ÖH in der Krise: Vom Machtfaktor in die Unsichtbarkeit
In diesen politischen Kindergarten sind sie alle gegangen: Sigrid Maurer, Ernst Strasser, Alexander Wrabetz und Michael Häupl. Als ÖH-Vorsitzende für die GRAS, Sozialreferent für die Hochschülerschaft an der Universität Salzburg und VSStÖ-Funktionäre haben sie in der Universitätspolitik ihre politischen Karrieren gestartet.
Diese Namen erinnern auch an Glanzzeiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft: In den 60er-Jahren lag die Wahlbeteiligung noch bei heute utopischen 60 Prozent; der Name Sigi Maurer ist – auch wenn sie nunmehr als Grüne Klubobfrau weitaus gemäßigter auftritt – untrennbar mit den Hörsaalbesetzungen und der #unibrennt-Bewegung verbunden.
Mittlerweile grundelt die ÖH in der Bedeutungslosigkeit, die Wahlbeteiligung ist im Keller. Fünf von sechs Studierenden schwänzten die letzte Wahl im Jahr 2021 - auch deswegen, weil der Wahlkampf 2021 aufgrund von Corona fast ausschließlich online stattfand. Wie verlor die ÖH das Vertrauen derer, die sie eigentlich vertreten will? Und kann die Studierendenvertretung diesen Trend umkehren?
Zwar betonen die aktuellen Studierendenvertreter, was sie in der zu Ende gehenden Legislaturperiode alles umgesetzt haben. Darunter: ein Corona-Härtefallfonds, die Aufstockung des ÖH-Sozialfonds oder finanzielle Unterstützung für Studierende aus der Ukraine. Aber die ÖH hat im vergangenen Jahr auch erheben lassen, wie bekannt die einzelnen Vertretungsorgane sind. Das Ergebnis ist blamabel: Nur ein Drittel der Studierenden kennt die ÖH-Bundesvertretung.
Für die Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik stellt die niedrige Wahlbeteiligung ein Paradoxon dar: „Wir wissen, dass ein Zusammenhang zwischen formaler Bildung und der Bereitschaft zur politischen Partizipation besteht. Jetzt haben wir eine Gruppe an angehenden Akademiker:innen, die alle Matura haben, und trotzdem eine derart niedrige Wahlbeteiligung – da erwartet man etwas anderes.“
„Die Frage nach der Legitimation muss sich eine ÖH schon stellen, wenn sie nur mehr 15 Prozent Wahlbeteiligung hat.“
„Die Studierenden müssen sich bewusst sein, dass die ÖH ihre Vertretung gegenüber der Politik ist. Und die Politik weiß, wer das Gegenüber ist – wenn das nur durch 15 Prozent gewählt wurde, dann wirkt sich das natürlich aus“, meint Praprotnik.
Nach der Schlappe vor zwei Jahren hat die ÖH eine Kampagne für mehr Wahlbeteiligung gestartet. Bildungsminister Polaschek (ÖVP) und Funktionär:innen appellieren an die Studierenden, man hat sich den Slogan „Vote Today, Shape Tomorrow“ ausgedacht. Wie gut das funktioniert hat, wird am Donnerstagabend feststehen, denn: Seit heute haben wieder alle Wahllokale an den Universitäten geöffnet, rund 346.000 Studierende haben drei Tage lang die Möglichkeit, ihre gesetzliche Vertretung zu wählen.
Auf dem Stimmzettel
Verband sozialistischer Student_innen (VSStÖ)
Grüne und alternative Student_innen (GRAS)
Aktionsgemeinschaft (AG)
Fachschaftslisten (FLÖ)
JUNOS Studierende
Kommunistischer Studierendenverband - Linke Liste (KSV LiLi)
Kommunistischer Studierendenverband (KSV-KJÖ)
Ring Freiheitlicher Studenten (RFS)
Who the f*ck is Herbert?
Die Wahlbeteiligung wird wohl wieder die signifikanteste Kennzahl des Abends werden, auch wenn sich Katrin Praprotnik nicht vorstellen kann, „dass die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt. Aber die Frage nach der Legitimation muss sich eine ÖH schon stellen.“
Schon in den 80er Jahren sagte Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, damals als SPÖ-Wissenschaftsminister und selbst ehemaliger VSStÖ-Funktionär: „Eine Hochschülerschaft, die von weniger als 30 Prozent der Inskribierten nur legitimiert ist, ist kein erfreuliches Wahlresultat.“
Hohe Fluktuation und viele Baustellen
Vorbei sind die Zeiten, in denen die ÖH-Spitzen das Wissenschaftsministerium öffentlich herausforderten. Im Winter, am Höhepunkt der Energiekrise, rückten die Rektoren aus, um auf die Unterfinanzierung der Unis aufmerksam zu machen. Früher hätten es sich die Studierendenvertreter nicht nehmen lassen, diese Anliegen am lautesten zu vertreten. Heute sind die Namen der ÖH-Spitzen weitgehend unbekannt - was auch daran liegen mag, dass der Vorsitz zwischen den Koalitionspartnern in der Bundesvertretung regelmäßig rotiert.
Eine, die noch in den besseren Zeiten der Hochschulpolitik aktiv war, ist die Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien, Andrea Brunner.
Brunner war von 2003 bis 2005 Bundesvorsitzende des VSStÖ, zur gleichen Zeit als Barbara Blaha, die Chefin des Momentum Institutes, Spitzenkandidatin für den VSStÖ war. Später wurde sie Bundesgeschäftsführerin der SPÖ Frauen und bis 2019 stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der SPÖ. Brunner findet zwar nicht, dass die sinkende Wahlbeteiligung dafür spricht, dass die ÖH an Bedeutung verliert, sagt aber: „Die ÖH hat mehrere Baustellen.“
„Die ÖH hat nicht an Bedeutung verloren, aber sie hat mehrere Baustellen. Die Leute sind mittlerweile ganz anders auf der Uni als zu meinen Zeiten, weil die Universität sehr verschult worden ist. Die Durchlaufzeiten sind ganz anders, die Verantwortlichen sind jünger.“
Die hohe Fluktuation bei Kandidierenden und Wähler:innen sorgt also für mangelnde Kontinuität, die den Fraktionen mitunter die politische Arbeit erschwert.
Deutlich sieht man das beim RFS, dem Ring Freiheitlicher Studenten. Die blauen Studierenden kommen seit Jahren kaum über drei Prozent - ein Wert, der in keinem Verhältnis zum aktuellen Erfolg der Freiheitlichen steht. „Wenn man immer wieder von Null anfängt, muss man natürlich auch mehr Aufbauarbeit leisten,“ so die Politikwissenschafterin Praprotnik.