Spiel mit dem Feuer
Gastkommentar von Franz Schausberger
Das Strickmuster ist seit bald vier Jahrzehnten historisch erprobt: Ein enttäuschendes Wahlergebnis, ein Regierungsprogramm, das nicht alle Wünsche aller erfüllt, Personalentscheidungen, die nicht alle Länder- und Teilorganisationen befrieden. Und schon läuft die Demontage an. So passierte es Josef Taus, Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek und Willi Molterer. Wolfgang Schüssel entging diesem Schicksal im Jahr 2000, weil er es schaffte, Bundeskanzler zu werden und damit das Gesetz der Serie zu durchbrechen.
Was nach der Automatik eines Selbstläufers aussieht, muss nicht unbedingt zur Obmanndebatte führen. Jeder Obmann-Fall ist eine eigene Geschichte. Aber Vorsicht ist am Platz. Verstärkt durch eine mediale Hypertonie kann das Spiel der Unzufriedenen in der Partei mit dem Feuer jederzeit zu einer politisch letalen Explosion führen, für die dann niemand die Verantwortung tragen wird.
Was man hinter vorgehaltener Hand in der SPÖ über die Parteispitze zu hören bekommt, ist oft nicht druckreif, bleibt aber hinter der vorgehaltenen Hand. Machterhalt statt Meinungsfreiheit. Was aus der ÖVP über die eigene Parteiführung tönt, ist druckreif. Meinungsfreiheit zur Selbstzerstörung.
2013 war das Wahlergebnis der ÖVP enttäuschend, aber nicht so katastrophal, wie es von vielen in der Partei zuvor schon herbeigeredet wurde. Warum man bei den Regierungsverhandlungen nicht alle ÖVP-Positionen durchsetzen und welche Kompromisse man eingehen musste, um eine Regierung zustande zu bringen, wurde schlecht oder gar nicht kommuniziert. Es ist in Europa wohl einzigartig, dass zwei der wichtigsten Bereiche der Bundespolitik, nämlich Bildung und Bundesfinanzen, von zwei ÖVP-Landeshauptmännern also nicht Bundespolitikern federführend verhandelt wurden. Die Frage ist nur: wie viel vom Ausverhandelten steht auch im Regierungsprogramm?
Die Personalentscheidungen fielen unvorbereitet, wenig souverän und hinterließen tiefe Verletzungen. Das rächt sich. Wobei sich auch die Rächer nicht gerade von christlicher Zurückhaltung und Weisheit treiben ließen.
Das Bild des Wolfgang Schüssel vom ÖVP-Obmann als dem Herdenhund, der ständig um seine Schafe kreisen muss, um sie zusammenzuhalten, hat schon was für sich.
Die ÖVP war immer eine stark dem Föderalismus verschriebene Partei, und ist damit gut gefahren, wenn sie diesen auch gelebt hat. Wenn nicht, hat es Turbulenzen gegeben. Wenn in einer Bundesregierung sieben Mitglieder aus Wien, zwei aus Niederösterreich, zwei aus Oberösterreich, eines aus dem Burgenland, eines aus der Steiermark und eines aus Tirol kommen, kann man wohl nicht mehr von einem ausgewogenen Verhältnis von Ost- und Westösterreich reden. Das hält möglicherweise noch die traditionell zentralistische SPÖ aus, nicht aber die ÖVP.
Also wird eine Westachse ausgerufen. Aber die Erfahrung lehrt: Achsen, gleich in welche Himmelsrichtung, sind oft eine Schimäre. Wenn es darauf ankommt, schaut jedes Bundesland auf seine Interessen, die trotz Nachbarschaft letztlich doch sehr unterschiedlich sind.
Die ÖVP leidet schon länger darunter, dass sie keine attraktiven, zeitgemäßen, eigenen politischen Inhalte diskutiert und auch ernsthaft umsetzt. Sozialdemokratische Gassenhauer im Schul- und Steuerbereich minus zehn Prozent anzubieten, ist der falsche Weg, eine verwaschene und undefinierbare christlichsozialdemokratische Partei ist das Ergebnis. Eigene Ideen sind gefragt. Etwa im Bereich eines modernen Föderalismus mit radikal neuer Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und mit gewisser Steuerhoheit für die Länder. Oder eine positiv-reformatorische Europa-Politik mit der Vision eines Europa der Regionen als Gegengewicht zum Brüsseler Zentralismus. Die ÖVP könnte federführend in der Familienpolitik, in der Mittelstandspolitik, in der Regionalpolitik zur Stärkung der ländlichen Regionen, in der bürgerlichen Städtepolitik sein. Voraussetzung ist die Öffnung für die vielen vorhandenen kreativen Kräfte in allen Teilen Österreichs, eine ständige intensive und ehrliche Kommunikation aller Teile der Partei in alle Richtungen.
Die positive Profilierung der Partei hat innerhalb der Regierung durch die seriöse Umsetzung ihrer Bereiche des Regierungsprogramms und außerhalb der Regierung durch Präsentation jener politischen Schwerpunkte zu geschehen, die die Partei umsetzen würde, wenn sie von der Bevölkerung den Auftrag dazu bekäme. Damit wäre sie eine echte Alternative zur grundsatz- und ideenlos gewordenen, nur vom Machterhalt zusammengeschweißten SPÖ und könnte damit wieder mehrheitsfähig werden. Die ÖVP wird nie an ihren starken föderalistischen Strukturen zerfallen, sondern an deren Missachtung.
Franz Schausberger, Jahrgang 1950, ist Zeithistoriker und war von 1996 bis 2004 ÖVP-Landesobmann und Landeshauptmann von Salzburg.