ÖVP-Landeshauptmann Stelzer: „Wir haben extreme Magenschmerzen“
Thomas Stelzer, Landeshauptmann und ÖVP-Chef in Oberösterreich, haben die ersten Wortmeldungen von Herbert Kickl nicht geschmeckt. Er schätzt den FPÖ-Chef als Risiko ein und definiert rote Linien der ÖVP.
Wie dramatisch erleben Sie diese Politik-Tage? Steht Österreich an einem Wendepunkt?
Thomas Stelzer
Diese Situation ist sicher mit wenigen vergleichbar, die wir in unserer politischen Karriere erlebt haben. Es ist ein Wendepunkt im Staat, aber auch für die ÖVP. Daher sind wir alle sehr ernsthaft, aufmerksam und gewarnt, wie wir die Dinge jetzt in durchaus verzwickten Situationen anlegen.
Rollen wir es von hinten auf. Sie haben kritisiert, dass der Bundespräsident den Regierungsbildungsauftrag Karl Nehammer gab. War das ein Fehler?
Stelzer
Ich halte das nach wie vor für einen Fehler. Der Wahlsieger wurde übergangen. Das war nicht gut. Denn der Erste muss sich um Miteinander und einen Partner bemühen. Wenn man ihm das nicht zugesteht, erleichtert man seine Rolle nur.
Hätte man sich die Verhandlungen zur Dreierkoalition sparen sollen?
Stelzer
Nein, wir waren wirklich ernsthaft daran interessiert, eine Regierung der Mitte zustande zu bringen ohne Kickl. Es müssen sich schon alle Beteiligten fragen, was sie unterm Strich damit erreicht haben, dass die Verhandlungen platzten.
Allerdings hat es sicher die Verunmöglichung der Koalition sehr beschleunigt, dass die Neos frühzeitig den Verhandlungstisch verlassen haben. Vielleicht haben sie Nerven gezeigt.
Richtet sich dieser Vorwurf an die Neos, die vom Verhandlungstisch aufstanden oder an die SPÖ oder ist es Selbstkritik?
Stelzer
Ich bin nicht jemand, der wie im Kindergarten sagt, nur der andere ist schuld. Allerdings hat es sicher die Verunmöglichung der Koalition sehr beschleunigt, dass die Neos frühzeitig den Verhandlungstisch verlassen haben. Vielleicht haben sie Nerven gezeigt. Und bei der SPÖ bekamen wir zwar von unterschiedlichsten Seiten immer wieder vernünftige Signale, aber am Ende saß trotzdem Andreas Babler mit seinen Parolen am Verhandlungstisch. Ich bin mir nicht sicher, ob sich da alle der Tragweite der nicht sehr großen Kompromissfähigkeit bewusst waren.
Wäre eine Erbschaftssteuer wirklich schlimmer als Herbert Kickl?
Stelzer
In einer Situation, wo wir keine Zeit verlieren dürfen, den Wirtschaftsstandort wieder erstarken zu lassen, wo wir alles tun müssen, dass investiert wird, sich da nur damit zu beschäftigen, wen kann ich wie belasten, das passt ideologisch nicht.
Die ÖVP hat den gesamten Wahlkampf über Herbert Kickl strikt ausgeschlossen. Sie selber haben gesagt, in der ÖVP kann sich niemand vorstellen, Kickl zum Kanzler zu haben, dann damit geht es in Richtung ungarische Verhältnisse. Wie kann man so eine Kehrtwendung rechtfertigen, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Stelzer
Diese Frage verstehe ich, sie drängt sich auf. Ich kann nur sagen, dass wir alles daran gesetzt haben, eine Regierung ohne Kickl zu bilden. Es ist uns nicht gelungen. In der Politik muss es trotzdem weitergehen. Es gibt jetzt nur mehr zwei Spielarten. Das eine ist, wir ziehen uns als ÖVP zurück. Damit hätte niemand Probleme mit früheren Zitaten. Das Ergebnis wären Neuwahlen, einige Monate Stillstand, möglicherweise eine Übergangsregierung. Die zweite Variante: Wir als ÖVP nehmen in Kauf, dass uns alles vorgehalten wird, was wir gesagt haben. Wir haben extreme Magenschmerzen, dass wir in diese Richtung gehen. Aber wir stellen eben Staatsräson über persönliche Eitelkeiten.
Machterhalt spielt auch eine Rolle, oder?
Stelzer
Nein. Es ist keine Regierungsbildung um jeden Preis. Wir haben sehr klare Grenzen, über die wir nicht hinausgehen können als ÖVP.
Der ehemalige ÖVP-EU-Kommissar Franz Fischler sagt, mit Blau-Schwarz beginnt die Dritte Republik. Hat er recht?
Stelzer
Zum ersten Mal ein Regierungschef der FPÖ, das wäre natürlich eine neue Situation. Ich halte nur von Überdramatisierungen nichts, weil wir uns nicht aufs Kommentieren zurückziehen können, sondern die Wirtschaft in Schwung bringen müssen. Aber auch ich schätze Kickl als Risiko ein. Alles was ich vor der Wahl gesagt habe gilt noch.
Diese ersten Wortmeldungen schmecken mir nicht, das gebe ich zu. Aber ich will die ersten Worte nicht überbewerten, die fallen unter die Klasse Ritual und sind mehr Signal an die eigene Partei und Wählerschaft.
Kickls erste Wortmeldungen klangen eher nach Demütigung der ÖVP. Ist der Preis nicht sehr hoch?
Stelzer
Diese ersten Wortmeldungen schmecken mir nicht, das gebe ich zu. Aber ich will die ersten Worte nicht überbewerten, die fallen unter die Klasse Ritual und sind mehr Signal an die eigene Partei und Wählerschaft. Wichtig ist, und da wird der sprichwörtliche Affe ins Wasser hüpfen, was am Verhandlungstisch liegt. Daran werden wir das messen.
Sie haben die roten Linien der ÖVP erwähnt. Welche sind das?
Stelzer
Wir feiern heuer 80 Jahre Republik, wir wollen eine freie, demokratische Republik sein und unsere Rolle als aktiver Teil der EU ernst nehmen. Die EU hat uns viel gebracht, wirtschaftlich und in puncto Sicherheit. Wir sind sicher nicht dabei, wenn es in Richtung „ungarische Verhältnisse“ geht. Meinungsfreiheit, freie Medien, das werden sicher Knackpunkte.
Die FPÖ will etwa die EU-Beiträge kürzen. Wären Sie da dafür?
Stelzer
Ich will ungern jetzt schon festlegen, was alles geht oder nicht geht. Aber klar ist, es gibt auch in der EU klare Vereinbarungen, an die sich alle halten. Natürlich hat auch Österreich Interesse, dass sich manches in der EU ändert, Stichwort Migrationspolitik. Aber sich nicht an Vereinbartes zu halten, das ist für uns kein Weg.
Die FPÖ will, dass sich Österreich nicht an Sky Shield beteiligt. Ist das für Sie ein gangbarer Weg?
Stelzer
Die europäische Zusammenarbeit bringt uns sicherheitspolitisch viel. Aber ich möchte nicht bei jedem Punkt vorab etwas ausrichten. Entscheidend ist, ob wir Ergebnisse erreichen, die wir als ÖVP auch mittragen können.
Sie haben die Medienfreiheit als rote Linie aufgezählt. Die FPÖ will die ORF-Haushaltsabgabe abschaffen. Wie stehen Sie dazu?
Stelzer
Die ORF-Haushaltsabgabe ist vom Parlament beschlossen und gilt. Für uns ist klar, dass wir einen ORF als öffentlich-rechtliche Institution wollen.
Österreich steckt in der Rezession, wie soll der Wirtschaftsstandort flott gemacht werden?
Stelzer
Wir stecken in wirklich schwierigen Zeiten, haben zwei Jahre Rezession hinter uns und die Daten jetzt zeigen nicht, dass es jetzt rasch wahnsinnig besser würde, auch die Arbeitslosigkeit steigt. Was wir dringend brauchen und wo wir zum Beispiel in Oberösterreich mit unserem Regierungspartner FPÖ durchaus Einigkeit haben: wir brauchen mehr Beschleunigung für alle, die investieren wollen. Weg mehr von der Verbotskultur, schnellere Verfahren, Anreize für alle, die mehr tun wollen. Die EU muss insgesamt schauen, wieder wettbewerbsfähiger zu sein. Und auf Innovationskraft und Forschungsfreude setzen.
Niemand will eine große Oper aufgeführt sehen, bei der nichts rauskommt.
Das löst noch nicht das Problem, dass Österreich das Budget sanieren und Milliarden einsparen muss. Wo soll gespart werden?
Stelzer
In den bisherigen Verhandlungen gab es die Auffassung, dass man das längerfristig auf sieben Jahre ausgelegt. Allein durch Rücknahme von überbordenden Förderungen kann man sparen kann – vom Klima-Bonus bis zur Bildungskarenz. In der Corona-Krise standen wir mit öffentlichem Geld massiv da, da wurde durchgefördert. Das war richtig, aber jetzt muss man diese Förderungen zurückfahren oder an Einkommensgrenzen binden.
Soll Österreich ein EU-Defizitverfahren in Kauf nehmen?
Stelzer
Meiner Meinung nach nicht, weil das auch für die Reputation des Standortes und der Republik nachhaltig ganz, ganz schlecht wäre. Ich hätte größeres Interesse daran, dass man so ein EU-Verfahren vermeidet.
Die ÖVP hat in den bisherigen Verhandlungen angeboten, die Abschaffung der kalten Progression auszusetzen zur Sanierung. Soll das kommen?
Stelzer
Es gibt viele Möglichkeiten zur Sanierung. Dieses Beispiel zeigt, dass die ÖVP bereit sein wird, auch eigene Projekte zumindest auf Zeit einzugrenzen, weil es die Gesamtsituation erfordert.
In der Dreierkoalition hatte man sich auf ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr geeinigt. Soll das kommen?
Stelzer
Ja, wenn es für jene gelten soll, die mit unserer gemeinsamen Sprache nicht umgehen können. Denn mangelnde Deutschkenntnisse belasten in der Grundschule sehr, es ist klüger, davor Deutsch zu lernen.
Welche Ministerien sind für die ÖVP unverzichtbar?
Stelzer
Also bevor man sich nicht über Inhalte einig ist, soll man nicht über Posten reden. Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Regierungsposition, die uns sehr wichtig wäre, nämlich der Bundeskanzler, in der Konstellation für uns wahrscheinlich nicht erreichbar ist. Über alles andere machen ich keine Vorgaben.
Sie haben sich schon ungeduldig gezeigt. Wie viel Zeit bleibt zur Regierungsbildung, bis Ende Jänner?
Stelzer
Viel Zeit bleibt nicht. Ich bin ungeduldig, weil ich erstens sehe, dass Österreich in einer schwierigen Lage ist und weil zweitens unsere Landsleute die Geduld verlieren. Niemand will eine große Oper aufgeführt sehen, bei der nichts rauskommt. Die wirtschaftliche Lage, zwei Jahre Rezession, verlangen, dass jetzt eine funktionierende Regierung Schritte setzt.
Und wenn nicht, dann gibt es Neuwahlen oder versuchen Sie es noch einmal mit der SPÖ?
Stelzer
Es gibt nur zwei Varianten. Entweder die Regierungsgespräche finden zu einem guten Ende oder wir landen in Neuwahlen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, vor allem nach dem nicht, was da monatelang gelaufen ist.
Voriges Wochenende gab es Gerüchte über ein Comeback von Sebastian Kurz. Angeblich haben unter anderem Sie das verhindert. Was stimmt davon?
Stelzer
Also ich kann nur sagen, dass weder Sebastian Kurz noch irgendjemand, der angeblich zu seinem unmittelbaren Umfeld gehört, mit mir Kontakt aufgenommen hat. Also weiß ich auch nur, was ich lese oder mir andere erzählen. Falls es Pläne für ein Comeback gegeben haben sollte, sind sie wieder abgesagt.
Wie würden Sie zu einem Comeback von Sebastian Kurz stehen?
Stelzer
Aus meiner Sicht stellt sich die Frage gar nicht. Nicht für ihn – Kurz hat sich komplett neu aufgestellt – und nicht für die ÖVP.