Zwei Segler auf einem Boot
Olympia 2024

Olympia in Paris: Begnadete Körper, beeindruckende Leistungen

Bei Olympia wurde geflogen, gesprungen, geschossen und sogar gestrickt. Es war die größte Schau der Welt – mit österreichischem Dabeisein.

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Raufen und Kraxeln liegt uns Österreichern im Blut. Daher war es auch keine Überraschung, dass Michaela Polleres bei Olympia im Judo in der Gewichtsklasse bis 70 Kilogramm Bronze holte, und es ihr die Sportkletterer Jakob Schubert und Jessica Pilz in der Kombination Bouldern und Vorstieg gleichtaten. 

Neben Raufen und Kraxeln ist der Österreicher beziehungsweise die Österreicherin aber auch gut im Schmeißen, leider nicht in Paris: Speerwerferin Victoria Hudson schied bereits in der Qualifikation aus, Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger wurde bloß Fünfter.

Auch im Schwimmen, bei den Reitern und den Schützen hätte man sich mehr erwartet. Das eine olympische Motto – „Dabei sein ist alles“ – haben Österreichs Athleten also erfüllt. Für das zweite – „Schneller, höher, weiter“ – waren andere zuständig. Etwa der Amerikaner Sam Watson, der es im Speedklettern schaffte, eine 15 Meter hohe, leicht überhängende Wand in der Weltrekordzeit von 4,74 Sekunden Spiderman-like auf allen vieren hochzulaufen.

Auch Armand Duplantis bewegt sich ziemlich rasch senkrecht nach oben. Das Magazin „New Yorker“ nennt den Stabhochspringer „einen Schweden mit dem Auftreten eines Disney-Prinzen und dem Namen eines tropischen Nachtclubs“. Beim Wettkampf in Paris erzielte er mit 6,25 Metern einen neuen Weltrekord. Die Konkurrenz ließ Schweden-Prinz Armand klar unter sich. Der zweitplatzierte Sam Kendricks sprang über 5,95 Meter.

Wie bei Duplantis erkennt der TV-Laie auch bei der US-amerikanischen Turnerin Simone Biles, dass sie einen anderen Sport als die Konkurrenz ausübt. Der Biles I und der Biles II sind nach ihr benannte Sprünge, die sonst keine Athletin beherrscht. In Paris gewann sie zu ihren vier bisherigen Olympia-Goldmedaillen drei weitere. Allerdings: Nobody is perfect, nicht einmal das Turngenie Simone Biles. In ihrer Paradedisziplin, dem Boden, wurde sie nach zwei Fehlern nur Zweite. Auch für Armand Duplantis wird der Tag kommen, an dem ein anderer besser – oder fescher – ist.

Schneller, höher, cooler

Olympia-Gold gewinnt man im Kopf. Schneller, höher oder weiter zu können, bringt nichts ohne mentale Stärke und die Fähigkeit, im entscheidenden Moment alles andere auszublenden. Am schwierigsten muss das den ukrainischen Athletinnen und Athleten fallen. Die Hochspringerin und Weltrekordhalterin (2,10 Meter) Jaroslawa Mahutschich aus Dnipro widmete ihre Goldmedaillen den 500 im russischen Angriffskrieg getöteten Leistungssportlern, wie dem Gewichtheber und früheren Olympia-Teilnehmer Oleksandr Pjeljeschenko, der im Mai im Fronteinsatz getötet wurde.

Die Leichtathletik ist die klassische olympische Disziplin schlechthin, der 100-Meter-Lauf der Männer ihre Krönung. Gold holte sich der hyperaktive US-Amerikaner Noah Lyles in 9,79 Sekunden mit dem Minimalvorsprung von fünf Tausendsteln vor dem Jamaikaner Kishane Thompson. Niemand war darob begeisterter als er selbst: „Meine Güte, das ist ja unglaublich. Ich bin unglaublich.“

Lyles’ Landsmann Ryan Crouser ist noch unglaublicher. Er gewann nach Rio und Tokio bereits zum dritten Mal hintereinander die Goldmedaille im Kugelstoßen. Bei Olympia 2028 in Los Angeles will Crouser seine vierte Goldmedaille holen.

An Kubas Schwergewichtsringer Mijaín López würde er trotzdem nicht heranreichen, der in Paris als erster Athlet seine fünfte Olympiagoldmedaille in derselben Disziplin errang. Seine früheren widmete er Fidel Castro, der nach Ansicht des kubanischen Volkes ebenfalls unbesiegbar war.

Schwimmer starten in unterschiedlichen Disziplinen und tun sich daher beim Medaillensammeln leichter. Die US-Athletin Katie Ledecky gewann in Paris zwei Goldmedaillen, über 800 Meter und 1500 Meter Freistil. Insgesamt hält sie bei neun Olympia-Goldmedaillen. Ihre erste holte sie als 15-Jährige 2012 in London.

Medaillen-Duell 

Im großen Medaillen-Spiegel-Duell der USA mit China lieferte sie damit einen wertvollen Beitrag. Schon in Tokio setzten die Chinesen alles daran, mehr Goldmedaillen einzuheimsen als die US-Amerikaner. Merke: Sport ist auch Weltpolitik. Aber auffällig: Früher siegten die Chinesen nur in Sportarten wie Turnen, Turmspringen oder Tischtennis. Mittlerweile gewinnen sie auch in Disziplinen, die nicht unbedingt zur chinesischen Sporttradition zählen wie Damen-Hammerwerfen, BMX-Rad-Freestyle und Gewichtheben. Glamouröser sind die Amerikaner allemal, vor allem die NBA-Stars der Basketball-Mannschaft.

Als coolsten Athleten feierte das Internet allerdings den türkischen Sportschützen Yusuf Dikeç wegen seiner lässigen Haltung beim Zielen und Abdrücken. Tatsächlich gewann er im Mixed-Bewerb an der Luftpistole bloß Silber. Vielleicht wäre ja ohne Hand im Hosensack Gold möglich gewesen. Ein lässigerer Silbermedaillengewinner ist der Brite Tom Daley (Synchron-Turmspringen), der gern in der Öffentlichkeit strickt. Vielleicht wird Wettstricken dank Daley einmal olympisch.

Kleiner, dicker, langsamer

Der Reiz von Olympia lag in der Diversität: Athleten können disziplinenbedingt groß (Schwimmende) oder klein (Turnende) sein, dick (Kugelstoßende) oder dünn (Langstreckenlaufende), schneller (Kurzstreckenlaufende) oder langsamer (Gehende). Für Body-Shaming ist kein Platz. Auch habituell-kulturell blüht die Vielfalt. Den Skateboard-Olympiasieger Keegan Palmer von der australischen Gold Coast wird mit der deutschen Olympiasiegerin im Dressurreiten wenig verbinden. Ihr Name: Jessica von Bredow-Werndl. Ihr Sportgerät: die dunkelbraune Trakehner-Stute TSF Dalera BB. Überhaupt die Deutschen und ihre Pferde – gemeinsam waren sie fast so unbesiegbar wie Mijaín López und Fidel Castro. Das Springreiten gewann Christian Kukuk aus Nordrhein-Westfalen auf dem Schimmel Checker 47, den der ORF-Kommentator nach einem von Kukuks famosen Ritten zu erwähnen nicht vergaß: „Gratulation auch an das Pferd.“

Auf den TV-Dauerzuschauer wirkt Olympia egalisierend, die großen Stars sind nicht interessanter als die unbekannten Athleten. Natürlich wird man die Tennis-Tränen des Novak Djokovic nach dem Gewinn der Goldmedaille nie vergessen. Freilich: Ein Federball erreicht im Spiel eine Geschwindigkeit von fast 300 km/h. Tennis verhält sich zu Badminton also wie Gehen zum 100-Meter-Lauf. Olympiasieger bei den Herren wurde der 1,94 Meter große Däne Viktor Axelsen, bei den Damen siegte die Südkoreanerin An Se Young gegen die Chinesin He Bing Jiao, was den Chinesen im Goldmedaillen-Duell gegen die USA nicht gerade weiterhalf. Am Ende hatten beide Länder 40, die USA insgesamt aber deutlich mehr Medaillen.

Für Österreich gab es am Ende doch noch Olympiasieger. Lara Vadlau und Lukas Mähr segelten in der 470er-Klasse vor Marseille zu Gold und beindruckten mit ihrer Nervenstärke. Und der tatsächlich coolste Olympia-Athlet von allen, Kite-Surfer Valentin Bontus, der in seinem Skianzug an eine rasende Weißwurst erinnert, dominierte die anderen Athleten in den Finalläufen wie ein schwedischer Disney-Prinz. Man könnte auch sagen, er duplantisierte seine Konkurrenz

Österreicherinnen und Österreicher können also doch mehr als Raufen, Kraxeln und Schmeißen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.