Im Vordergrund ist ein Foto von dem neuen ÖVP-Chef Christian Stocker, im Hintergrund ein Foto eines Kommentars "Es ist genug!!!"
Blau-Schwarz

Rumoren an der ÖVP-Basis: „Bricht mein politisches Herz“

Dass die Volkspartei Kickl nun doch zum Kanzler machen will, entzweit Mitglieder und Funktionäre. Einige kündigen ihren Parteiaustritt an, andere träumen von Sebastian Kurz. Interne ÖVP-Gruppen geben Einblicke in die schwarze Seele.

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Dass die ÖVP eines ihrer zentralen Wahlversprechen aufgab, FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht zum Kanzler zu machen, halten viele an der Parteibasis für unverzeihlich. Es brodelt. Das zeigen nicht nur Interviews mit ehemaligen Parteigranden, sondern auch vertrauliche Postings in Facebook-Gruppen mit ÖVP-Mitgliedern, in die profil Einblick nehmen konnte. Dort ist vor allem ein Gefühl dominant: Verunsicherung. Während die Ersten die Partei verlassen, führen andere hitzige Pro-und-Contra-Diskussionen über den möglichen Pakt mit der FPÖ. Besonders oft taucht ein Name in den Gruppen auf: Viele ÖVPler hoffen auf ein Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

Darauf will B. aus Vorarlberg allerdings nicht mehr warten. In einem Mail an ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner macht er kurzen Prozess: „hallo Markus! Es ist genug!!! Ich kann eure verlogene ‚schwarze Mafia‘ nicht mehr hören und sehen. Darum ist es mir unmöglich einem ÖVP-nahen Verein anzugehören.“ Und weiter in fetter Schrift: „Ich kündige deshalb ab sofort meine Mitgliedschaft bei Vorarlberg50plus.“ Der Verein ist ein Nachfolger des ÖVP-Seniorenbundes, der nach außen hin unabhängiger auftritt.

Wenn aus Freunden Feinde werden

Andere zögern noch. Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler, ein über Parteigrenzen geachteter Europapolitiker, denkt in Interviews offen über einen Parteiaustritt nach, sollte die ÖVP Kickl zum Kanzler machen. Das werde er vom Regierungsprogramm abhängig machen, sagt er. Die Ausgangslage bewertet der Tiroler als denkbar schwierig: „Die ÖVP kann nur das Ausmaß des Schadens reduzieren, aber grundsätzlich ist der Schaden angerichtet.“ Die frühere ÖVP-Familienministerin Maria Rauch-Kallat äußerte sich ähnlich.

Die beiden sind freilich nicht mehr in der Politik, und tun sich leichter, ihren Unmut kundzutun. Von den schwarzen Landesparteichefs war bisher kaum ein kritisches Wort zu vernehmen. Fünf von ihnen sind ohnehin selbst in einer Koalition mit der FPÖ. Nur Tirols Landeshauptmann Anton Mattle, ein Verfechter von Schwarz-Rot, ließ durchklingen, dass er mit den Entwicklungen im Bund „nicht glücklich“ sei.

In der zweiten Funktionärsreihe und unter den einfachen Mitgliedern gärt es. Die offiziellen Sprachregelungen der Partei, wonach der Wählerwille und die staatspolitische Verantwortung die Gespräche mit den Freiheitlichen gebieten würden, verfangen kaum.

Patricia Davis, die stellvertretende Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt in Wien, postet öffentlich auf Facebook: „Um eines klarzustellen: Ich lehne jegliche Regierung in der die FPÖ ein Teil ist, aus tiefstem Herzen ab. Und ich fühle mich von den Koalitionsverhandlern verarscht. Für dieses Ergebnis haben sie mehr als drei Monate gebraucht?? Zurück an den Tisch und zwar dalli! Ihr habt Verantwortung. Alle. Nehmt sie verdammt nochmal wahr!“

ÖVP-Wahler: Vom Saulus zum Paulus!”

Wer auf den Fanpages der Volkspartei und ihrer Spitzen nach Kritik von Parteifreunden sucht, wird bald fündig. Ein Gemeinderat aus dem Süden Niederösterreich schreibt auf Instagram: „Wir dürfen uns nichts vormachen die FPÖ wird uns nie als Partner betrachten für die sind wir nur ein notwendiges Übel, ein Anhengsl [sic!] das man loswerden will.“  

Vor allem von Schwarz-Wählern, die sich selbst als Unterstützer der „Mitte“ sehen, hagelt es Kritik. Ein bald nicht mehr-ÖVP-Wähler aus Tirol teilt profil schriftlich mit: „Vom Saulus zum Paulus! Mich ärgert, dass ich im Endeffekt meine Stimme für etwas hergegeben habe, was ich überhaupt nicht wollte.“ Als Partei der „Mitte“ und „Stabilität“ inszenierte sich die ÖVP im Wahlkampf.

In geschlossenen Facebook-Gruppen wie „Community der Volkspartei“ und „ÖVP“ organisieren sich tausende ÖVP-Mitglieder. Freilich lässt sich nicht bei allen von ihnen klären, ob sie tatsächlich Parteimitglieder sind, ihre Postings legen es aber nahe. In den Gruppen gibt es derzeit nur ein Thema: die mögliche Koalition mit Kickl.

„Wenn die ÖVP Kickl zum BK macht, dann war’s das für mich mit ÖVP wählen. Er wird die ÖVP am Nasenring durch die Regierungszeit ziehen 😡“, zürnt ein Gruppenmitglied.

Ein Posting löst Debatten aus: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir nicht das erste Land mit einem rechtsextremen Kanzler sind. Das [sic!] meine – ehemals christdemokratische, konservative Partei – dabei als Königsmacher fungieren möchte bricht mein politisches Herz“.

Die Gegenwehr folgt prompt: „Sind wir nicht, siehe Italien, Niederlande, Ungarn“, repliziert einer. Ein anderer fragt: „Mit einem linksextremen Koalitionspartner hätte es gepasst?“

Es gibt also auch die Gruppe derer, die ein rechtskonservatives Bündnis einem Pakt mit SPÖ und Neos vorziehen – auch wenn das für die ÖVP den Verlust des Kanzleramts bedeutet.

Wenn die ÖVP Kickl zum BK macht, dann war’s das für mich mit ÖVP wählen. Er wird die ÖVP am Nasenring durch die Regierungszeit ziehen 😡

ÖVP-Unterstützer in einer Facebook-Gruppe

Allerdings: Die Personalie Christian Stocker löst in den Gruppen wenig Euphorie aus. Immer wieder ist die Forderung nach „Neuwahlen“ zu lesen. Als mögliche Spitzenkandidatin wünschen sich manche Ex-Ministerin Karoline Edtstadler. Doch am häufigsten taucht der Name von Ex-Kanzler Sebastian Kurz auf: Seine Rückkehr „wäre so schön“, heißt es da. Und: „Ich hoffe auf Neuwahlen mit Kurz und nicht eine Juniorpartnerschaft mit Blau Schwarz“. Kurz habe „Kickl rhetorisch und bei Wahlen in der Hand“, der FPÖ-Chef habe „keine Chance“.

Aus Teilen des schwarzen Arbeitnehmer-Bundes ÖAAB ist zu hören, dass man alles andere als zufrieden sei, wenn die ÖVP „mit jemandem eine Koalition bilden möchte, der am liebsten Gewerkschaften und Arbeiterkammer auflösen möchte.“ Ein Hoffnungsschimmer: Dass Herbert Kickl sich – sollte er Kanzler werden – nicht an seine Wahlversprechen hält.

Ein langjähriger Bauernbund-Funktionär hat unter Wahrung seiner Anonymität einem Telefonat mit profil zugestimmt: „Kickl ist wirklich eine Unperson. Es gibt kaum einen Satz, wo er nicht irgendwen provoziert“, sagt er. Seine Hauptprobleme mit Kickl: „Seine Putin-nähe, sein Vorbild Orbán und die Tendenzen zum Öxit (EU-Austritt Österreichs, Anm.). Mit sowas muss man rechnen. Demokratiepolitisch habe ich eine Riesenangst. Wir werden Richtung Osten abdriften.“

Bei der Schuldfrage folgt er tendenziell der Parteilinie, aber nicht vollinhaltlich: Großteils macht er SPÖ-Chef Andreas Babler („ein Kommunist“) und die Neos für das Scheitern verantwortlich. Aber der Bauernbündler sagt auch: „Ich war nicht dabei, aber bei der Wirtschaft war von Anfang an bekannt, dass die mit den Blauen eine Regierung wollen.“

Ein ÖVP-Ortsparteichef aus dem Osten deklariert sich im profil-Gespräch als „Gegner der FPÖ“: Er fürchtet, die Freiheitlichen könnten nun das aufbauen, wovor sie selbst immer gewarnt haben: Einen „deep state“ – also Behörden mit Getreuen unterwandern. Der Ortschef: „Das ist nicht unrealistisch, dass die das in einer Brutalität aufziehen, die wir nicht kannten. Wenn die ÖVP überlebensfähig sein möchte, muss sie der Kontrolleur der FPÖ sein.“

Der Verlauf der Verhandlungen bietet also ÖVP-intern noch einiges an Zündstoff. Das zeigen nicht zuletzt auch die prominenten Abgänge der vergangenen Tage. Neben Kanzler Karl Nehammer erklärten auch Außenminister Alexander Schallenberg und Medienministerin Susanne Raab, unter Kickl nicht mehr für Regierungsämter zur Verfügung zu stehen. Andere wie Bildungsminister Martin Polaschek überlegen noch.

Die Herausforderung für die Volkspartei: Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit SPÖ und Neos bleibt der ÖVP kaum mehr eine andere Option – während die FPÖ angesichts aktueller Umfragewerte Neuwahlen nicht zu fürchten braucht.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.