Interview

ÖVP-Klubchef August Wöginger: Mit Kickl geht es nicht

Der Klubobmann der ÖVP fordert, dass Studenten länger arbeiten und Asylwerber zu gemeinnütziger Tätigkeit eingesetzt werden. Das Klimaschutzgesetz hält er für wenig wichtig.

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Hakenkreuz-Schmierereien, Friedhofsschändung, heruntergerissene Israel-Fahnen. Antisemitische Vorfälle steigen. Hat Österreich das Problem zu lange ignoriert?
Wöginger
Antisemitismus darf bei uns keinen Platz haben. Wir brauchen einen breiten Schulterschluss gegen Antisemitismus und müssen alles tun, ihn in die Schranken zu weisen. Wir brauchen noch mehr Aufklärungsarbeit, beginnend in den Schulen.
Hat Sie das Ausmaß des Antisemitismus überrascht?
Wöginger
Ja, schon. Denn es wurde sichtbar, dass sowohl die extrem linken als auch die extrem rechten Ränder bereit sind, auf die Straße zu gehen. Es ist sehr wichtig, dass die Parteien dem Einhalt gebieten. Wenn etwa die Sozialistische Jugend Pro-Hamas Aussagen tätigt, muss die SPÖ das aufs Schärfste zurückweisen.
Es gibt Parteiausschlussverfahren gegen SJ-Gruppen.
Wöginger
Das ist wichtig. Das Gleiche gilt auf der rechten Seite. Es ist besorgniserregend, dass sich die FPÖ nicht von Bildern und Videos mit dem Hitlerbalkon distanziert. Derartige Rülpser stören. Denn insgesamt ist, vom Bundespräsidenten abwärts, Österreichs Haltung parteiübergreifend klar: Wir stehen an der Seite Israels. Die Hamas ist eine Terrororganisation. Da kann man sich nicht wegducken, da kann man nicht bequem und neutral zuschauen, da muss man als Österreich klar das Wort für Israel ergreifen.
Ariel Muzicant fordert wegen der antisemitischen Übergriffe neue Asyl-Regeln. Hat er recht?
Wöginger
Asylrecht ist ein Grundrecht. Man kann sich nicht aussuchen, woher die Menschen kommen. Österreich nimmt relativ viele Menschen auf, das ist in Ordnung. Aber wir können als Staat erwarten, dass sich diese Menschen unseren Regeln und Gepflogenheiten anpassen.
Was meinen Sie konkret?
Wöginger
Die Bevölkerung würde Asylwerber besser akzeptieren, wenn es eine Art Gegenleistung gibt. Nach dem Motto: Österreich bietet Schutz und Hilfe – warum sollen Asylwerber dafür nicht im gemeinnützigen Bereich Tätigkeiten ausüben? Das muss ja kein 12-Stunden-Tag sein. Aber mit kleineren Arbeiten würde sichtbar, dass Asylwerber einen Beitrag dafür leisten, dass sie hier Schutz und Grundversorgung bekommen.
Die Menschenrechtskonvention verbietet Arbeitspflicht. Daran sind bisher alle Vorstöße für Arbeitspflicht für Asylwerber gescheitert.
Wöginger
Aus Vorarlberg wird ein Kodex vorgeschlagen, ich halte das für eine gute Lösung. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels gibt es in Gemeinden und Kommunen viele Möglichkeiten, ein bisschen mitzuhelfen. Zum Beispiel haben wir jetzt wahnsinnig viel Laub herumliegen oder Hecken zu schneiden. Ich war 24 Jahre lange in der Kommunalpolitik, da gibt es unzählige Handgriffe, die zu erledigen sind. Wir sind das Land der Vereine und des Ehrenamtes, warum sollen wir nicht von jenen einen kleinen Beitrag verlangen, denen wir Hilfe bieten. Vielleicht würde die FPÖ dann sogar weniger Wählerstimmen einsammeln.
Kultusgemeinde-Präsident Oskar Deutsch sagt, die FPÖ sei eine Partei der „Kellernazis“. Hat er recht?
Wöginger
Faktum ist, dass es in der FPÖ immer wieder Vorfälle in diese Richtung gibt. Mir fehlt dabei auch eine klare Distanzierung von Parteichef Herbert Kickl. Die findet nicht statt. Das ist empörend. Die Verrohung der Sprache mit brutalen Kampfausdrücken, die von der FPÖ und ihrem Parteichef betrieben wird, ist gefährlich. Wenn die Bevölkerung ständig aufgehetzt wird, ist friedliches Zusammenleben schwer möglich.
Würden Sie unter einem Kanzler Kickl Klubchef oder Minister sein?
Wöginger
Das hat unser Bundeskanzler und Parteiobmann Karl Nehammer dezidiert ausgeschlossen. Und ich schließe mich dem zu 100 Prozent an. Mit der Volkspartei wird es keine Regierung mit Herbert Kickl geben.
Und mit der FPÖ?
Wöginger
Die ganze Partei schließen wir nicht aus, das wäre auch unseriös. Wir regieren in drei Bundesländern mit der FPÖ. Wir haben auch auf Bundesebene mit der FPÖ koaliert. Mit der FPÖ an sich kann man koalieren. Inhaltlich sind wir ihr teilweise näher als anderen Parteien. Aber mit Kickl geht es nicht.
Die ÖVP wird sich den Obmann der FPÖ nicht aussuchen können.
Wöginger
Aber es ist redlich zu sagen, was man nicht will. Und wir wollen dezidiert keine Regierung mit Kickl.
Gilt das auch nach der Wahl? Die ÖVP in Salzburg und Niederösterreich koalieren entgegen allen Versprechungen mit der FPÖ.
Wöginger
Das gilt definitiv auch nach der Wahl.
Die FPÖ liegt in allen Umfragen auf Platz 1, die ÖVP auf Platz 2 oder 3.
Wöginger
Vor gut 12 Monaten lag die SPÖ in Umfragen bei 30 Prozent. Und die FPÖ hat eine gewisse Erfolgsserie darin, sich selbst in die Luft zu sprengen. Bis zur Wahl kann noch viel passieren. Wir werden mit jeder Faser  darum kämpfen, dass weder ein Kommunist noch ein rechtsextremer Populist das Kanzleramt übernimmt.
Mit Kommunist meinen Sie SPÖ-Chef Andreas Babler?
Wöginger
Er bezeichnet sich selbst als Marxist. Und sein Programm mit dem Recht auf leistbares Leben ist dem Kommunismus sehr nahe. Soll das ein Recht auf ein tägliches Schnitzel sein?
Kanzler Nehammer bevorzugt Burger. Essen Ihre Kinder manchmal Burger?
Wöginger
Natürlich. Wenn ich vom Innviertel nach Wien fahre und beim McDonalds Kaffeepause mache, sehe ich viele Familien mit Kindern. Dass Nehammers Burger-Menü nicht das beste Beispiel war, hat er selber gesagt. Ich  verstehe auch die Kritik. Aber eines möchte ich betonen: Die Inhalte, die Nehammer im Video ansprach, die sind richtig. Es ist notwendig, dass mehr Menschen Vollzeit arbeiten und weniger Teilzeit. Natürlich gilt das nur für Menschen ohne Betreuungspflichten.
Auch die arbeiten nicht alle freiwillig Teilzeit.
Wöginger
Wir haben Anreize  für längeres Arbeiten  präsentiert. Dazu kommt: Wenn ein Betrieb eine Stelle ausschreibt, muss die Belegschaft informiert werden. Dann können sich Teilzeit-Kräfte bewerben. Denn Teilzeit hat Folgen: Wenn ich mein ganzes Leben nur Teilzeit arbeite, bekomme ich auch nur eine Teilzeit-Pension. Da kommt manchmal das böse Erwachen, wenn der Pensionsbescheid ins Haus flattert.
Manche Maßnahmen im Steuersystem begünstigen Teilzeit. Wollen Sie die abschaffen?
Wöginger
Vollzeitangestellte waren in Österreich noch nie niedriger besteuert wie jetzt. Die kalte Progression ist abgeschafft, Steuersätze wurden gesenkt. Am Steuersystem liegt der Trend zur Teilzeit nicht. Sondern eher daran, dass die Freizeit-Komponente immer mehr in den Vordergrund rückt. Verständlich, wir leben in einem wunderbaren Land, mit Bergen, Seen, allem, was das Herz begehrt. Nur: Der Wohlstand wird sich nicht von selber tragen. Das muss man der Bevölkerung sagen. Wir wollen den sozialen Wohlfahrtsstaat erhalten. Ohne Arbeit wird das nicht gehen. Und Arbeit ist ja Lebensinhalt, nicht nur Bürde. Noch dazu kann man sich derzeit den Arbeitsplatz aussuchen.
Menschen sollen also mehr Stunden und länger arbeiten?
Wöginger
Ich lebe an der bayrischen Grenze. Solche Minipensionen wie dort will ich nicht. Um unser Pensionsniveau zu erhalten, ist es wichtig, dass wir uns näher an das gesetzliche Pensionsalter von 65 Jahren heranarbeiten.
Ein Viertel des Budgets machen Pensionen aus. Muss man bremsen?
Wöginger
Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, verdienen sich eine anständige Pension. Man sollte in eine andere Richtung gehen: Wer eine längere Ausbildung gemacht hat, soll länger arbeiten. Das ist sozial gerecht. Das ist kein Bashing gegen Studenten, die brauchen wir: Aber wer um zehn Jahre später zu arbeiten beginnt als ein Lehrling, ist anders zu bewerten. Und er soll bis 65 arbeiten und nicht früher in Pension gehen.
Sie kommen aus dem Industriebundesland Oberösterreich. Dort gibt es Warnstreiks, weil es bei den Kollektivvertragsverhandlungen der Metaller kracht. Wie die Situation lösen?
Wöginger
Das Schwierige ist: Beide Seiten haben gute Argumente. Die Inflation war hoch, Arbeitnehmervertreter müssen dafür sorgen, dass sie abgegolten wird. Auf der anderen Seite sind manche Teile der Industrie schon in einer Rezession. Wir als Regierung verhandeln keine Kollektivverträge, wir können nur Anti-Teuerungs-Maßnahmen setzen.
Viele Anti-Teuerungs-Maßnahmen passierten mit der Gießkanne, war das ein Fehler?
Wöginger
Da ist sicher der eine oder andere Fehler passiert. Aber eines ist klar: Wir haben den Menschen geholfen und die untersten Einkommen massiv gestärkt. Daher ist die Kaufkraft hoch. In anderen Ländern wie Spanien ist zwar die Inflation niedriger – aber dort ist  die Kaufkraft gesunken. Bei uns sind die Medianeinkommen gestiegen und die Inflation geht glücklicherweise nach unten.
Sie ist mit 5,4 Prozent immer noch sehr hoch.
Wöginger
Sie hat sich halbiert, zu Jahresbeginn hatten wir 11 Prozent Inflation. Die Richtung stimmt. Vielleicht war nicht jede Maßnahme ideal, aber wir wollten die Kaufkraft erhalten. Das ist uns insgesamt gelungen.
Das kostete aber sehr viel Geld.
Wöginger
Wir müssen langsam zurückfinden zu einer gewissen Normalität im Budget. Wir geben derzeit mehr aus als wir einnehmen. Das kann kein Dauerbetrieb sein. Unser Ziel muss ein ausgeglichenes Budget sein.
Die Regierung hat noch ein knappes Jahr. Und ist so unbeliebt wie noch nie eine Regierung.
Wöginger
Diese Koalition hat viel weiter gebracht. Wir werden unter unserem Wert geschlagen. Dazu trägt auch die Situation an den linken und rechten Rändern bei. Anscheinend ist es populärer, sich an den Rändern zu bewegen als in der Mitte. Und Menschen wie Herr Kickl schreien herum – legen aber keine Vorschläge auf den Tisch.
Die Regierung hat noch ein knappes Jahr Zeit, was wollen Sie noch erreichen?
Wöginger
Wie haben vieles liegen, wofür wir Zwei-Drittel-Mehrheiten brauchen. Das Informationsfreiheitsgesetz sollten wir abschließen, das wird seit langem gefordert, und zwar zurecht. Und das Erneuerbaren-Gase-Gesetz sollten wir auf den Weg bringen.
Und das Klimaschutzgesetz?
Wöginger
Da gibt es meiner Meinung nach wichtigere Vorhaben, die wir erledigen sollten. Zudem: Wir haben uns beim Erneuerbaren-Wärmegesetz darauf geeinigt, ganz stark den Austausch von Heizkesseln zu fördern. Anreize sind viel besser als Verbote und Zwänge. In Deutschland hat die Heizungs-Diskussion die ganze Regierung aus den Angeln gehoben. Die Menschen wollen keine Verbote. Da nehmen wir lieber Geld in die Hand, das ist besser als Zwang.
Ihr Bremsen beim Klimaschutzgesetz wird die Grünen nicht freuen. Wann haben Sie zuletzt mit Sigrid Maurer gestritten?
Wöginger
Wir streiten nicht, wir diskutieren. Ich halte es für erstaunlich, dass diese Regierungskonstellation durchgehalten und viel zustande gebracht hat. Ich hätte mir nie gedacht, dass wir die kalte Progression ausgerechnet mit den Grünen abschaffen. Ich kann mich an Koalitionen erinnern, etwa mit der SPÖ, da ging gar nichts mehr.
Wird die Nationalratswahl mit der EU-Wahl zusammengelegt?
Wöginger
Nein. Ich gehe davon aus, dass die Nationalratswahl zum regulären Termin Ende September stattfindet.
Derzeit wird Sebastian Kurz der Prozess gemacht.
Wöginger
Kurz hat jetzt endlich die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen.
Wenn er freigesprochen wird – rechnen Sie mit einem Comeback?
Wöginger
Da zählt, was er selber sagt: Er hat mehrfach ausgeschlossen, dass er in die Politik zurückkehrt. Wir haben mit Karl Nehammer einen Bundeskanzler und Parteiobmann, der Tag und Nacht dafür kämpft, dass es dem Land gut geht. Wir gehen mit Nehammer in die Wahl und ich werde alles dafür tun, dass wir als Erste über die Ziellinie kommen.
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin