ÖVP und Grüne präsentierten Programm
Zumindest was den Umfang angeht, hat das türkis-grüne Regierungsprogramm das türkis-blaue deutlich überflügelt: 326 Seiten umfasst das Papier, in dem ÖVP und Grüne unter dem Titel "Aus Verantwortung für Österreich" ihre Pläne bis 2024 vorlegen. Dennoch bleiben einige potenzielle Konfliktthemen offen. Und für den Fall einer neuen Flüchtlingskrise wurde sogar ein koalitionsfreier Raum eingebaut.
Klimaneutralität bis 2040
Das erwartete große Klimaschutz-Paket der türkis-grünen Koalition besteht aus vielen einzelnen Maßnahmen bzw. Überschriften, die zum Teil noch mit Inhalt gefüllt werden müssen. Das große Ziel ist es, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Bis 2030 soll der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Geplant sind auch ein Österreich-Ticket, der Öffi-Ausbau und ein Klimacheck für alle neuen Gesetze.
Asyl: Sicherungshaft und Grenzkontrollen
Das Regierungsprogramm zum Thema Asyl bringt etwa die Einführung einer "Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit". Betroffen sein sollen davon Personen, "bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden". Eingebaut ist ein koalitionsfreier Raum für den Fall einer neue Flüchtlingskrise.
Bei "neuen unvorhergesehenen Herausforderungen" wird ein recht komplexer Modus in Kraft gesetzt, wie die Koalition sich abzustimmen hat. Können sich am Ende Kanzler und Vizekanzler nicht verständigen, kann das zuständige Ministerium eine Gesetzesinitiative im Alleingang im Parlament einbringen und nach einer Begutachtung gegebenenfalls auch mit anderen Mehrheiten umsetzen.
Einsetzen will sich die Regierung für Abkommen mit sicheren Drittstaaten zur Errichtung von "Search and Rescue"-Zentren bzw. von Aufnahmezentren für Migranten, die aus der Seenot gerettet werden, letzteres in Kooperation mit dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat. Zudem sollen Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern ausgearbeitet werden, wobei sowohl Anreize als auch Sanktionen angedacht sind. Strafen für organisierte und gewerbsmäßige Schlepperei sollen erhöht werden.
Eine klare Absage wird einer europäischen Flüchtlingsaufteilung erteilt. Die Aufstockung der Frontex-Grenzgruppen will Österreich mit Karriere-Vorteilen fördern. Noch eher vage ist die Ankündigung eines beschleunigten, grenznahen Asylantragsverfahrens im Binnen-Grenzkontrollbereich.
Apropos Grenzen: Auch unter Türkis-Grün werden die nationalen Grenzkontrollen fortgeführt, solange der EU-Außengrenzenschutz nicht lückenlos funktioniert. Verwenden will man dabei aber verstärkt "technische Hilfsmittel".
Als Kernpunkt einer neuen Migrationsstrategie wird eine klare Trennung von Asyl und Arbeitsmigration angeführt. Zur Erleichterung letzterer soll eine neue Rot-Weiß-Rot-Karte geschaffen werden. Diese soll digitalisiert werden, die für eine Bewilligung notwendigen Einkommensgrenzen sollen überarbeitet (und damit wohl gesenkt) werden.
Innere Sicherheit: BVT-Neuaufstellung
Neben den auch schon in anderen Regierungsprogrammen vorhandenen Schwerpunkten im Bereich der Inneren Sicherheit fallen im aktuellen vor allem die avisierte Neuaufstellung des BVT, Maßnahmen zur Bekämpfung von Vereinen wie den Identitären, die staatsfeindliches Gedankengut verbreiten, sowie ein nationaler Aktionsplan für Menschenrechte in Österreich auf.
BVT: "Zur Wiederherstellung des Vertrauens seitens der Bevölkerung und von Partnerdiensten" plant die Regierung eine umfassende Neuaufstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Vorgesehen ist eine klare strukturelle Trennung in eine nachrichtendienstliche und eine Staatsschutzkomponente innerhalb eines reformierten BVT. Geplant sind u.a. transparente Personalaufnahmeverfahren und Ausbildung. Zudem ist die Behebung aller in der Vergangenheit aufgezeigten Sicherheitsmängel (samt Bericht an den ständigen Unterausschuss) geplant.
KAMPF GEGEN EXTREMISMUS: Ein Aktionsplan soll sich dem Rechtsextremismus und dem politischen Islam widmen. Zudem wird das BVT einen eigenen Extremismusbericht erstellen, der u.a. den islamistischen Extremismus umfasst. Die Beobachtung und Einschätzung rechtsextremer Burschenschaften wird wieder in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen. Die Koalition will weiters Maßnahmen setzen, um staatsfeindliche Vereine wie die Identitären "wirksam zu bekämpfen".
BÜRGERRECHTE: In diesem Bereich werden zahlreiche Schwerpunkte gesetzt. So durch die Weiterentwicklung und Intensivierung der Zusammenarbeit mit NGOs und einen Aktionsplan für Menschenrechte. Bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizisten soll es konsequente und unabhängige Ermittlungen durch eine eigene Behörde in "multiprofessioneller Zusammensetzung" geben, die sowohl von Amts wegen ermittelt als auch als Beschwerdestelle fungiert und mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet ist
Weitere Verbesserungen betreffen die Vernehmungsmethoden, so sollen nur Dolmetscher beigezogen werden, die transparente Qualitätsstandards erfüllen. Der Rechtsschutz bei Untersagung von Versammlungen wird optimiert. Vorgesehen ist auch der Ausbau der parlamentarischen Kontrollrechte.
POLIZEI: Die begonnene Personaloffensive der Polizei wird mit 2.300 zusätzlichen Planstellen und 2.000 Ausbildungsplanstellen fortgesetzt. Vorgesehen ist u.a. eine Entlohnung nach Belastungskriterien, flexiblere Arbeitszeiten und Dienstzuteilungen. Die Polizei als Abbild der Gesellschaft soll mehr Diversität (z.B. Migrationshintergrund) aufweisen. Vorgesehen ist eine Sanierungsoffensive der Polizeiinspektionen, die im Eingangsbereich freundlicher und vor allem barrierefrei zu gestalten sind.
Transparenz für Staat und Parteien
INFORMATIONSFREIHEIT: Das Amtsgeheimnis - derzeit noch in der Verfassung abgesichert - wollen ÖVP und Grüne abschaffen. Stattdessen soll es ein einklagbares Recht auf Informationsfreiheit geben, das auch gegenüber nicht börsenotierten öffentlichen Unternehmen gelten soll. Auch der Zugang zu Dokumenten (und nicht nur zu Informationen) wird erlaubt. Die Frist dazu beträgt vier bis acht Wochen. Gebühren sind nicht vorgesehen. Und Informationen von allgemeinem Interesse sollen aktiv veröffentlicht werden.
Allerdings sind auch zahlreiche Ausnahmen vorgesehen. Keine Auskunft erteilt werden muss demnach, wenn das im Interesse der Sicherheit oder Außenpolitik nötig ist, wenn personenbezogene Daten zu schützen sind, wenn "erheblicher wirtschaftlicher oder finanzieller Schaden" droht oder wenn behördliche Entscheidungen oder Ermittlungsverfahren geschützt werden müssen. Die Datenschutzbehörde soll Behörden diesbezüglich "Beratung und Service" bieten.
RECHNUNGSHOF: Die Prüfkompetenzen sollen erweitert werden - und zwar sowohl bei Parteien als auch Unternehmen. In die Parteifinanzen soll der Rechnungshof bei konkreten Anhaltspunkten Einschau nehmen dürfen. Unternehmen sollen schon ab 25 Prozent Staatsanteil geprüft werden dürfen. Ausgenommen sind börsenotierte Staatsfirmen.
PARTEIEN: Die Transparenz der Parteifinanzen wollen ÖVP und Grüne erhöhen. Konkret sollen alle Spenden über 500 Euro nach spätestens drei Monaten offengelegt werden, Spenden ab 2.500 Euro weiterhin sofort. Anonyme Spenden werden mit 200 Euro begrenzt. Umgehungsstrukturen über nahestehende Organisationen sollen verhindert, bei illegalen Spenden auch Sanktionen gegen Spender geprüft werden. Und die Spendengrenze wird gelockert: Kleinspenden bis 100 Euro sollen in die maximal 750.000 Euro pro Jahr nicht eingerechnet werden.
Neu gestaltet werden sollen die Rechenschaftsberichte der Parteien. Nicht öffentlich gemacht werden soll aber, bei welchen Banken Parteien Kredite laufen haben - diese Information soll nur an den Rechnungshof gehen. Dafür werden die Strafen bei Überschreitung der Wahlkampfkostengrenze neuerlich erhöht.
Justiz: Mehr Ressourcen, kein Generalanwalt
In der Justiz, vor deren Aushungerung Interimsjustizminister Clemens Jabloner gewarnt hatte, will die ÖVP-Grünen-Bundesregierung die erforderlichen Ressourcen locker machen, und zwar auch für anstehende Reformen. Die Reform des Maßnahmenvollzugs soll kommen, und auch eine "evidenzbasierte" Weiterentwicklung des Strafrechts. Auch eine Novellierung des Mietrechts will die Regierung angehen.
Integration mit Kopftuchverbot bis 14
Das Kopftuchverbot an Schulen wird bis zum 14. Lebensjahr ausgeweitet, ist dem Integrationskapitel des Regierungsprogramms zu entnehmen. Verstärkte Kontrollen soll es in Kinderbetreuungsstätten, insbesondere islamischen geben. Einen Präventionsunterricht soll es ab der Mittelstufe geben.
Mehr Geld für Frauen und Kinderbetreuung
Die türkis-grüne Regierung will gegen Gewalt an Frauen ankämpfen und verspricht, eine "substanzielle Aufstockung des Frauenbudgets" sowie einen Ausbau der Frauenberatungs- und Gewaltschutzzentren. Ausgebaut werden soll auch die Kinderbetreuung. Jede Familie soll die Wahlmöglichkeit haben, ihr gemeinsames Leben zu gestalten, heißt es im Programm.
Arbeitslosengeld wird "weiterentwickelt"
Im Arbeitskapitel fällt zunächst auf, was fehlt, nämlich die unter Türkis-Blau geplante Abschaffung der Notstandshilfe. Eher undeutlich ist bloß von einer "Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren können" die Rede.
Nicht fix ist eine weitere Lohnnebenkosten-Senkung. Hier ist nur von einer Prüfung der Potenziale zur Senkung der Lohnnebenkosten ohne Leistungsreduktion die Rede.
Wenig Konkretes zur Landesverteidigung
Beim Kapitel Landesverteidigung fällt auf den ersten Blick auf, dass es mit dem Krisen- und Katastrophenschutz verknüpft ist und dass wiederholt von einer "zeitgemäßen" Neugestaltung der Aufgaben gesprochen wird. Zahlen, was das Budget anbelangt, findet man ebenso keine wie konkrete Pläne zur künftigen Gestaltung der Luftraumüberwachung. Dafür soll die Kategorie "teiltauglich" kommen.