ÖVP-Parteitag: Schilde, Schwerter, Stocker
Die Arena Nova in Wiener Neustadt ist eine Veranstaltungshalle, wie sie für Bezirkshauptstädte typisch ist. Sie könnte auch in Bruck an der Mur, St. Johann im Pongau oder Wels stehen. Im April findet in der Arena Nova „Forever-60 – die ewig junge Seniorenmesse“ statt. Im Mai tritt der Comedian Gery Seidl auf. Am Samstag hält die ÖVP hier ihren 41. Bundesparteitag (Motto: „Neue Wege. Richtige Entscheidungen“) ab, um Kanzler Christian Stocker formal zum Bundesparteiobmann zu wählen. 2000 Menschen nehmen teil, darunter 450 Delegierte, ÖVP-Regierungsmitglieder, Landeshauptleute, Abgeordnete und fast alle Ex-Obmänner wie Josef Pröll, Wolfgang Schüssel, Wilhelm Molterer und Michael Spindelegger. Sebastian Kurz kommt erst knapp nach Stockers Einzug in den Saal. So sichert man sich Rest-Aufmerksamkeit.
Karl Nehammer, der 18. Bundesparteiobmann der ÖVP, hält eine Abschiedsrede. „Mein Herz ist voll“, sagt er. Er bedankt sich bei seiner Gattin, allen Funktionären (seit 1945), Erwin Pröll und „zwei wichtigen Männern in meinem Leben“: dem „Gust“ (Wöginger, Klub- und Arbeitnehmerbund-Obmann) und dem Sebastian, „unter dem ich als Generalsekretär Schild und Schwert der Volkspartei“ sein durfte. Am Ende bedankt sich Nehammer bei seinem früheren Mitarbeiter Christian Stocker. Es sei die beste Entscheidung gewesen, Stocker im September 2022 zum Generalsekretär zu machen. Denn dieser sei „Schild und Schwert der Volkspartei“ gewesen. Die ÖVP-Delegierten danken es Nehammer mit Ovationen. Würde es sich Stocker an diesem Punkt doch noch anders überlegen mit der Parteiobmannschaft, könnte Nehammer einfach weitermachen. So nimmt er gerührt ein – eher mattes – Abschiedsgeschenk aus Stockers Händen entgegen: ein großes Foto, gerahmt, das Nehammer im Pulk seiner Parteifreunde zeigt, mit dem Schriftzug „Danke“ quer darüber. Der Ex-Obmann freut sich.
Der Wöginger Gust ist aufgrund seines Unterhaltungsfaktors bei jedem Parteitag fix als Redner gebucht. Nach dem Ende seiner politischen Laufbahn könnte er als Comedian in der Arena Nova Karriere machen. Wöginger erzählt von den Regierungsverhandlungen. Die Gespräche mit der FPÖ seien „entrisch“ und voller „Irrsinnigkeiten“ gewesen. Während der nächtelangen Verhandlungen der Dreierkoalition habe man schachtelweise Schokobananen verzehrt. Jeweils zu Mitternacht ging aufgrund einer Zeitschaltung nervigerweise das Licht im gesamten Parlament aus.
Keine Brad-Pitt-Vibes
Vor dem Hauptact, der Rede des Parteiobmanns, wird ein Video eingespielt: Es zeigt Christian Stocker als Politiker und privat beim Fliegenfischen in einem Bächlein in Niederösterreich. Brad-Pitt-Vibes („Aus der Mitte entspringt ein Fluss“) stellen sich im Saal trotzdem nicht ein. Auch Stocker bedankt sich mehrfach, am Anfang seiner Rede bei seinem 91-jährigen „Papa“, der im Saal anwesend ist, selbst Abgeordneter für die ÖVP war und den Aufstieg des Juniors zum Kanzler zunächst nicht glaubte: „Eher gewinnt der SC Wiener Neustadt die Champions League.“ Die österreichische Politik ist eben noch unberechenbarer als das Wirtschaftswachstum.
Dann streift Stocker sein persönliches Trauma. Ja, er habe es ernst gemeint, als er nach den Wahlen ausschloss, mit Herbert Kickl Regierungsverhandlungen zu führen. Dann habe er gehofft, der FPÖ-Obmann würde sich als möglicher Kanzler neu erfinden. Bei den Verhandlungen mit der FPÖ musste er aber erkennen: Kickl wolle Österreich wie US-Präsident Donald Trump regieren. Aber er, Stocker, sei „kein Partner für ein Österreich, das vertrumpt“.
Stockers halbstündige Ansprache erfüllt ihren Zweck – etwa so wie das Abschiedsgeschenk für Karl Nehammer. Wer auf lautes Pathos steht, wurde ohnehin von diesem bedient. Zum Schluss beschreibt Stocker die ÖVP-Welt, wie er sie sieht: Regeln einhalten, nicht brechen; Leistung respektieren, nicht entwerten; Wissenschaft statt Verschwörungstheorien; aufeinander schauen, nicht einander ausnützen. Und vor allem: Liebe zum Land.
Die 450 Delegierten wählen ihn anschließend aus Liebe zur Partei mit loyalen 98,4 Prozent zum 19. Bundesparteiobmann der ÖVP. Ein unaufgeregter Parteitag geht zu Ende. Für den pfeffrigsten Moment sorgte Stockers neuer Generalsekretär, Nico Marchetti, 35, in seinem Redebeitrag: „Die FPÖ ist der Aasgeier der österreichischen Innenpolitik, der sich vom Elend der anderen ernährt.“ Offenbar will auch Marchetti „Schild und Schwert“ der Volkspartei sein.