ÖVP, Neos oder die Grünen: Wer färbt mit im roten Wien?
ÖVP, Grüne oder Neos könnten in den nächsten fünf Jahren mit der SPÖ in Wien regieren. Was für welchen Anstrich spricht und
wie die künftigen Junior-Parteien die Hauptstadt prägen würden.
Schon vor der Wien-Wahl am 27. April steht fest: Die stimmenstärkste Partei in Wien wird, wie nach jeder Wahl seit 1945, die SPÖ, der nächste Bürgermeister heißt Michael Ludwig. Offen ist, welchen Partner der Bürgermeister wählt: Die wohl zweitstärkste Kraft, die Freiheitlichen, schließt Ludwig als Koalitionspartner aus. Abhängig vom Ergebnis am Wahlabend bleiben ihm folglich drei Optionen, von denen er eine oder notfalls zwei für Wiens erste Dreier-Koalition wählen muss: ÖVP, Grüne und Neos. Mit allen drei Parteien hat die SPÖ in Wien bereits koaliert, alle drei wollen mitbestimmen, und alle drei sind bereit, nach der Wahl den Juniorpartner der SPÖ zu mimen.
In vielen Punkten sind sich die potenziellen Koalitionspartner einig: Wien soll leistbarer, grüner und familienfreundlicher werden. Kinder von Zuwanderern sollen Deutsch lernen, die Wirtschaft einen Aufschwung erleben und das Gesundheitssystem sicher sein. Und wenn der Bund mehr Polizisten in die Hauptstadt schickt, wird sich niemand dagegen wehren.
Dennoch wird Ludwigs Wahl die Zukunft Wiens entscheidend beeinflussen: Einen Tunnel unter der Lobau will neben der SPÖ nur die ÖVP graben. Nur die Grünen wollen mit der SPÖ den Leerstand von Wohnungen besteuern. Und nur die Neos wollen wie der rote Gesundheitsstadtrat Peter Hacker Ärztinnen und Ärzten in Wiener Spitälern vorschreiben, wie lange sie nebenbei in einer Privatordination arbeiten dürfen. Welche Farbflecken kann der nächste Koalitionspartner in Wien hinterlassen, und was spricht aus Sicht der SPÖ für eine Zusammenarbeit?
WIEN-WAHL: PRÄSENTATION ÖVP WIEN "NEUE PLAKATE" - MAHRER
„Natürlich ist in Wien nicht alles schlecht“, sagt Wiens ÖVP-Spitzenkandidat Karl Mahrer in einem Wahlkampfvideo. Dem einstigen Polizeipräsidenten fällt dann doch einiges auf, für das er in seiner Heimatstadt kein Verständnis hat: Das Video zeigt Palästina-Flaggen, Müllsäcke auf der Straße und die U6. Die Probleme, die diese Bilder darstellen sollen? „Bandenkriminalität, jedes zweite Kind kann nicht Deutsch, Chaos im Gesundheitssystem“, zählt Mahrer auf und warnt: „Wien kippt gerade.“
Die Wiener ÖVP hat es nicht leicht. Die Volkspartei ist traditionell eine Partei des Landes und hatte in der roten Bundeshauptstadt historisch kaum etwas mitzureden. Doch auch in der Opposition kann die ÖVP nur schwer Punkte machen, müssen die drängendsten Probleme der Stadt wie Gesundheit, Sicherheit, Wohnen und Bildung doch auch auf Bundesebene vom schwarzen Kanzler gelöst werden. Radikale Oppositionspolitik und die Angst vor Ausländern in einer Millionenstadt werden zudem ausreichend von der FPÖ bedient. Und die Neos sprechen die traditionell schwarze Wirtschaft an: Für die Sonntagsöffnung in Tourismuszonen sind die Pinken ebenso wie die ÖVP.
Zu allem Überdruss muss der auf „Law and Order“ gebürstete schwarze Spitzenkandidat bald selbst auf der Anklagebank Platz nehmen. Die Wiener Immobiliengesellschaft Wienwert hat der PR-Agentur der Frau des damaligen Polizeipräsidenten 84.000 Euro bezahlt – laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ohne Gegenleistung, die Wienwert habe sich nur politische Gunst erkaufen wollen. Die Mahrers weisen die Vorwürfe zurück. In der Wiener SPÖ gibt es Verständnis für die juristischen Probleme des ÖVP-Chefs: Ernst Nevrivy, mächtiger roter Bezirksvorsteher der Donaustadt, wird in derselben Causa angeklagt. Auch er weist jede Schuld von sich, für ihn gilt wie für die Mahrers die Unschuldsvermutung.
Der ÖVP Wien droht laut Umfragen eine Blamage – aus Sicht der SPÖ eine gute Nachricht. Denn die Volkspartei dürfte nach einer Wahlniederlage kaum an ihrem angeklagten 70-jährigen Spitzenkandidaten festhalten. Im Rathaus hofft man, dass mit Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck ein langjähriger Freund des Bürgermeisters in der Volkspartei nachrücken könnte.
Unabhängig davon, wer an der Spitze der Wiener Volkspartei steht, wäre ihre Ausrichtung in der Regierung klar: Vorfahrt für Autos, mehr Polizei auf der Straße, weniger Fremdsprachen in Schulen und eine Stärkung der Wiener Wirtschaft. So hart die ÖVP die rote Stadt kritisiert, so leicht könnte sie sich daher wohl inhaltlich mit der SPÖ auf eine Regierung einigen. In Interviews stellt Ludwig die Wirtschaft an erste Stelle, und einige seiner Vorhaben, wie den Lobautunnel oder verstärkte Videoüberwachung an öffentlichen Orten, will nur die Volkspartei mit ihm umsetzen. Atmosphärisch müsste die ÖVP dafür einen Kniefall hinlegen oder eben ihre Spitze tauschen. „In Wien ist nicht alles schlecht“ reicht der SPÖ, die dem Hashtag-Motto „#Wienliebe“ verfallen ist, sicher nicht. Walter Ruck würde so etwas kaum sagen.
PK "WEITERE ZUKUNFT VON NEOS WIEN, PERSONELLE VORGÄNGE": ARAPOVIC/WIEDERKEHR/EMMERLING
Seit fünf Jahren regieren die Neos in Wien mit der SPÖ – und das durchaus zum Gefallen der Genossinnen und Genossen im Rathaus. Böse Zungen aus der Stadt-Opposition sprechen von einer faktischen roten Alleinregierung, vor allem die Vorgänger der Neos als Wiener Koalitionspartner, die Grünen, witzeln über den mangelnden Effekt der derzeit zweitkleinsten Partei im Wiener Landtag und Gemeinderat. Tatsächlich brachten die von Bürgermeister Michael Ludwig als „auf Augenhöhe“ bezeichneten und mit pink-roten Punschkrapfen zelebrierten Regierungsverhandlungen 2020 ein ungleiches Ergebnis: Die SPÖ erhielt sieben Stadträtinnen und -räte, die Neos nur einen: Christoph Wiederkehr.
Der langjährige Wiener Neos-Chef bekleidete zudem das wohl undankbarste Ressort der Stadt. Als Bildungsstadtrat fiel die Integration Tausender Flüchtlingskinder in seine Verantwortung, handeln konnte er aber nicht allein, ist Schulpolitik doch auch Sache des Bundes. Aus dem Bildungsbereich zogen sich die SPÖ und Bürgermeister Ludwig in Folge nahezu demonstrativ zurück, in anderen Angelegenheiten ließen die Roten dafür ihren Koalitionspartner im Dunkeln. Als Ludwig im Sommer 2022 dem strauchelnden Energieanbieter Wien Energie per Notkompetenz einen Kreditrahmen von 700 Millionen Euro zusprach, erfuhr Wiederkehr erst im Nachhinein davon. Obwohl der Vizebürgermeister auch Transparenz-Stadtrat war, veröffentlichte er die Information wohl aus Pakttreue gegenüber dem Koalitionspartner nicht – und erfuhr laut eigenen Angaben erst Ende August aus den Medien vom enormen Liquiditätsengpass des Wiener Landesenergieversorgers.
Eine gläserne Stadt wurde Wien unter der selbst ernannten pinken Transparenz-Partei nicht. Medien wie profil, aber auch Abgeordnete mussten Informationen von der Stadt immer wieder einklagen. Dem Grünen Georg Prack, Wohnbausprecher im Gemeinderat, verweigerte die Stadtregierung eine Information, die er als Privatperson per Auskunftspflichtgesetz erfolgreich einklagen konnte.
Für den Wahlkampf ist den Neos der logische Spitzenkandidat abhandengekommen. Christoph Wiederkehr wurde Bildungsminister, mit Klubchefin Selma Arapović und Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling führen nun zwei relativ unbekannte Frauen die Partei in die Wahl. Sie setzen auf echte Grätzel-Politik: Zu den „Leuchttürmen“ der Liberalen zählt die Begrünung eines ehemaligen Flakturms im Arenbergpark, eine große Foodhall, um „Food-Traveler“ anzulocken, oder die Revitalisierung der einstigen U6-Trasse zwischen Spittelau und Heiligenstadt nach New Yorker und Pariser Vorbild. Bis auf die U6-Trasse, mit der sich auch andere Parteien im Bezirk beschäftigen, sind das rein pinke Träume, sehr viel mehr als die Idee gibt es noch nicht.
Das passt ins Konzept: Jung, hip, kosmopolitisch und unverbraucht wollen die Neos auch nach fünf Jahren Koalition anmuten. Kommen sie erneut in die Regierung, könnten sie ein frecherer Koalitionspartner als bisher werden: Die Liberalen haben fünf Jahre lang die Stadt-SPÖ von all ihren guten und schlechten Seiten kennengelernt. Zudem dürfte das Ergebnis der pinken Partei laut Umfragen besser ausfallen als noch 2020, die Neos könnten folglich auf eine zweite Stadträtin drängen. Vor allem aber hätten die Liberalen in einer neuen Periode mit ihrem Ex-Chef als Bildungsminister Rückenwind aus dem Bund, um in ihrem Herzensthema „Bildung“ endlich echte Reformen wie das verpflichtende zweite Kindergartenjahr in der Stadt voranzubringen. Wenn sie sich denn trauen – und das marode Budget der Stadt nicht vorher ausgeht.
Geht es nach den Grünen, soll dem Bürgermeister die Wahl nach der Wahl erspart werden. Das Wunschziel von Spitzenkandidatin Judith Pühringer ist es, selbst so stark zu sein, dass Ludwig gar keine andere Option hat, als mit den Grünen zu koalieren. Besonders wahrscheinlich ist das nicht, deshalb fährt die Partei im Wahlkampf auch eine kleine rote Charme-Offensive: In der Sautergasse in Wien-Hernals stellt sich Pühringer dafür vor einen rund drei Meter langen Hai. Mit einem Stapel von 100-Euro-Scheinen im Maul soll der aufgeblasene Knorpelfisch die Wiener Immobilienhaie symbolisieren, die Wohnungen lieber leer stehen lassen, anstatt sie zu vermieten. Mit einer Leerstandsabgabe wollen die Grünen das verhindern. Pühringer betont bewusst: „ÖVP und Neos haben bereits angekündigt, eine Leerstandsabgabe zu blockieren.“ Eine auch von der SPÖ geforderte Leerstandsabgabe gäbe es daher nur mit den Grünen.
Zehn Jahre lang regierten die Grünen in Wien gemeinsam mit der SPÖ. Dann kam Michael Ludwig. Eigentlich bestehen zwischen der Sozialdemokratie und den Grünen die meisten inhaltlichen Überschneidungen: Wohlhabende sollen mehr beitragen, Schwächere unterstützt werden und Flüchtlinge und Migranten in Wien willkommen sein. Selbst bei Streitpunkten wie dem Lobautunnel betont Pühringer im Wahlkampf die Zuständigkeit des Bundes, um künftige Konflikte im Vorhinein zu vermeiden. Doch die aufmüpfige Umweltpartei gilt im roten Rathaus als anstrengender Koalitionspartner, dem ehemaligen Wohnbaustadtrat Ludwig dürfte sie besonders negativ aufgefallen sein. „Man sollte die Koalitionsloyalität der Sozialdemokratie nicht ausreizen“, warnte er im Sommer 2018. Nach seiner ersten Wahl als Wiener SPÖ-Chef zog er 2020 die Reißleine und eine knappe rot-pinke Mehrheit einer weiteren Zusammenarbeit mit den Grünen vor.
Dazu kommt: Machtpolitisch sind die Grünen für Ludwig ein Widersacher, denn die grünen Stimmen braucht er selbst. Dass die SPÖ bei der Nationalratswahl im Vergleich zu 2019 nur in Wien signifikant dazugewinnen konnte, lag vor allem an grünen Wechselwählerinnen und -wählern aus den inneren Bezirken. Auf diese linken Wählerstimmen kann Ludwig nicht verzichten. Doch in der Stadtregierung könnten sich die Wiener Grünen wieder profilieren, eigene Leuchtturmprojekte vorantreiben und, so die Sorge im Rathaus, rote Meilensteine blockieren.
Schaffen die Grünen dennoch den Sprung in die Regierung, müssten sich neben Immobilienspekulanten vor allem Autofahrer anschnallen: In Neubau ist der grüne Bezirksvorsteher Markus Reiter stolz darauf, dass die Zahl der Parkplätze im öffentlichen Raum – wie der „Standard“ berichtet – seit 2019 um fast 30 Prozent gesunken ist. Die rote Verkehrsstadträtin Ulrike Sima lässt hingegen erst gar nicht erfassen, wie viele Stellplätze in ganz Wien durch Bäume, Radwege und andere Umgestaltungen weggefallen sind. Eine grüne Regierungsbeteiligung dürfte das ändern und weitere Parkplätze verschwinden lassen. Denn auch das rote Rathaus denkt grün. Immerhin hat sich die Stadt auch ohne die Grünen ein Klimaschutzgesetz verpasst, durch das Wien bis 2040 klimaneutral werden soll. Mit der selbst ernannten Klimaschutzpartei im Team hätte Ludwig wohl bessere Chancen, dieses Ziel zu erreichen.
Newsletter
Drucken
(profil.at)
|
Stand:
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.