Koalition

Blau-schwarze Koalitionsverhandlungen: Wird Corona ein „Dealbreaker“?

FPÖ und ÖVP suchen nach einem Mechanismus, um ihre unterschiedlichen EU-Positionen zu vereinheitlichen.

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Am 6. Jänner erteilte Bundespräsident Alexander van der Bellen den Regierungsauftrag an FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Am Freitag wurde die erste Runde der blau-schwarzen Koalitionsgespräche abgeschlossen. Insgesamt wird in 13 Gruppen verhandelt. Wie ÖVP-Obmann Christian Stocker am Donnerstag vor Journalisten meinte, gäbe es „mehr Konsens als Dissens“ und kein wirklich unüberwindliches Streitthema (Stocker nannte es einen „Dealbreaker“). Abwartend positiv kommentieren auch die Freiheitlichen den Stand der Verhandlungen. 

Was ist aus der ersten Woche herauszulesen?

  • Die ÖVP findet nach dem gebrochenen Wahlversprechen, keinesfalls Herbert Kickl zum Kanzler zu machen, langsam wieder zu sich. Der Schock in den schwarzen Reihen legt sich. Das eigene schlechte Gewissen überwindet man mit der Autosuggestion, letztlich im Interesse des Landes zu handeln. Mit dem Bundespräsidenten ist man im Einvernehmen. Allzu billig will es Stocker in den Verhandlungen nicht geben. Auch die ÖVP hat – behauptet sie zumindest – trotz ihrer jetzigen Verfassung eine Schmerzgrenze, Stocker persönlich nichts zu verlieren. Das erlaubt ihm einen gewissen Fatalismus: Wenn es sein muss, geht er auch in Neuwahlen. 
     
  • Die Europapolitik mag kein „Dealbreaker“ bei den Verhandlungen sein, könnte in den kommenden Jahren der FPÖ-ÖVP-Koalition allerdings zu einem solchen werden. Die ÖVP wird den nächsten Außenminister stellen. Dieser könnte im Rat für Auswärtige Angelegenheiten etwa ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland mitbeschließen, das Kanzler Herbert Kickl im Europäischen Rat der Regierungschefs (mit Ungarns Viktor Orbán und dem Slowaken Robert Fico) ablehnt. Österreich würde sich in Brüssel zum Gespött machen. Daher suchen die Koalitionsparteien nach einem Mechanismus, um sich in EU-Angelegenheiten verbindlich zu akkordieren. 
     
  • Ein möglicher „Dealbreaker“ ist noch unterbelichtet: Corona. Die Pandemie und Attacken aufs schwarz-grüne Krisenmanagement bestimmten den blauen Wahlkampf und kamen auch in Kickls Neujahrsansprache vergangene Woche in Vösendorf prominent vor. In diesem Punkt muss die FPÖ liefern. In der Vergangenheit forderte sie sogar die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Ein solcher wird mit der ÖVP nicht möglich sein. Auch einen „Covid-Hilfsfonds für Corona-Folgen“, wie ihn Schwarz-Blau in Niederösterreich einführte, lehnt die Volkspartei ab. 
     
  • Herbert Kickl vermeidet demonstrativ jede Provokation. Bei der Nationalratssitzung vergangenen Mittwoch, in der Übergangsregierungschef Alexander Schallenberg eine Erklärung abgab, meldete er sich nicht zu Wort. Seine Rede beim Neujahrsempfang in Vösendorf fiel für Kickl-Standards milde aus. 
     
  • In einer FPÖ-ÖVP-Regierung wäre kaum mit personellen Überraschungen zu rechnen. Die ÖVP dürfte auf ihr bisheriges Personal setzen. Allerdings: Drei Regierungsmitglieder aus Niederösterreich – Innenminister Gerhard Karner, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Christian Stocker als Vizekanzler – sind zumindest eines zu viel im schwarzen Machtverteilungsalgorithmus.
  • Herbert Kickl wird die blauen Minister aus seinem engsten und engeren Kreis auswählen wie die Abgeordneten Susanne Fürst und Dagmar Belakowitsch, Bürochef Reinhard Teufel, Klubdirektor Norbert Nemeth und Generalsekretär Christian Hafenecker. Als Finanzminister kommen die Abgeordneten Hubert Fuchs oder Arnold Schiefer in Frage. 

    Für übergangene Kandidaten verfügen ÖVP und FPÖ über den gleichen Trostposten. Ende Juni läuft die Amtszeit der von Schwarz, Rot und Blau gestellten Volksanwälte aus. Die Jobs sind nicht so gut bezahlt wie Ministerämter, bedeuten aber auch weniger Stress.

  • Zum „Dealbreaker“ könnte auch die Bankenabgabe werden. In den Verhandlungen mit der SPÖ lehnte die ÖVP sie ab. Aus FPÖ-Sicht wäre eine zeitliche begrenzte Solidarabgabe der Banken denkbar. Die Freiheitlichen wollen überdies Druck auf die Finanzwirtschaft ausüben, Wohnbaukredite leichter und günstiger zu vergeben.
Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.