Bundeskanzler Nehammer

ÖVP-U-Ausschuss: Abläufe statt Erkenntnisse

Für die Volkspartei ist er ein unfaires Tribunal, für die anderen Fraktionen eine politische Hygienemaßnahme. profil berichtet aus dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss.

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Woche 1, Tag 1

Der Kanzler lächelt. Manchmal grinst er sogar. Am Mittwoch ist Karl Nehammer erste Auskunftsperson im „Untersuchungsausschuss betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder“, in der Kurzvariante: ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Untersucht werden Günstlingswirtschaft, Postenschacher, versuchte Beeinflussung von Justiz und Polizei.

Für die Volkspartei ist die Bezeichnung „Korruptions-U-Ausschuss“ eine Vorverurteilung, für alle anderen Parteien, inklusive der Grünen, eine Tatsachenfeststellung. Es geht um den Zeitraum von 18. Dezember 2017, als Sebastian Kurz erstmals Kanzler wurde, bis 11. Oktober 2021, dem Tag seines Rücktritts als Regierungschef. Karl Nehammer war in diesen vier Jahren zunächst Generalsekretär der ÖVP, dann Innenminister in der türkis-grünen Koalition.

Die Ausgangssituation lässt gröbere Wickel auch für die Zukunft erwarten. Die anderen Parteien wollen verständlicherweise über den Zusammenhang von ÖVP und Korruption reden. Die ÖVP ist der Meinung, dass dies gar nicht möglich ist, denn rechtlich gesehen kann ein U-Ausschuss bloß die öffentliche Verwaltung und die Regierung kontrollieren, aber keine – formal private – Partei. Der Ausschuss-Vorsitzende, ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, teilt diese Ansicht und handelt danach. Vor allem bei Fragen des SPÖ-Abgeordneten Jan Krainer melden sich ein, zwei oder manchmal sogar drei ÖVP-Abgeordnete gleichzeitig zu Wort, um deren Zulässigkeit zu beeinspruchen. Die Entscheidung obliegt dann dem Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl, Vizepräsident des Oberlandesgerichts Wien im Ruhestand. Und dieser schließt sich mehrheitlich den Einwänden der ÖVP an, da ihm Krainers Fragen zu allgemein (etwa: „Wer war in der ÖVP für Umfragen zuständig?“) gehalten und somit gemäß Geschäftsordnung nicht zulässig sind.

Vor Beginn des U-Ausschusses versprach die ÖVP maximale Transparenz. Wenn das Prinzip „Transparenz“ bedeutet, freiwillig mehr zu sagen als unbedingt notwendig, verhält sich der Kanzler bei seiner Befragung nicht danach. Dank des Zusammenwirkens der ÖVP-Abgeordneten und des Vorsitzenden Sobatka hat Nehammer kaum Fragen zu beantworten: weder zu Inseraten noch zu gekauften Umfragen oder den Finanzen seiner Partei. Und nicht einmal die Information, wer zu seiner Zeit als Generalsekretär Bundesgeschäftsführer der ÖVP war, will er mit den Abgeordneten teilen. Kein Wunder, dass der ÖVP-Obmann grinst.

Woche 1, Tag 2

Peter Pilz ist wieder im Parlament und ganz der Alte. Er doziert, erklärt, klagt an, behauptet, interpretiert, gibt Abgeordneten sachdienliche Hinweise. Das tut er bald mit bedeutungsschwerer Stimme, bald mit Witz. Vor seiner Befragung als Zeuge am Donnerstag stellt er fest, es werde „ein entscheidender Tag“ bei der Aufklärung der Vorwürfe gegen die ÖVP sein.

30 Jahre lang habe er sich gefragt, wie es sich auf der anderen Seite eines U-Ausschusses anfühle. Jetzt weiß er es: „Ganz okay“. Denn ob als Abgeordneter oder als Auskunftsperson ging es ihm in einem U-Ausschuss stets um eines: „Die Wahrheit“. „Okay“ findet Pilz auch einen anderen Rollenwechsel. Bis 2019 war er Politiker, jetzt nennt er sich „Journalist“ und „Herausgeber einer kleinen Online-Tageszeitung“. Das Berufsbild ist das gleiche: Aufdeckung und Anklage tatsächlicher und behaupteter Missstände. Auf seiner Plattform „Zackzack“ veröffentlichte Pilz in den vergangenen Wochen die so genannten „BMI-Chats“. Es handelt sich dabei um ein Konvolut aus Textnachrichten vom Handy des früheren Kabinettschefs einer Reihe von ÖVP-Innenministern, Michael Kloibmüller. Diese zeigen, wie Posten im Bereich des Innenministeriums nach Interventionen an ÖVP-Günstlinge gingen.

Eine Zusammenfassung der Chats übergibt Pilz dem U-Ausschuss. Danach folgt die Befragung, die Pilz bald zu einer Serie von Monologen umfunktioniert, die allerdings nicht vom Postenschacher handeln, sondern von seiner Rolle bei dessen Aufdeckung; und von den Versäumnissen des Bundeskriminalamts; und von Skandalen in der Justiz. Genau genommen referiert der Journalist Pilz den Inhalt seiner „Zackzack“-Website, nur ausführlicher. Auf eine kleine Ermahnung der Vorsitzenden Doris Bures, „in sich zu gehen“, gesteht Pilz: „Ich versuche mich zu erinnern, wie sehr mich als Abgeordneter Auskunftspersonen nervten, die zu lange redeten.“ Die Einsicht führt allerdings zu keiner Verhaltensänderung.

Spannend wird es, als die ÖVP Pilz befragt. Wie Pilz die Informationen vom Kloibmüller-Handy erhielt, will er dabei nicht verraten, weil: Redaktionsgeheimnis. Wann genau er die Informationen erhielt? Redaktionsgeheimnis. Seit wann er einen früheren Verfassungsschutz-Beamten, der unter Verdacht steht, ihm die Infos übergeben zu haben, kenne? Redaktionsgeheimnis. Ob er in einer Chat-Gruppe mit dem Beamten war? Redaktionsgeheimnis.

Fazit der ersten Woche:

Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, die am zweiten Tag statt Wolfgang Sobotka den Vorsitz - tatsächlich neutral - führt, sagt es so: „Wir sollten uns im U-Ausschuss nicht so sehr mit Abläufen und der Geschäftsordnung beschäftigen, sondern mit Erkenntnisgewinn.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.