Reportage

Regierungserklärung im Nationalrat: Fieber, Hysterie und Kettensäge

Die Welt ist aus den Fugen – ein perfekter Zeitpunkt für die Präsentation der neuen Bundesregierung. profil war dabei.

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Ein bisschen eng ist es schon, als die 21 neuen Minister und Staatssekretäre Freitagvormittag auf der Regierungsbank im Sitzungssaal des Nationalrats Platz nehmen: angelegte Ellenbogen, Schulter an Schulter, selbst zum Schneuzen müsste man aufstehen. Aber Schneuzen und Zappeln ist heute verboten. Bundeskanzler Christian Stocker, ÖVP, stellt dem Nationalrat seine Koalition vor. Unter den neuen Ministern auf der Regierungsbank gibt es – am Gesichtsausdruck erkennbar – zwei Typen. Zum einen die Selbstzweifler, die sich denken: „Warum sitze ausgerechnet ich hier? Ist mir das nicht eine Nummer zu groß?“ Zum anderen ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, der sich ziemlich sicher denkt: „Genau hier gehöre ich hin. Und irgendwann gebe ich die Regierungserklärung ab.“

Jene von Stocker besteht aus Schmalz und Prosa. Der Kanzler beschwört das Jahresende 1945, als ÖVP-Kanzler Leopold Figl und SPÖ-Vizekanzler Adolf Schärf zusammen die Republik aus Trümmern aufbauten – Neos gab es damals noch nicht. Dann preist er den EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995, der durch den gemeinsamen Einsatz von ÖVP-Außenminister Alois Mock und SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer möglich wurde – Neos gab es damals immer noch nicht. Eigentlich verfehlt Stocker damit das Thema, denn das wirklich Neue an der neuen Regierung ist ja, dass sie eine Dreierkoalition ist. 

Man muss dem Kanzler den Lapsus verzeihen. Stocker hat sich fiebrig ins Plenum geschleppt und sitzt sichtlich angeschlagen auf der Regierungsbank. Schließlich verlässt er den Sitzungssaal und muss laut einer Aussendung seines Pressesprechers „ärztlich betreut“ werden, bevor er sich zum Auskurieren ins Wochenende zurückzieht. 

Ersatzkanzler Babler

Es mag verfassungsrechtlich nicht ganz korrekt sein: Aber eigentlich ist Andreas Babler zu diesem Zeitpunkt Bundeskanzler und damit am Ziel seiner Träume. Vielleicht spricht er deswegen voller Temperament. Dem vor ihm sitzenden FPÖ-Obmann Herbert Kickl wirft Babler vor, „die Kettensäge an die Wurzeln der Republik“ anzulegen. Auch den Rundfunk will der Vizekanzler vor Kickl schützen, denn der ORF „gehört zu Österreich wie das Schnitzel und die Sachertorte“.

Beate Meinl-Reisinger bevorzugt Bildungsbürgerliches und zitiert in ihrer Rede „frei nach Shakespeare“: „Die Welt ist aus den Fugen.“ Daran schließt sie die Frage: „In welcher Welt wollen wir leben?“ Sodann eine Mahnung: „Die Geschichte wartet nicht auf uns.“ Ihr Parteifreund, Bildungsminister Christoph Wiederkehr, gibt in seiner Rede ebenfalls Kluges von sich: „Die Kooperationsfähigkeit unterscheidet den Menschen vom Tier“.

Herbert Kickl wiederholt im Plenum die Rede, die er schon am Aschermittwoch in Ried gehalten hat. Langsam erschöpfen sich seine Vokabel: „Einheitspartei“, „Verliererkoalition“. Einmal ist die Regierung „ein Monstrum“, dann wieder „ein Riesenbaby“.  

Gust on Fire

Aber nicht Kickl ist an diesem Vormittag der giftigste Redner, sondern August Wöginger. Normalerweise lässt sich der ÖVP-Klubobmann von aggressiven freiheitlichen Zwischenrufern wie der Wiener Abgeordneten Dagmar Belakowitsch nicht provozieren. Doch diesmal wird es dem „Gust“ zu viel: „Kannst du nicht einmal aufhören zu schreien?“ Was sei das „überhaupt für ein Benehmen“? Die Zuschauer müssten sich ja denken: „Was für eine hysterische Abgeordnete!“ 

Das mit Abstand motivierteste Regierungsmitglied muss Wolfgang Hattmannsdorfer sein. In seiner Rede erzählt er, er sei nach der Angelobung am Montag nach Linz („Ich bin selbst ein Stahlstadtkind“) auf Betriebsbesuch zur Voest gefahren. In den vergangenen Tagen besuchte er einen Schuster, einen Uhrmacher und ein Kaffeehaus. Zum Ende seiner Rede verkündet Hattmannsdorfer, „gleich weiter zur OMV zu fahren“. Ein Mann mit Mission: Er arbeite an der „Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs“ und wolle „die Bürokratie bekämpfen und den Staat verschlanken“. Dafür gibt es in der Regierung zwar einen eigenen Staatssekretär für Deregulierung (Neos-Wirt Sepp Schellhorn), aber wahrscheinlich bleibt für beide genug zu tun.

Schon an ihrem ersten Parlamentstag fasst die schwarz-rot-pinke Koalitionsmehrheit erste Beschlüsse wie die Erhöhung der Bankenabgabe oder die Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung für kleine Photovoltaikanlagen. Eine von SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer vorgelegte Gesetzesbestimmung zum „Energiewirtschaftstransformationsbeitrag“ kommt doch nicht. Die Deregulierer in der Dreierkoalition haben die Arbeit offenbar schon aufgenommen.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.