ÖGB-Chef Wolfgang Katzian: „Ich bin ja kein Escort-Service“
Von Iris Bonavida und Eva Linsinger
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Sie sind zu Wochenbeginn aus den USA zurückgekommen. Wo hat Sie die Nachricht erreicht, dass die Neos aus den Koalitionsverhandlungen aussteigen?
Wolfgang Katzian
Ich saß schon im Flieger, kurz vor dem Abflug hat mich noch SPÖ-Geschäftsführerin Sandra Breiteneder erwischt und es mir gesagt.
Ausgestiegen sind Sie aber nicht mehr.
Katzian
Nein, es war ja lange geplant, dass ich in die USA reise. Ich war Sprecher bei einem internationalen Panel der amerikanischen Gewerkschaft.
Haben Sie geglaubt, dass Schwarz-Rot zustande kommt?
Katzian
Ich habe schon geglaubt, dass es noch möglich ist. Wir haben ja am Beginn verschiedene Optionen mit der ÖVP ausgelotet. Neben der Dreierkoalition auch eine Zweierkoalition mit Zusatz-Vereinbarungen mit Neos und Grünen. Für eine Verfassungsmehrheit hätte man ohnehin beide Parteien gebraucht.
Die Gespräche zwischen ÖVP und SPÖ scheiterten. Oft suchen in solchen Krisen die Sozialpartner eine Lösung. Gab es noch ein Gespräch zwischen Ihnen und Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer?
Katzian
Wir waren ja beide in der Budgetgruppe, zu Silvester fand die letzte Verhandlungsrunde statt. Ich habe dort zum insgesamt 18. Mal gesagt: Liebe Leute, es fehlt noch ein ordentlicher Beitrag der sogenannten breiten Schultern zur Sanierung!
Und die Antwort?
Katzian
Harald Mahrer hat gemeint, dass der Handlungsspielraum hier ausgereizt ist. Den Rest können nur die Parteichefs entscheiden. Auf Wirtschaftsseite gab es unterschiedliche Ansichten, wie gescheit eine Dreierkoalition ist. Das hat das Ganze nicht gerade erleichtert – genauso wenig wie die bevorstehende Wirtschaftskammerwahl.
Die ÖVP lehnte von Anfang jede Vermögensbesteuerung ab. Hätte Ihnen das nicht klar sein müssen?
Katzian
Nein, wir haben ganz am Beginn außer Streit gestellt, dass es einen Beitrag der sogenannten breiten Schultern geben muss.
Und da gab es eine Zusage von ÖVP und Neos?
Katzian
Natürlich, sonst hätten wir ja gar nicht weitergemacht. Offen war nur die Form. Es war ja klar, dass es mit der ÖVP keine Vermögenssteuern geben wird. Aber das hat niemand zur Bedingung gemacht.
Die SPÖ schon, vor der Wahl.
Katzian
Nicht in den Verhandlungen. Ich habe überhaupt nie in meinem Leben Bedingungen formuliert, weil ich weiß, dass das nicht gut ist. Aber wenn von ÖVP und Neos fast nichts kommt, wird es schwer.
Sie haben auf Bankenabgabe oder höhere Grundsteuern gepocht.
Katzian
Es gab verschiedene Vorschläge. Am Schluss waren zwei im Zentrum: Eine Erhöhung der Bankenabgabe, die hätte bis zu einer Milliarde Euro eingebracht. Und eine progressive Körperschaftssteuer, die größere Unternehmen stärker betrifft und bis zu 800 Millionen gebracht hätte. Das war lange Zeit auf Weiß gestellt. Im internen Ampelsystem gab es die Farben Rot – geht gar nicht, Grün – passt, Gelb – vorstellbar, wenn das Gesamtpaket stimmt, und Weiß, wenn man sich die Punkte noch anschauen muss. Es ging einfach nichts, bis wir gemeint haben: Dann sagt ihr, was aus eurer Sicht möglich wäre!
ÖVP und Neos berichten das Gegenteil, und zwar: SPÖ-Chef Andreas Babler habe Spar-Zusagen im Ausmaß von 13 Milliarden Euro wieder zurückgenommen.
Katzian
Ich habe mich nicht ausgekannt, als ich den Vorwurf gelesen habe. Dann bin ich draufgekommen: ÖVP und Neos haben vermutlich irgendwann begonnen, auch gelbe Punkte als Einigung zu betrachten. Wenn Andreas Babler darauf hinweist, dass Gelb keine Einigung bedeutet, ist das kein Zurücknehmen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: den Klimabonus.
Glaubwürdigkeit ist ein wichtiges Thema. Daran muss man immer arbeiten. Das gilt aktuell besonders für die ÖVP.
Der sollte gestrichen werden.
Katzian
Wir wollten im Gegenzug einen Pendler-Absetzbetrag, der ist gerechter als die Pendlerpauschale. Dann wurde der Klimabonus auf Gelb gestellt. Aber solange beides nicht fix ist, ist es eben kein Grün.
Beim Thema Pensionen soll der ÖGB zu Maßnahmen bereit gewesen sein…
Katzian
Ja, im Hinblick auf das faktische Pensionsantrittsalter.
Aber Babler nicht.
Katzian
Das stimmt nicht. Jede dritte Frau und jeder vierte Mann geht nicht aus der Beschäftigung in die Pension, sondern aus der Arbeitslosigkeit. ÖVP und Neos wollten keine Verbindlichkeit, Menschen über 60 weiter zu beschäftigen, wollten aber das gesetzliche Antrittsalter automatisch erhöhen, wenn das faktische nicht steigt. Aber was bringt das, wenn die Leute keine Hack’n haben? Wenn ich die Leute nicht in Beschäftigung bringe, habe ich dem Dreck a Watschen gegeben. Aber nichts erreicht.
Sie geben den anderen die Schuld. Was hat die SPÖ in den Verhandlungen falsch gemacht?
Katzian
Vielleicht war es falsch, zu erwarten, dass die Zusage eines Beitrags der breiten Schultern hält. Vielleicht war auch ich zu blauäugig. Aber wenn Verhandlungspartner so etwas zusagen und nicht einhalten, werde ich eben stinkert.
Ich fange damit nichts an, wenn man seine Grundsätze aufgibt, nur um in einer Regierung zu sein - und dann kein Sozialdemokrat mehr zu sein.
Hätte die SPÖ kompromissbereiter sein sollen?
Katzian
Das Problem war, dass wir zu Beginn der Verhandlungen nicht detailliert über das Budget sprechen konnten, weil es keine Zahlenwerke, dafür aber unterschiedliche Prognosen aller Akteure gab.
Ist das nicht ein dilettantischer Prozess, Verhandlungen so aufzusetzen?
Katzian
So war es ja nicht. Wir haben auf eine Gruppe mit Experten gepocht, um Klarheit über die Budgetzahlen zu bekommen – Schätzungen des Budgetdienstes des Parlaments lagen bereits vor, wir mussten aber auch auf eine Meldung der EU warten. Erst Mitte Dezember waren alle Informationen da; wir haben schon zuvor Konsolidierungsvorschläge der Parteien bewertet und uns dazu ausgetauscht.
Ist keine Bankenabgabe und keine Köst-Erhöhung wirklich schlimmer als ein Kanzler Herbert Kickl?
Katzian
Das kann man in alle Richtungen diskutieren. Wenn man ein großes Budgetdefizit auf dem Rücken der Arbeitnehmer, der Pensionisten und der Konsumenten sanieren will, obwohl sie es nicht zu verantworten haben, hätte ich vielleicht eh eine Krot gefressen - aber nicht drei. Ich gehe nicht politisch betteln, um irgendwen zu verhindern.
Haben es Teile der ÖVP auf Scheitern angelegt?
Katzian
Ich glaube schon und habe Hinweise, dass es von manchen Parallelgespräche gab. Es war von Anfang an klar, dass es in der Wirtschaft zwei Gruppen gab. Die einen wollten die Dreierkoalition, die anderen mit der FPÖ. Dadurch war der Spielraum sehr klein. De facto hat die Wirtschaft innerhalb der ÖVP das Kommando gehabt, vom ÖAAB oder vom Bauernbund habe ich nicht viel mitbekommen.
Bedeutet das das Ende der Sozialpartnerschaft?
Katzian
Vom Ende der Sozialpartnerschaft würde ich nicht sprechen. Das hängt von der Regierung ab. Wir haben uns nie Gesprächen entzogen. Aber wir kommen nicht zu Showgipfeln, wo wir präsentiert bekommen, was die Regierung eine halbe Stunde später auf einer Pressekonferenz sagen will und wir sollen nur dabeistehen. Das mache ich nicht, ich bin ja kein Escort-Service.
Haben Sie seit Ende der Koalitionsverhandlungen mit Harald Mahrer gesprochen?
Katzian
Ja. Wir sind nicht die besten Haberer, die jeden Freitag zum Wirten gehen, aber es gibt respektvollen Umgang miteinander. Wir sagen uns offen, wie wir die Dinge sehen. In einer FPÖ-ÖVP-Koalition wäre es entscheidend, ob die Regierung auf die Expertise der Sozialpartner Wert legt. Wenn wir kein Gehör finden im Gespräch, werden wir uns anderweitig Gehör verschaffen.
Wie genau?
Katzian
Indem wir uns darauf vorbereiten, etwa Angriffen auf die demokratische Mitbestimmung, das Streikrecht oder auf Kollektivvertragsverhandlungen entsprechend zu begegnen. Da würde es Gegenwehr geben, wie auch bei anderen Vorhaben. Offenbar überlegen FPÖ und ÖVP, den Aufwertungsfaktor beim Pensionskonto irgendwann zu kürzen. Damit würden alle geschnalzt, die noch nicht in Pension sind. Das würde für alle zukünftigen Pensionistinnen und Pensionisten enorme Verluste bedeuten. Diese Gefahr ist noch nicht vom Tisch.
Für die SPÖ läuft vieles schief. Dritte bei EU-Wahlen, Nationalratswahlen, in der Steiermark. Warum versagt die SPÖ?
Katzian
Wenn ich eine schnelle Antwort hätte, würden sich Kollegen weltweit ums Lösungsrezept anstellen. Offenbar können wir manche Inhalte nur schwer vermitteln: das Gerechtigkeitsthema etwa kam in der Bevölkerung nicht ausreichend an, Themen wie Klimaschutz gelten manchen als unnötig. Die ÖVP wollte in den Verhandlungen mit uns Klimamaßnahmen streichen, so viele, dass ich gescherzt habe, dass wir als Benzin-Koalition in die Geschichte eingehen werden. Die SPÖ muss sicher pointierter werden bei ihren Inhalten und die Kommunikation verbessern.
Muss die SPÖ über eine andere Person an der Spitze nachdenken?
Katzian
Das macht sie bei jedem Parteitag. Wir haben einen gewählten Parteivorsitzenden, der hat meinen Rückhalt. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen, weil ich gegen Personendiskussionen in der Öffentlichkeit bin.
Flammende Unterstützung für Babler klingt anders. Führen Sie hinter verschlossenen Türen Personaldiskussionen?
Katzian
Nein. Wir haben einen gewählten Parteivorsitzenden, der hat mein Vertrauen, Punkt. Natürlich würden wir uns bessere Wahlergebnisse wünschen, die wünscht sich auch Andreas Babler. Wir müssen diskutieren, wie wir das schaffen. Es ist zu wenig, alles darauf zu reduzieren, ob Kopf A oder Kopf B vorne steht.
Ist die SPÖ unter Babler zu weit nach links gerückt, muss sie mittiger werden?
Katzian
So links ist die SPÖ gar nicht, sie ist Mitte links. Wenn sie weiter in die Mitte rückt, ist die Frage, ob das dann noch die SPÖ ist. Der Kurs wurde einstimmig beschlossen. Es würde zum geschlossenen Auftreten der SPÖ gehören, einstimmige Beschlüsse mitzutragen – und nicht von 17 Menschen 17 unterschiedliche Interpretationen.
Ein Beschluss lautet: Keine Koalition mit der FPÖ im Bund. Muss die SPÖ ihr Nein zur FPÖ überdenken?
Katzian
Nein. Denn die FPÖ ist noch rechter geworden. Aber natürlich gibt es in der SPÖ Menschen, die dafür plädieren, das Nein zu überdenken, weil man sich damit mehr Optionen aufmacht. Die Frage ist nur: Bin ich für Optionen bereit, meine Grundsätze aufzugeben?
In der Steiermark wollte die SPÖ mit der FPÖ koalieren.
Katzian
Ich fange damit nichts an, wenn man seine Grundsätze aufgibt, nur um in einer Regierung zu sein - und dann kein Sozialdemokrat mehr zu sein.
Die Wähler sind teils dieselben. Die FPÖ ist stärkste Partei bei Arbeitnehmern und Arbeitern.
Katzian
Die Lebensrealitäten der arbeitenden Menschen stehen für uns klar im Mittelpunkt, aber da oder dort müssen wir unsere Inhalte und Lösungen sicher pointierter rüberbringen. Besonders was auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land betreffen. Ich bin ein urbaner Mensch, ich gehe gerne ins Theater, in die Oper, auf den Fußballplatz, ich brauche den Wirbel der Stadt. Andere Menschen leben gern in einer regionalen Struktur, mit stärkerem Vereinsleben, Natur, Berge. Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen politisch abzubilden, haben wir vernachlässigt.
Die SPÖ hat ein Programm für den ländlichen Raum präsentiert. Offenbar hat niemand an die Lösungsmodelle geglaubt.
Katzian
Glaubwürdigkeit ist ein wichtiges Thema. Daran muss man immer arbeiten. Das gilt aktuell besonders für die ÖVP.
Was kommt zuerst: eine neue Person an der Spitze der SPÖ oder des ÖGB?
Katzian
Ich bin bis 2028 gewählt. Im Juni 2028 wird ein neuer ÖGB-Präsident oder eine neue ÖGB-Präsidentin gewählt.
Wer wird dann an der Spitze der SPÖ stehen?
Katzian
Ich habe keine Glaskugel und kann es Ihnen nicht sagen.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin