Ein rechter Österreicher: Die Entradikalisierung von Norbert Hofer
In allen Jahreszeiten, auf allen Kanälen, bei jedem Wetter und in jedem Outfit hat man Nobert Hofer nun gesehen. Davor war er nur der Vize gewesen, Stellvertreter von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (was er übrigens immer noch ist). Im Laufe des längsten Wahlkampfes aller Zeiten ist aus dem Mann ein anderer geworden. Hofer hat es geschickt verstanden, sich zu entradikalisieren. Sein großes Ziel scheint das Menscheln gewesen zu sein.
Sein Zuhause in Pinkafeld hat er bis hin zu privatesten Räumen der Öffentlichkeit vorgeführt. Alle Welt kennt nun das Zimmer seiner 13-jährigen Tochter, das Muster ihrer Bettdecke und die Fotos an ihrer Pinnwand. Hofer plaudert gern darüber, wie es so wäre in der Hofburg; er würde dort auch gerne wohnen. „Ein Präsident mit einer pubertierenden Tochter, die dann auch zum ersten Mal in eine Disco geht. Werden dort dann Fotografen sein?“, hat er schon einmal angedacht. Er hätte wohl nichts dagegen.
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Über sein persönliches Drama, einen Unfall, der eine inkomplette Querschnittslähmung zur Folge hatte, und die eiserne Disziplin, mit der er sich ins Leben zurückkämpfte, hat Hofer ein Buch geschrieben. Wenn er darüber spricht, halten seine Anhänger den Atem an. Das Buch erschien vor zwei Jahren. Damals habe Strache zu ihm gesagt, er habe Großes mit ihm vor, erzählte Hofer.
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In der ersten Halbzeit des Wahlkampfs kehrte Hofer das Amtsverständnis eines autoritären Präsidenten heraus. „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“, sagte er und lächelte maliziös. Die Regierung abberufen, Heinz-Christian Strache zum Kanzler ernennen, auf Geheiß einer neuen, von Strache bestellten Regierung das Parlament auflösen, mit Notverordnungen regieren: Das alles erlaubt die österreichische Verfassung dem Bundespräsidenten. Die Menschen erschraken. Ein kalter Putsch schien plötzlich denkbar. Hofer beteuert jetzt immer wieder, er habe das nicht so gemeint.
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Hofers zweiter Wahlkampfauftakt fand in der ersten Septemberwoche auf der Welser Messe statt, in einem riesigen, bis zur Mittagsstunde unerträglich aufgeheizten Festzelt. Strache donnerte von der Bühne herab gegen Ausländer, „die sich an unseren Frauen vergreifen“. Oberösterreichs FPÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner sagte, der Mensch sei „kein unbeschriebenes Blatt“, wenn er auf die Welt komme. „Integration muss scheitern“, und Hofer sei „die letzte Hoffnung“. Ein kollektives „Uahh“ rollte durch den Saal, als Hofer seinen Gegner Alexander Van der Bellen einen Kommunisten nannte. Schwitzend, bierselig folgten die Fans der Regieanweisung „Mach den Hofer“ und hielten sich Nobert-Hofer-Masken vors Gesicht.
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Am Nationalfeiertag, Tag der offenen Tür, war der Wahlkampf ins Parlament eingezogen. Schwere Kronleuchter und neobarocke, mittelalterlich anmutende, mit Gold ausgeschlagene Kassettendecken. Vor dem Büro des Dritten Nationalratspräsidenten bildete sich eine kleine Schlange. Strache und Hofer empfingen gemeinsam. Strache stand, Hofer saß auf einem halbhohen Schemel. Er steckte, anders als Strache, in einem Trachtenanzug. Weste und Oberteil waren zu klein geraten, oder der Träger hatte ein paar Kilogramm zugelegt seit der letzten Anprobe. Hofer war schweigsam und wirkte lustlos, zur Nebenfigur degradiert – in seinem eigenen Büro. Vielleicht war er übermüdet. Vielleicht hatte er Schmerzen. Zu seinem Glück hatte Hofer den jovialen Strache an seiner Seite.
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Smalltalk ist eine Königsdisziplin, doch nicht jene von Norbert Hofer. Er hat Journalisten und Anzeigenvertreter zum „Ganslessen“ in ein Wiener Gasthaus geladen. Donald Trump wurde eben erst zum US-Präsidenten gewählt und Norbert Hofer ist leutselig nach allen Seiten. Er redet ohne Punkt und Komma. Geschichten ohne Pointe. Sport, Familie, Auslandskontakte – „der Italiener“, „der Serbe“. Hofer erzählt von einer Einladung des Waffenhändlers Gaston Glock, der ihn und seine Familie unbedingt kennenlernen wollte und ihn sechs Stunden lang mit Beschlag belegte. „Dort drüben ist er gesessen und da ich“, sagt Hofer und zeigt mit den Händen, wie nah er ihm war.
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Die Mehrheit von Hofers Mitarbeitern im Parlament gehört jener extrem rechten „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ an, die 2011 im deutschen Dachverband erfolglos versucht hatte, einen „Arierparagrafen“ (deutsche Abstammung als Aufnahmekriterium) durchzusetzen. In ihrer Grundsatzschrift von 2012 heißt es, die Forderung nach Gleichheit aller Menschen sei ein ideologischer Standpunkt. Hofer selbst ist Ehrenmitglied einer deutschnationalen Verbindung und wird ziemlich wütend, wenn er darauf angesprochen wird, wie das die Journalistin Corinna Milborn im Privatsender Puls 4 vergangene Woche tat.
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Am Jahrestag der Novemberpogrome lauscht Hofer auf einem Podium andächtig einem sehr alten, kleinen Mann, der in einem Wiener Grandhotel beglückt die Honneurs der Freiheitlichen entgegennimmt. Rafi Eitan, eine israelische Legende, einst Offizier in jenem Kommando, das den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann 1960 aus Argentinien entführte und nach Israel brachte, um ihn dort vor Gericht zu stellen. Alle sind sich einig über die Gefahr eines neuen Antisemitismus durch Flüchtlinge. Vom traditionellen, tief verankerten Antisemitismus der FPÖ will hier keiner etwas gehört haben, auch nicht davon, dass Wiens FPÖ-Obmann Johann Gudenus Israel einst des „Staatsterrorismus“ bezichtigte und für den islamistischen Terror Verständnis äußerte („Gegenwehr“).
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Als Camouflage erweist sich eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Ladies Business Lunch“, für den die Nahostexpertin Karin Kneissl engagiert wurde. Ein gesichtsloser Konferenzsaal eines Salzburger Hotels ist mit Plakaten „Frau in Blau“ geschmückt. Die Frauen hier kennen einander. Aufplatzendes Lachen, Trump-Geflüster. Armselig finden sie, was Trump von feministischer Seite vorgeworfen wird. Mein Gott, so reden sie halt, die Männer. Die quirlig-junge Salzburger FPÖ-Chefin, Marlene Svazek, die die Wahlnacht bei der Trump-Party in New York verbrachte, findet nicht alles an Trump super, meint jedoch: „Bei uns gibt es keine Quotenfrauen, sondern Frauen, die gern wie eine Frau behandelt werden.“ Kneissls Referat über den einst freien Umgang mit Frauen in Ländern des Nahen Ostens bleibt ohne Widerhall. Staffage für Hofers Wahlkampfrede. Gut genug jedenfalls für ein Hofer-Testimonial.
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Worum es wirklich geht, nämlich um verdeckten Rassismus, der sich als kultureller Unterschied tarnt, wurde vom ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus ausgesprochen. Klaus vertritt die auch unter Rechtsradikalen populäre These, dass Massenzuwanderung von den europäischen Eliten gewünscht und gesteuert werde. Der große Saal in Hübners Kursalon im Wiener Stadtpark ist brechend voll. Hier ist das rechte Establishment des Landes daheim, Krawattenträger der Generation 60 plus, auch einige Jüngere, auch einige Frauen. Auf dem Podium neben dem Stargast das bewährte Paar Strache & Hofer. Hofer lächelt ins Publikum. Klaus spricht etwas abgehackt. „Kein Mitgefühl mit den Flüchtlingen. Migranten gehören niemals zum Volk. Das behaupten nur Kulturmarxisten der Frankfurter Schule.“ Strache nickt heftig zu diesen Ausführungen. Hofer lächelt.
Strache warnt vor Muslimen, die bald die Mehrheit stellen würden, vor „Invasoren“ und „Landnahme“. Hofer sagt: „Ich hätte damals die Regierung entlassen. Wir wollen unser Österreich wieder zurück.“ Jubel braust auf. Klaus ist entzückt.
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Einen ganzen Tag lang hat Hofer in Kärnten wahlgekämpft, jetzt steht er zwischen Punschschwaden auf dem Christkindlmarkt in Klagenfurt. Schmerzhaft falsche Töne einer Bigband. Engelsfiguren in sexy Posen, „100 Millionen Jahre alte Ammoniten“ (20 Euro) sowie fossile Haizähne werden hier angeboten. „Der Bundespräsident!“, flüstern die Leute. Da hat er schon eine karierte Schürze über den Kärntner Anzug gestreift und walkt vor Fotografen und Kameras einen Keksteig aus. „Ich find das klass. Ich kann gar nicht aufhören, wenn ich einmal anfang’. Deswegen hab ich auch vier Kinder“, sagt Hofer und lacht. Die Umstehenden lachen pflichtschuldigst. „Der Nudelwalker, der ist aber ganz schön klein, der tut ja gar nicht weh“, sagt Hofer. „Meine Frau daheim hat einen größeren.“ Hofers Entourage wird nervös. Was kommt da noch?
Der nächste Christkindlmarkt befindet sich auf dem Pyramidenkogel. Aus nächtlichem Nebel blinkt der Turm wie eine Raumstation. „Wir haben einen Traum“, sagt Hofer vor kleinem Publikum: „Es soll sein wie früher, wo man Haus und Wohlstand erwarb durch Arbeit, nicht Spekulation.“
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Straches Weihestunde im Parlament, sein zehnjähriges Jubiläum als Klubobmann, ist ein Pflichttermin. Großer Auftrieb. Gäbe es ein Adjektiv, das die feierlich Versammelten am liebsten auf sich beziehen würden, so hieße es wohl „österreichisch“. So findet man hier zuhauf einen bestimmten Typus unter den Gästen: schwarzer Kellner-Anzug, Lackschuhe, pomadisiertes, zurückgekämmtes Haar, serviles Lächeln.
Die angeblichen Parias sind längst im Zentrum der Macht angekommen. Es herrscht gute Stimmung im Saal. Langatmige Begrüßungsreden. Auf Klubdirektor Norbert Nemeth, einen zackigen Redner, der seine Rhetorik in der berüchtigten Burschenschaft Olympia gelernt hat, folgt „Ingenieur Hofer“, wie er hier genannt wird. Er fällt deutlich ab, es ist, als hielte ein Zug mitten auf der Strecke an. Man beginnt zu gähnen. Erst im letzten Viertel seiner Rede kriegt Hofer die Kurve, wird sentimental und wieder launig, mit dieser harmlosen Heinz-Rühmann-Attitüde in Sprache und Bewegung. Hofer nuschelt, er hat kein Feuer. Könnte man sich trotzdem mit seiner Art anfreunden? Könnte man sie als „besonnen“ und „bedächtig“ auslegen?
Strache ist der letzte Redner des Abends. Er trägt dick auf. „Der Herrgott will, dass er antritt“, sagt er zu seinen Getreuen und zu Hofer gewandt: „Das ist deine Bestimmung im Leben.“