Österreich: Digitaler als gedacht

Erst der Flop um das "Kaufhaus Österreich", dann der elektronische Impfpass zum Ausdrucken. Ist die Regierung mit dem Internet überfordert?

Drucken

Schriftgröße

Kann ein einzelner Programmierer aus Wien die komplette Bundesregierung samt Kabinetten blamieren? Er kann. Fabian Pimminger brauchte dafür lediglich sechs Stunden.

Und das kam so: Der Grüne Pass war lange versprochen und Mitte Juni mit gut zwei Monaten Verspätung endlich verfügbar. Doch statt einer nutzerfreundlichen Anwendung wurde das Dokument nur als PDF angeboten - und war damit besser zum Ausdrucken geeignet als zum Vorweisen auf dem Handy. Programmierer Pimminger baute in einem Halbtag eine Website, mit der Geimpfte den Grünen Pass einfach in ihr Wallet laden können. Wallets sind Smartphone-Apps, die wie digitale Brieftaschen funktionieren, in denen Zugoder Flugtickets, Kunden-und Bankomatkarten oder eben der E-Impfpass gespeichert werden können.

Pimminger machte den Pass also ein ganzes Stück praktischer für die User. Gerade noch rechtzeitig: Ab 1. Juli soll der QR-Code auf dem Grünen Pass europaweit einsatzbereit sein - bei Fluggesellschaften, bei Reisen ins Ausland und in Lokalen. Fragt sich bloß, warum der Bund das nicht selbst geschafft hat? Noch peinlicher wird es, wenn man bedenkt, wie viele digitale Pannen sich die Ministerien während der Corona-Pandemie schon geleistet haben: die Megapleite "Kaufhaus Österreich", Anmeldeprobleme bei den Teststraßen, fehlerhafte Daten zu Infizierten und so weiter. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, Österreich sei ein digitales "Entwicklungsland",wie auch der "Kurier" vor einigen Tagen bilanzierte. Und "Der Standard" kam zum Schluss: "Österreich scheitert digital."

Doch ganz so dramatisch ist es glücklicherweise nicht. Tatsächlich liegt Österreich mit seinen Angeboten für digitale Behördenwege im guten europäischen Mittelfeld, wenn nicht sogar im oberen Drittel. Bereits zwei Millionen Österreicher nutzen die Handysignatur, und 81 Prozent machen ihre Steuererklärung online. Von den digitalen Spitzennationen wie Dänemark oder Estland kann Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) dennoch einiges lernen.

"Wenn ich meinen digital affinen Studierenden an der FH Burgenland erzähle, was sie alles online erledigen können, sind sie immer ganz erstaunt. Es fehlt schlicht das Wissen darüber, was bereits möglich ist", schwärmt Christian Rupp für das österreichische E-Government. Damit lobt sich Rupp auch ein Stück weit selbst, schließlich arbeitete er Mitte der 2000er-Jahre im Bundeskanzleramt an der Digitalisierung des Landes mit. Heute berät der Digitalisierungsexperte Behörden und Unternehmen im DACH-Raum.

Rupp hat aber einen Punkt: Wer weiß schon, dass Betroffene eines Diebstahls ihren Verlust bei der Polizei online anzeigen können? Wer weiß, dass Opfer von Hass im Netz bei ihrem Bezirksgericht einen digitalen Antrag auf Unterlassung gegen den Hetzer stellen können? Und dass Prozessbeteiligte seit Ende 2020 auf Justiz-Online vollständige digitale Akteneinsicht bekommen, sodass sie sich Vor-Ort-Termine sparen können? Für diese Innovation hat das Justizministerium im September des Vorjahres sogar den deutschen E-Government-Wettbewerb gewonnen, was aber in Österreich weitgehend unbemerkt blieb.

Bekannter sind Angebote wie die Online-Steuererklärung, die laut neuesten Zahlen aus dem Finanzministerium bereits 81 Prozent der Österreicher nutzen. Oder die Möglichkeit, online ein Volksbegehren zu unterstützen. Wer die App "Digitales Amt" herunterlädt, kann außerdem den Hauptwohnsitz digital ändern und sich daran erinnern lassen, wenn der Reisepass abläuft. Behördliche Briefe kann sich jeder Bürger über die App in sein digitales Postfach schicken lassen. Das alles spart Papier, Zeit und Personal - denn Anfragen wie ein Strafregisterauszug werden inzwischen vollautomatisiert erledigt und landen nach wenigen Sekunden in der App des Antragsstellers.

Die "Digitales Amt"-App, die vom Digitalministerium entwickelt wurde, bündelt alle digitalen Behördenangebote, die es gibt - Grundvoraussetzung für alle Tools: die Handy-Signatur. Viele der Angebote können User allerdings nicht direkt in der App nutzen, stattdessen werden sie auf die Websites von Justiz- oder Innenministerium weiterverlinkt. Die Onlineformulare, die Nutzer dort vorfinden, sind teilweise kaum geeignet für eine Bedienung übers Smartphone. Entsprechend verheerend fällt das Urteil vieler User im App Store über "Digitales Amt" aus: "Es ist angenehmer, eine Suppe mit einer Gabel zu essen, als mit dieser App eine Wahlkarte zu beantragen", schreibt etwa ein User namens Chris. Andere bewerten die App lapidar als "Schrott" oder schreiben: "Oje", "stürzt ständig ab", "Zumutung", "userfeindlich", "nicht zeitgemäß".

Hart, aber verständlich: Digitalaffine Bürger sind den Service von Unternehmen wie Amazon oder Google gewohnt, die alles einem Ziel unterordnen: der Usability, also Benutzerfreundlichkeit. Von Behörden wird erwartet, ähnlich simple und intuitive Anwendungen zu bauen. Der Wiener Programmierer, der in wenigen Stunden den Grünen Pass benutzerfreundlich machte, zeigt beispielhaft, dass Österreichs Behörden in diesem Bereich noch Aufholbedarf haben.

"Die Corona-Krise brachte einen echten Digitalisierungsschub. Da sind wir in der IT natürlich anfangs etwas unter Druck gekommen", sagt Klemens Himpele, Chefstratege für Informationstechnologie bei der Stadt Wien. Sein Team musste unter Zeitdruck die Anmeldeplattform für die Corona-Teststraßen programmieren. "Die Ansprüche der Bürger sind natürlich berechtigt. Bei den Behördenwegen soll niemand mehr Aufwand haben als notwendig." Aktuell arbeiten Himpele und sein Team am digitalen Bauantrag. Projektleiter sollen in - noch etwas ferner - Zukunft ihre 3D-Pläne bei der Stadt einreichen können, eine künstliche Intelligenz soll daraufhin das Vorhaben mit den Bauvorschriften abgleichen. Wäre etwa der Kamin zu hoch geplant, würde das System anschlagen.

Digitalisierungsexperte Rupp glaubt, dass der Bund und die großen Städte wie Wien oder Linz bereits auf einem guten Weg sind. Allerdings: "Das größte Problem haben wir in kleinen und mittleren Gemeinden. Da können Sie so gut wie gar nichts digital erledigen. Wie auch? Diese Kommunen haben oft keinen einzigen IT-Mitarbeiter. Das wird noch eine ziemliche Herausforderung."

Doch auch auf Bundesebene gibt es Aufholbedarf: Im Digitalisierungs-Vorzeigeland Estland bekommen Eltern von neugeborenen Kindern noch im Spital von der Hebamme einen Personencode und können ihrem Kind online einen Namen geben. Die Geburtsurkunde folgt per verschlüsseltem E-Mail. In Estland und Dänemark sind bereits über 90 Prozent der Bevölkerung mit den digitalen Diensten der Behörden vertraut. In Österreich stieg die Zahl der Bürgerinnen und Bürger mit Handy-Signatur zwar zuletzt rasant auf zwei Millionen an - das entspricht aber erst einem Drittel der Erwachsenen. Um das Angebot zu pushen, werden die Behörden ab sofort zu jedem neuen Reisepass automatisch eine Handy-Signatur ausgeben.

Peter Parycek ist ein Österreicher, der das Vertrauen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel genießt. Der Leiter des Departments für E-Governance an der Donau-Uni Krems sitzt im neunköpfigen deutschen Digitalisierungsrat. Parycek glaubt, dass man digitale Dienste auch für den sozialen Ausgleich nutzen könnte: "Wir wissen aus Untersuchungen, dass bis zu 70 Prozent der Menschen, die antragsberechtigt wären, keinen Antrag stellen. Mit E-Government könnten wir dafür sorgen, dass Menschen in Notlagen die Zuwendungen vollautomatisiert bekommen." Doch auch auf die digitale Bildung müsse gesetzt werden. Ein neuer Digitalisierungs-Bericht des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) zieht nach eineinhalb Jahren Corona-Krise Bilanz: "Die Covid-19-Pandemie machte deutlich, dass Personen ohne digitale Skills stärker von sozialer Ausgrenzung bedroht sind", schreiben die Experten in dem Papier, das profil vorab vorliegt. Österreichs Stärken sieht auch das Wifo im Bereich E-Government, ausbaufähig seien das Angebot öffentlicher Dienste für Unternehmen und die digitale Infrastruktur.

Österreich wird aber nie ganz zu den nordischen Ländern aufschließen, glaubt Peter Parycek: "Nordische Staaten sind einerseits historisch weniger belastet als wir, und die Gesellschaft ist wesentlich transparenter-beispielsweise können Bürger online abfragen, was der Nachbar an Einkommenssteuer zahlt. Da werden wir nie und wollen wir auch nicht hinkommen." Auf innovative Ideen aus der Zivilgesellschaft werden die Behörden daher auch in Zukunft angewiesen sein: Die App von Fabian Pimminger, mit der der E-Impfpass am Handy abgespeichert werden kann, wird inzwischen auch von der niederösterreichischen Impfhotline beworben.

*EU-Ranking anhand DESI 2020. In der eGovernment Benchmark 2020 lag Österreich besser platziert auf Platz 3.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.