminkte Leich“ wird die Ischler ÖVP damals gesehen, einen zugkräftigen Kandidaten gegen die übermächtige SPÖ hat man nicht bei der Hand. So entsteht die Idee eines Bündnisses mit dem Ex-Roten Mathes, und in der ÖVP wittern einige die einmalige Chance, Bad Ischl umzudrehen.

Im März verdichten sich die Gerüchte, dass der SPÖ-Politiker und die ÖVP gemeinsame Sache machen. Zwei führende ÖVP-Stadtpolitiker werfen das Handtuch, weil sie mit den Plänen ihrer Partei nicht einverstanden sind. Mit der Bürgerplattform „Ischl kann mehr“ wird ein Testballon gestartet. Wenige Wochen später verkündet Mathes sein Antreten mit einer überparteilichen Liste. Die ÖVP ist mit an Bord. „Wir haben uns gefunden, thematisch abgesprochen und eine Zukunftspartnerschaft gemacht. Die Grundlage ist, dass es überparteilich bleibt“, erklärt Mathes seinen Seitenwechsel. Name und Programm der Liste: „Zukunft Ischl“.

In der Stadt läuft nun eine Wahlkampfmaschinerie an, hinter der politische Beobachter die Handschrift der ÖVP erkennen. Die Kampagne erinnert an eine Mischung aus dem türkisen Nationalratswahlkampf 2017 und der Gemeinderatswahl in Amstetten 2020. Ein Berater mit Erfahrung aus niederösterreichischen Kommunalwahlkämpfen soll als Mastermind hinter der Kampagne stehen. Mathes verweist auf „viele Stunden Strategieschulung“ in der Salzburger SPÖ und präsentiert im Wochentakt Themen und Kandidaten. Darunter drei Töchter des SPÖ-Politikers Reisenbichler, dessen Tod die Machtkämpfe in der Ischler Stadtpolitik erst ausgelöst hatte. Folder und Zeitungen werden an die 7300 Ischler Haushalte verteilt. Themen- und Kandidatencluster werden für die lokalen Medien professionell aufbereitet. Message Control in a Nutshell. Auch in den sozialen Netzwerken bricht der Wahlkampf los. „Ischl wird schlecht regiert“, so die zentrale Botschaft der Liste Mathes.

Streitpunkte sind schnell gefunden: die schlechte Bausubstanz der Ischler Schulen, Verzögerungen und Mehrkosten für den Wiederaufbau der abgebrannten Tennishalle, Probleme mit Drogendealern und jugendlichen Rauschgiftkonsumenten, zu wenig Parkplätze, der Mobilfunkausbau 5G oder die Zukunft des Lehartheaters sorgen für Kontroversen zwischen den Anhängern von Mathes und Schiller. „Enttäuschte oder Leute, die etwas werden wollten, das sie nicht geworden sind, machen jetzt die Gemeinde schlecht. Das ist keine Bürgerliste, sondern die Mathes-ÖVP“, sagt Schiller. Mathes wirft Schiller im Gegenzug zu wenig Bürgernähe vor: „Es gibt Unmut, weil man die Bürger bei verschiedenen Projekten zu wenig einbezieht.“

Im Juli startet der Intensivwahlkampf. Im Ischler Stadtfernsehen stellen sich Schiller (SPÖ) und Mathes (Ex-SPÖ) gemeinsam mit Anton Fuchs, der für die FPÖ antritt, und dem Grünen Martin Schott einer ersten TV-Konfrontation. Für FPÖ und Grüne ist im Bürgermeisterduell wenig Platz. Fuchs nutzt die TV-Diskussion deshalb für einen Frontalangriff auf Mathes und bezeichnet den studierten Juristen als „Chefankläger von Bad Ischl“. Unterstützung für Mathes gibt es hingegen von Landeshauptmann Thomas Stelzer. „In Bad Ischl gilt dasselbe wie für uns in Oberösterreich: Es kommt auf das Miteinander an – das Zusammenhelfen und Zusammenarbeiten“, so Stelzer. Das Engagement Mathes’ sei „ein wertvolles Bestreben für dieses Miteinander“. Der schwarze Landeshauptmann posiert mit dem SPÖ-Dissidenten auf Fotos, und Stelzer blickt auf einem Sujet der Sommerplakatserie vom Ischler Hausberg Katrin auf den Battleground Bad Ischl.

„Plan der ÖVP ist es, dass die SPÖ-Stärke in Ischl gebrochen wird“, so Bürgermeisterin Schiller. Mathes, der sein rotes Parteibuch wenige Stunden vor Bekanntgabe seiner Kandidatur zurückgelegt hatte, bereitet das kein Kopfzerbrechen. „Sollte ich gewinnen, ist definitiv kein SPÖler, aber auch kein ÖVPler Bürgermeister. Es ist eine überparteiliche Geschichte.“ Er sei kein versteckter Türkiser und kein Ischler Sebastian Kurz. In der SPÖ gilt Mathes seit jeher als untypischer Roter: bodenständig, im Nebenerwerb Biobauer, Kirchgänger, in Sachen Kindererziehung eher auf der konservativen Seite, mit Sinn für Gerechtigkeit und Leistung. Fraktionschef, Stadtrat und Vizeparteiobmann waren seine Stationen in der Stadtpartei. Von 2016 bis 2020 war er Landesgeschäftsführer in der Salzburger SPÖ.

„Wenn Ischl fällt, ist das eine Katastrophe“

Ein SPÖ-Politiker, der anonym bleiben möchte

Seit 1949 stellt die Ischler SPÖ den Bürgermeister. Dass diese rote Dominanz beendet werden könnte, sorgt auch in benachbarten SPÖ-Gemeinden für Sorge. Das Innere Salzkammergut gilt in Oberösterreich als „Red Canyon“. Ebensee, Bad Ischl, Bad Goisern, Gosau, Hallstatt und Obertraun sind seit Jahrzehnten rote Hochburgen. Die ÖVP spielte immer nur eine untergeordnete Rolle. „Wenn Ischl fällt, ist das eine Katastrophe“, so ein SPÖ-Politiker, der lieber ungenannt bleiben möchte.

Wegen der Salzvorkommen stand das Salzkammergut mehrere Jahrhunderte unter direkter Verwaltung der Kaiserkrone. In der Gegenreformation zogen sich viele Protestanten in die schwer zugänglichen Täler rund um den Dachstein zurück. Diese Ereignisse bildeten später die Basis für die politische Entwicklung in dem Landstrich. In den 1930er-Jahren waren hier auf der einen Seite Sozialisten und Kommunisten, auf der anderen Seite illegale Nationalsozialisten stark vertreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte die SPÖ, die FPÖ erzielte überdurchschnittliche Wahlergebnisse. Der freiheitliche Säulenheilige Jörg Haider wuchs in Bad Goisern auf und ging in Bad Ischl zur Schule. Bei der Wahl am 26. September könnte die ÖVP erstmals auf Gemeindeebene in die rote Domäne einbrechen. Auf Landesebene hat sie das schon mehrmals geschafft. Die ÖVP-Landeshauptleute Josef Ratzenböck und Josef Pühringer etwa schnitten hier oft besser ab als die farblosen SPÖ-Spitzenkandidaten, deren Namen rasch in Vergessenheit gerieten.

Im Ischler Wahlkampf wird auch in die Schmutzkübel gegriffen. Mathes wird etwa angedichtet, er habe die Salzburger SPÖ als Landesgeschäftsführer an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. Ein Check der beim Rechnungshof hinterlegten SPÖ-Rechenschaftsberichte gibt das nicht her. Mathes ortet „Dirty Campaigning“. Schiller wiederum wird per Mundpropaganda vorgeworfen, ihre drei Kinder zu vernachlässigen und nur mehr ihre politische Karriere im Kopf zu haben. In der Macho-geprägten Gesellschaft des Salzkammerguts hat Schiller als Frau einen schwereren Stand: „Wenn ich ein Mann wäre, wäre es nicht so.“ Potenzielle Kandidaten der beiden Listen werden unter Druck gesetzt, nicht zu kandidieren; über Betriebe und Vereine gibt es Druck, eine bestimmte Partei zu wählen, berichten die verschiedenen Lager. Auch von gegenseitigen Fouls ist die Rede.

Ischl hat etwas mehr als 14.000 Einwohner und knapp 11.600 Wahlberechtigte. Die brennenden Themen ähneln denen anderer Städte. Die steigenden Immobilienpreise und der Zuzug von Zweitwohnungsbesitzern verknappen und verteuern das Wohnungsangebot für Einheimische, zunehmender Verkehr sorgt für Staus, belastet die Umwelt und mindert die Lebensqualität. Jobs für Junge sind rar, während es im Tourismus immer schwerer ist, Personal zu finden, und mit dem Zuschlag für die Kulturhauptstadt 2024 droht Ischl ohne Mobilitätskonzept jener Massentourismus, wie er im 20 Kilometer entfernten Hallstatt täglich beklagte Realität ist.

Der Großteil der Beschlüsse im Ischler Gemeinderat wurde in den vergangenen Jahren einstimmig gefällt. Nach dem 26. September könnte sich das ändern. „Wenn der Bürgermeister nicht die entsprechende Mehrheit hinter sich hat, wird es Stillstand geben“, fürchtet FPÖ-Kandidat Fuchs. Schiller kann sich wegen der im Wahlkampf aufgerissenen Gräben eine Zusammenarbeit mit der „Mathes-ÖVP“ schwer vorstellen. Sie lässt Sympathie für die Blauen anklingen. „Momentan kann ich mit der FPÖ am besten arbeiten“, so Schiller.

Ernst Strasser will die politischen Vorgänge in Ischl nicht kommentieren. Öffentliche Auftritte oder Aussagen meidet der Ex-Politiker: „Mich gibt es nicht mehr.“ In den Hubertushof, den er und seine Frau vom früheren ÖVP-Stadtparteichef gekauft haben, kommen Schwarze und Rote. 16 Vereine halten hier ihre Treffen ab. Der Politiker Strasser hatte das Innenministerium einst von Rot auf Schwarz umgefärbt, dem Privatier Strasser sind solche machtpolitischen Methoden inzwischen fremd. Für die Roten gibt es im Hubertushof ein „Rotes Stüberl“. Strasser hat es einfach von seinem Vorgänger übernommen.

JOHANNES BRUCKENBERGER

Der Autor ist Chefredakteur der Austria Presse Agentur (APA). Mit dieser Reportage kehrt er nicht nur an die Orte seiner Kindheit und Jugend zurück – er wuchs in Bad Goisern und Bad Ischl auf –, sondern erfüllt sich nebenbei auch einen lang gehegten Traum. Seit er als Teenager zum profil-Leser wurde, wollte Bruckenberger einmal für das Magazin schreiben.