Niederösterreich

Operation Thujen-Tod: Verpönte Hecken, teure Umfragen und ganz viel ÖVP

Mit der Aktion „Natur im Garten“ des Landes Niederösterreich beackert die ÖVP alle Zielgruppen – vom Kind bis zum Bürgermeister. Das pompöse Prestigeprojekt ist teuer: Millionen gingen für ORF-Gartenshows drauf, über 100.000 Euro flossen in Karmasin-Umfragen, deren Sinnhaftigkeit bezweifelt werden darf.

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Niederösterreich ist ein besonderes Biotop – jedenfalls politisch. Quasi seit Menschengedenken weitestgehend in der Hand einer Partei (der ÖVP, aber das muss dem gelernten Österreicher wohl nicht extra erklärt werden), kann hier wachsen und gedeihen, was anderswo vielleicht etwas weniger rasant in die Höhe schießen würde: ein Leuchtturmprojekt an der manchmal etwas unscharf geratenen Schnittstelle zwischen Landes-, Partei- und Privatinteressen. Win-win-win-Situation, würde man dazu im Politsprech sagen. Was freilich über den Umstand hinwegtäuscht, dass nur einer der möglichen „Gewinner“ finanziell dafür aufkommen muss – die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Ein politischer Visionär aus dem Kernland der Volkspartei ist zweifellos Wolfgang Sobotka. Als Landesrat und begeisterter Hobbygärtner hegte und pflegte der heutige Nationalratspräsident die Initiative „Natur im Garten“. Die Vision: Niederösterreich als ökologisches Gartenland Nummer eins in Europa zu positionieren. Millionen wirft das Land dafür Jahr für Jahr in die Schlacht. Bewohner und Gemeinden sollen ihre Grünflächen im Sinne der Natur gestalten. Doch der Kampf gegen wenig umweltfreundliche Thujen, Torfdünger und chemische Spritzmittel eröffnet quasi nebenher eine schier unendliche Fülle öffentlichkeitswirksamer Nebenfronten. Politisches Gold für Sobotka und seine Nachfolger – nicht zuletzt auch für die heutige Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.

Es gibt kaum eine Zielgruppe, die mit der Aktion nicht beackert wird. Bürgermeister können ihre Gemeinde mit dem „Natur im Garten“-Siegel als „pestizidfrei“ labeln lassen, Hobbygärtner sollen mit einer Gartenakademie und Beratungen unterstützt werden. Für Kinder veranstaltet die Initiative eine Kinderuni – und schuf mit dem Projekt „Igelhausen“ um knapp 103.000 Euro auch eine Online-Plattform für die jüngere Zielgruppe.

Während „Natur im Garten“ fremdländische Pflanzen mit starkem Ausbreitungspotenzial eher skeptisch betrachtet, geht man selbst maximal-invasiv vor. Stand 2023 haben sich bereits 20.236 Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher sowie 476 Landesgemeinden die begehrte Zertifizierungsplakette mit dem Igel an die Gartentür oder ans Gemeindeamt geschraubt. Sie dürfen sich als Teil einer „Umweltbewegung“ verstehen. Selbstverständlich werden besonders hochrangige Igel-Plaketten-Übergaben auch gerne öffentlichkeitswirksam von politischen Würdenträgern übergeben.

Wer den Kampf gegen die Thuje und die Schlacht um möglichst viel Aufmerksamkeit gewinnen will, darf freilich nichts dem Zufall überlassen. Kaum etwas in Ostösterreich dürfte akribischer erforscht sein als die Gärten der Niederösterreichinnen und Niederösterreicher – und die Bedürfnisse und Einstellungen ihrer Inhaber. profil hat im Juli 2023 begonnen, mithilfe des Auskunftspflichtgesetzes bestimmte Studien anzufordern, welche das Land in den vergangenen Jahren in Auftrag gegeben hat. Ausgangspunkt der Recherche waren die Vorwürfe rund um die Meinungsforscherin und früheren ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin. profil berichtete im Vorjahr bereits über erste Erkenntnisse. Nach mehreren Anfragerunden liegt nun in Bezug auf „Natur im Garten“ jedoch ein beeindruckendes Gesamtergebnis vor.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.