Es war ein politischer Coup in der größten Krise: Zwei Boeing 777 der AUA brachten am 23. März 2020 130 Tonnen dringend benötigte Schutzmasken und -anzüge aus China nach Österreich. Die millionenschwere Ausrüstung sollte Spitalpersonal in Nord- und Südtirol vor dem Coronavirus schützen. Österreichs Regierungsspitze ließ sich mit den Hilfsgütern ablichten, Bundespräsident Alexander Van der Bellen dankte „allen, die diese gemeinsame Aktion ermöglicht haben“. Einzig: Der Schutz war mangelhaft. Nun klagt die Republik.
Von Beginn: Zum Ausbruch der Coronapandemie 2020 waren Schutzgüter Mangelware. Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hatte mit dem Sportkleidungshersteller Oberalp, zu dem etwa die Marke Salewa gehört, dennoch einen Anbieter chinesischer Schutzausrüstung gefunden. Nur fehlte die Logistik für den Transport von China nach Italien. Kompatscher setzte auf seine Kontakte in der Volkspartei-Familie und kontaktierte Österreichs damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) per Chat. Wenige Tage später stand eine „Luftbrücke“ aus AUA-Fliegern, die auch Masken und Schutzanzüge für Österreich aus China einflog.
Abgewickelt wurde das Geschäft nicht wie üblich von der Bundesbeschaffung GmbH (BBG), sondern von der „ÖRK Einkauf und Service GmbH“, der Einkaufstochter des Roten Kreuzes. Einer ihrer Geschäftsführer: Rot-Kreuz-Bundesrettungskommandant Gerry Foitik, der gleichzeitig in Covid-Krisenstäben der Regierung saß.
Noch am Flughafen Schwechat sei das Rote Kreuz bei einer raschen Sichtung der Atemschutzmasken „stutzig“ geworden, berichtete später der ORF. Das Wirtschaftsministerium beauftragte eine Prüfung durch die „DEKRA Testing and Certification GmbH“ in Essen, am 27. März 2020 stand fest: „Im Bereich der Wange waren deutliche Lücken zu erkennen.“ Für eine Atemschutzmaske fatal.
Die Schutzmasken aus China waren mangelhaft. Das Prüfinstitut Dekra kam etwa zum Schluss: "Im Bereich der Wange waren deutliche Lücken zu erkennen." Aufgrund der Lücken konnte der Durchlassungsgrad der Masken nicht einmal getestet werden.
Rasch beauftragte das Bundesheer ein zweites Gutachten beim „Amt für Rüstung und Wehrtechnik“ (ARWT) in Wien. Dieses fiel noch kritischer aus: „Anhand der vorliegenden Prüfergebnisse kann nicht empfohlen werden, diese Masken als FFP3-Masken bzw. als Atemschutzmasken (FFP1–3) in Verkehr zu bringen oder zu verwenden.“ Die Öffentlichkeit erfuhr davon zunächst nichts. Das Gutachten blieb unter Verschluss, bis das Südtiroler Nachrichtenportal Salto am 6. April 2020 erstmals über den mangelhaften Schutz in Italiens Spitälern berichtete.
Und dennoch erwarb die Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes für die Republik weitere Schutzgüter über den Sportartikelhersteller Oberalp. Womöglich auch, weil sich Österreichs politische Spitze für den Masken-Deal einsetzte: So schrieb Oberalp-Chef Christoph Engl etwa am 1. April 2020 an die Führungsriege der Oberalp: „Rotes Kreuz Österreich nimmt alle Masken. Analyse steht zwar noch aus, aber Bundeskanzleramt hat entschieden: nehmen.“ Auf Nachfrage erklärt Oberalp, diese Information vom Roten Kreuz und nicht direkt aus dem Kanzleramt erhalten zu haben. Egal wer sie traf: Aus Sicht der Republik war es eine teure Entscheidung.
Millionen für Mangelware
Denn als am 30. März und 4. April 2020 weitere insgesamt 1.749.239 Atemschutzmasken geliefert wurden, prüfte der Physikalisch-technische Prüfdienst (PTP) des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen (BEV) genau. Resultat: Nur 236.700 Masken entsprachen dem erforderlichen CPA-Standard. Das Rote Kreuz hatte für die Republik 1,5 Millionen Atemschutzmasken um 1,33 Euro das Stück gekauft, die nur als einfacher Mund-Nasen-Schutz verwendet werden konnten. Der Staat forderte daraufhin einen Preisnachlass, der offenbar bis heute nicht angewandt wurde.
Allen Mängeln zum Trotz wurde weiterhin bei Oberalp bestellt, immer wieder stellten sich die Schutzgüter als mangelhaft heraus. Insgesamt 43.379.476,99 Euro Schaden seien dem Staat so entstanden, berechnet die Finanzprokuratur. In Italien laufen seit Jahren Ermittlungen gegen Oberalp, auch in Österreich wurde die Firma im September 2021 durch die Finanzprokuratur angezeigt. Seitdem ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts des schweren Betrugs und der Untreue gegen vier namentlich bekannte Beschuldigte, drei Verbände und einen unbekannten Täter. Alle Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsvermutung.
Im Jänner 2022 führten die Ermittler zudem eine Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten des Roten Kreuzes durch. Sie vermuten, dass die Einkaufstochter des Roten Kreuzes bewusst ignoriert hat, dass Oberalp für insgesamt 470.000 Stück Schutzanzüge die notwendige CE-Zertifizierung nicht vorweisen konnte. Die Anzüge waren somit für Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime unbrauchbar – und sollen die Republik dennoch fast 24 Millionen Euro gekostet haben.
Vertreter der Republik Österreich waren in den Beschaffungsprozess eingebunden und wurden vollumfänglich informiert, Bestellungen wurden erst nach Freigabe durch die Republik Österreich getätigt.
Rotes Kreuz
Oberalp betont auf Anfrage, dass die Firma dem Roten Kreuz nie CE-zertifizierte Ware angeboten habe. Zudem habe sich das Unternehmen in der Causa nichts zuschulden kommen lassen. Zu großen Teilen eingestellte Verfahren in Italien wertet Oberalp etwa „als weitere Bestätigung dafür, dass das Unternehmen in guter Absicht und als Vermittler in einer Notlage gehandelt hat und keinerlei betrügerische Absichten verfolgte“.
Auch das Rote Kreuz weist sämtliche Vorwürfe gegen seine Einkaufstochter „entschieden zurück“: Man habe „trotz enormen Zeitdrucks und der hohen weltweiten Nachfrage“ die Bestellungen „entsprechend den mit der Republik geschlossenen Verträgen“ beschaffen können: „Vertreter der Republik Österreich waren in den Beschaffungsprozess eingebunden und wurden vollumfänglich informiert, Bestellungen wurden erst nach Freigabe durch die Republik Österreich getätigt.“
Der österreichische Staat sieht das anders – und will die strafrechtlichen Ermittlungen offenbar nicht mehr abwarten: Wie profil exklusiv erfuhr, brachte die Republik gegen die Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes und die Firma Oberalp im November 2023 eine Zivilklage auf rund 41,6 Millionen Euro ein – zuzüglich Zinsen. Die Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes soll zusätzlich rund 2,8 Millionen Euro überweisen. Der Staat hatte diese Summe ursprünglich als Deckungsbeitrag an die Tochterfirma des Roten Kreuzes gezahlt: An jedem Kauf verdiente die Einkaufsgesellschaft 1,5 Prozent. Das sei besonders wenig, betonte das Rote Kreuz in der Vergangenheit.
Die Republik fühlt sich dennoch vom Roten Kreuz hinters Licht geführt: Dem Wirtschaftsministerium sei mehrfach eine Preisreduktion für die mangelhaften Masken versprochen worden, lautet ein Kritikpunkt. Ein anderer: Die Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes habe für die Beschaffungsvorgänge eine zwölf Millionen Euro schwere Bankgarantie abgeschlossen, ohne die Republik zu informieren. Aus Sicht des Bundes ist das relevant, denn ein Scheitern des Beschaffungsvorganges hätte die Garantie zulasten der Rot-Kreuz-Tochter schlagend werden lassen. Das Rote Kreuz will sich zu den konkreten Vorwürfen mit Verweis auf die laufenden Verfahren nicht öffentlich äußern.
Hätten die Rot-Kreuz-Tochter und das Südtiroler Unternehmen rechtskonform gehandelt, hätte Österreich die mangelhafte Schutzausrüstung nie gekauft, argumentiert der Staat nun. Tatsächlich war es der Republik spätestens Mitte Mai 2020 zu bunt geworden: Das Wirtschaftsministerium wollte aus dem Vertrag mit Oberalp aussteigen.
Negative Publicity, negative Öffentlichkeit, das ist das, was Politiker wahrscheinlich am meisten scheuen …
Andreas Fuhrmann
der Geschäftsführer der Rot-Kreuz-Einkaufsgesellschaft gab Oberalp-Chef Christoph Engl Tipps
Die italienischen Behörden hörten zu diesem Zeitpunkt bereits die Telefone der Firma Oberalp ab. So lauschten sie laut dem Aufdecker-Buch „Das Geschäft mit der Angst“ auch, als der zweite Geschäftsführer der Rot-Kreuz-Einkaufsgesellschaft, Andreas Fuhrmann, Oberalp-Chef Christoph Engl Ende Mai vor dem geplanten Vertragsausstieg warnte. Fuhrmann empfahl, der Republik mit Klage zu drohen, denn: „Negative Publicity, negative Öffentlichkeit, das ist das, was Politiker wahrscheinlich am meisten scheuen …“
Tatsächlich kam es Anfang Juni 2020 nach einer Krisensitzung zwischen Wirtschaftsministerium, Finanzprokuratur, Gesundheitsministerium, Rotem Kreuz und Oberalp zu einem Kompromiss, nach dem weitere zehn Millionen KN95-Masken geliefert werden sollen. Die Republik will bei der Besprechung allerdings über zahlreiche Probleme nicht informiert worden sein. Und: Während die ersten vier Millionen Masken eine Prüfung bestanden, wurde die zweite Lieferung über sechs Millionen Masken nicht mehr überprüft.
Verbotene Telefonate
Ein Fehler, der Ende November 2020 spürbar wurde: Personal in Tiroler Kranken- und Pflegeeinrichtungen beschwerte sich über die Masken. Bei einem Test des BEV stellte sich heraus: Sie waren mangelhaft. Die chinesische Fabrik hatte die Masken offenbar in zwei Produktionsstraßen herstellen lassen – und eine der beiden erfüllte die Qualitätsbedingungen nicht. Die Masken mussten aus dem Verkehr gezogen werden. Eine profil-Anfrage, was mit der mangelhaften Schutzausrüstung passierte, ließ das Gesundheitsministerium mit Verweis auf das Wirtschaftsressort und laufende Ermittlungen unbeantwortet.
Am 26. November 2020 verbat das Wirtschaftsministerium der Rot-Kreuz-Einkaufsgesellschaft jegliche Kommunikation mit Oberalp. Nur einen Tag später meldete sich Fuhrmann dennoch über eine neue Handynummer bei Oberalp-Chef Engl. Der Rot-Kreuz-Manager informierte dabei über das Kontaktverbot, bat, künftig über eine private Mailadresse zu kommunizieren und gab Tipps für den Umgang mit dem Staat: „Die österreichische Republik wird Sie klagen. Und meine Empfehlung ist: Das BEV, das das Gutachten erstellt hat, gehört der Republik. Deshalb müssen Sie in der Beweisführung unbedingt auf ein nicht-österreichisches Institut bestehen“, wird Fuhrmann in „Das Geschäft mit der Angst“ zitiert.
Erst im Rahmen der Abrechnung Ende 2020 will der Bund bemerkt haben, dass es offenbar doch keine Preisminderung für die mangelhaften Masken gab. Das Wirtschaftsministerium habe den Preisnachlass nie in Anspruch genommen, hält die Rot-Kreuz-Tochter dagegen. Klären muss das nun auch das Handelsgericht Wien, vor dem die Republik mit der Rot-Kreuz-Tochter um 44,4 Millionen Euro streitet.
Italien hat sich für den umgekehrten Rechtsweg entschieden: Der Südtiroler Sanitätsbetrieb (SABES) bezahlte bislang 30 Millionen Euro für mangelhafte Schutzausrüstung an die Oberalp nicht. Das Unternehmen brachte daher im März 2024 eine zivilrechtliche Klage gegen den SABES ein. Dass die Ware mangelhaft war, ließ Oberalp nicht gelten: „Der Sanitätsbetrieb war in einer absoluten Notlage als fachlich kompetenter Besteller und Importeur der Waren offensichtlich gewillt, die Materialien so zu akzeptieren, wie sie in China zur Pandemiebekämpfung eingesetzt worden waren.“ Und: „Die Alternative wäre gewesen, nichts zu haben.“
Was als schnelle Hilfe begann, wird die Justiz wohl noch länger beschäftigen.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.