Farb-Fernsehen

ORF: Journalisten-Widerstand gegen Parteienproporz

ORF. Journalisten-Widerstand gegen Parteienproporz

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Die Verhandlungen dauerten 129 Tage. An ihrem Ende war die Republik säuberlich aufgeteilt. Im Österreichischen Rundfunk etwa war das Fernsehen rot und das Radio schwarz, jede Abteilung hatte zwei Leiter, jeder Redakteur sein andersfarbiges Vis-à-vis, und sogar die Portiersloge war doppelt besetzt.

Die Regierungsbildung von 1962 gilt bis heute als schauriges Beispiel für bis in den Schwachsinn übersteigerten Proporz. Erst fast ein Vierteljahrhundert später, 1986, nahmen die beiden Noch-Großparteien wieder einen Anlauf für eine gemeinsame Regierung.
Umso verwunderlicher, dass diesmal ein Thema auf der Agenda steht, das verblüffend an das 62er Jahr des vergangenen Jahrhunderts gemahnt: Diesmal soll die höchste ORF-Spitze doppelt besetzt werden – ein Generaldirektor rot, ein Generaldirektor schwarz. Dass darüber verhandelt werden wird, wurde profil von beiden Seiten bestätigt: „Ja, das ist Koalitionsgegenstand“, verlautete vergangenen Donnerstag etwa aus der ÖVP. Aus der SPÖ hieß es vielsagend, darüber sei in den Verhandlungen „noch nicht“ gesprochen worden. Ob man zu einer Teilentmachtung des eigenen Kandidaten, Alexander Wrabetz, bereit sei? Kein Kommentar.
Gleichzeitig wurde dem roten ORF-General vorvergangene Woche von Vertrauten aus der SPÖ geraten, er möge die Sache durchaus ernst nehmen.

Die Idee einer Doppelführung hatte der für Medienfragen zuständige ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf zwei Wochen vor der Wahl in einem „Standard“-Interview geäußert: Die gegenwärtige Alleingeschäftsführung des ORF durch einen Generaldirektor sei „nicht mehr zeitgemäߓ; es bedürfe eines Zweiervorstands, wobei einer der beiden Chefs für das Programm und der andere für Finanzen und Technik zuständig sein solle. Die bisherigen Direktoren für Fernsehen, Radio und Technik wären dann gehobene Abteilungsleiter.

Absurde „Volkswahl“ per Fax
Der Plan stammte dem Vernehmen nach nicht von Kopf selbst, sondern von Parteichef Michael Spindelegger. Und wen der Niederösterreicher dabei als zweiten Vorstand ins Auge gefasst hatte, war klar: den derzeitigen Finanzdirektor Richard Grasl, einen Schützling Erwin Prölls.
Die SPÖ schwieg zu diesem ungewöhnlichen Vorpreschen auffällig, was die Gerüchte nährte, der ÖVP-Vorstoß sei mit ihr akkordiert. Die Sozialdemokraten hatten bereits in den vergangenen Monaten zu erkennen gegeben, sie seien bereit, der ÖVP mehr Macht im ORF zu überlassen, wenn der EU-Kommissar – seit 1995 ein Mann der Volkspartei – nach den Europawahlen erstmals an die SPÖ fiele.
Und auch die geplante Vorgangsweise zeichnet sich schon ab: Demnächst muss ohnehin das Rundfunkgesetz repariert werden, weil der Verfassungsgerichtshof 2011 die absurde „Volkswahl“ per Fax von sechs ORF-Publikumsräten aufhob. Die scheindemokratische „Wahl“ war 2002 von der schwarz/blauen-Regierung eingeführt worden und von Beginn an eine Farce: Da kaum jemand ein Faxgerät in seiner Wohnung stehen hat, die Parteiorganisationen dafür umso mehr, wurden die Kandidaten jener Partei gewählt, die eifriger Stimmzettel einsammelte und en bloc an den ORF faxte. Das war bei den ersten beiden Wahlen die SPÖ, die alle sechs Kandidaten durchbrachte.

2010 versagte der rote Apparat und bloß ein SP-Kandidat, der beliebte Fernseharzt Siegfried Meryn, wurde gewählt, während andere von den Sozialdemokraten präsentierte Promis wie Marika Lichter und Peter Pacult glatt durchfielen. Da der Publikumsrat drei Mitglieder des mächtigeren Stiftungsrats stellt, war dies nicht ohne Bedeutung.
Aber auch dem 35-köpfigen Stiftungsrat will man bei der Reparatur des ORF-Gesetzes zu Leibe rücken: Er soll auf zehn Mitglieder zurückgestutzt werden, womit die Koalition praktischerweise die lästigen Oppositionsvertreter los wäre. Fünf Rote würden dann fünf Schwarzen gegenübersitzen – Proporz vom Allerfeinsten.
Im Zuge derartiger Veränderungen der Gremien servieren die Parteien üblicherweise auch gleich den ORF-Chef ab und ersetzen ihn durch einen bequemeren Wunschkandidaten. So war es etwa 2002, als Generalintendant Gerhard Weis, an sich ein Bürgerlicher, von der schwarz/blauen Koalition entsorgt und durch die biegsamere Monika Lindner ersetzt wurde.

„Willkommen in Weißrussland“
Diesmal soll es also eine Proporz-Doppelspitze sein. „Willkommen in Weißrussland“, entfuhr es Frido Hütter, dem Doyen der TV-Journalisten, in seinem Kommentar in der „Kleinen Zeitung“. „Das wäre ja wirklich furchtbar!“, kommentierte Nationalbankpräsident Claus Raidl, ein liberaler ÖVPler, das Projekt in einer Diskussion auf Puls 4. „Die neue Regierung sollte nicht mit einem Proporzgesetz gegen den ORF beginnen“, riet Altmeister Hugo Portisch, der 1964 das Volksbegehren gegen die Packelei im alten Österreichischen Rundfunk initiiert hatte.
Der wichtigste Widerstand kommt allerdings aus dem ORF selbst: Die Journalisten sind nicht mehr bereit, die Farbenspiele der Parteien reaktionslos hinzunehmen. Nach einer Routine-Sitzung der ZiB-Mitarbeiter am vergangenen Montag – es ging um die bevorstehenden Redakteurssprecherwahlen – wurde spontan eine Protesterklärung gegen den „Rückfall in das alte Proporzsystem“ formuliert: „Auch wenn die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP auf nur noch knapp 50 Prozent der Stimmen kommen, wollen sie sich den ORF zu 100 Prozent untereinander aufteilen“, heißt es darin, „dagegen werden die Journalistinnen und Journalisten des ORF ankämpfen.“

Unglaubliche Töne – das hätten frühere ORFler-Generationen nicht gewagt, auch weil sie Gerd Bacher in Stücke gerissen hätte. Freilich: Heute sitzen nicht mehr „Nachrichtensprecher“ und „Fernsehansagerinnen“ in den Studios, sondern Stars, die höhere Bekanntheits- und vor allem Beliebtheitswerte haben als die meisten Politiker. Das verleiht Macht, die immer öfter genützt wird.

Als Anchorman Armin Wolf im Juni 2006 in seiner Dankesrede bei der Überreichung des Robert-Hochner-Preises durch den Bundespräsidenten das schwarz-blaue Machtgeflecht offenlegte, mit dem die damalige Regierung den ORF durchwoben hatte, saß die halbe ZiB-Redaktion im Saal und applaudierte. Zwei Monate später wählte eine rot-grün-blaue Regenbogenkoalition Monika Lindner ab und installierte Alexander Wrabetz.
Der bekam im Jänner des Vorjahrs sein Fett ab, als ihm die SPÖ dringend den roten Fraktionsvorsitzenden im Stiftungsrat, Nikolaus Pelinka, als Büroleiter anempfahl und Wrabetz Anstalten machte, dieser „Empfehlung“ nachzukommen: In einem denkwürdigen Video auf YouTube protestierten die Redakteure gegen die Polit-Besetzung, der ORF-Generaldirektor und die SPÖ steckten zurück. Redakteurssprecher Dieter Bornemann pocht auf solche Ausgewogenheit: „Wir leisten prinzipiellen Widerstand gegen alle, die von außen oder von innen hereinregieren wollen.“

Und genau das, vermuten die Mitarbeiter, würde im Fall einer Doppelspitze, wie sie die ÖVP wünscht, geschehen. Denn Finanzdirektor Richard Grasl, der logische zweite Chef neben Wrabetz, war bis vor vier Jahren Journalist und würde daher namens der ÖVP Anspruch auf den Arbeitsbereich Programm und Information erheben. Wrabetz war nie Journalist, sondern immer Manager – klar, dass er den Finanz- und Technikpart übernehmen müsste.

Erwin Prölls großer Schatten
Und Grasl sei der Mann Erwin Prölls, „der seine Leute für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf in Stellung bringt“, wie ein ORF-Promi meint.
Dem 39-Jährigen hängt seine große Nähe zum starken Mann in der ÖVP nach. Grasl war jahrelang Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich – der vielleicht wichtigste Posten, den Pröll (de facto) zu vergeben hat. In die ORF-Führung stieg er auf unschöne Weise auf: Die ÖVP machte 2009 ihre Zustimmung zur auf vier Jahre befristeten Rückerstattung jenes Teils der Rundfunkgebühr, der dem ORF durch die von der Politik dekretierten Gebührenbefreiungen entgeht, von Grasls Ernennung zum Finanzdirektor abhängig.

Der umgängliche Journalist entpuppte sich trotz des fragwürdigen Einstiegs rasch als tüchtiger Finanzmann, der auch bei seinen ehemaligen Redakteurs-Kollegen nicht unbeliebt ist.

Den übergroßen Schatten Erwin Prölls wird er aber nicht los. Just als die ORF-Führung mit ihren Auslandskorrespondenten vorvergangenen Dienstag bei einem Heurigen in Wien-Mauer tafelte, läutete Grasls Handy und der Landeshauptmann beschwerte sich lauthals über einen eben gelaufenen ZiB-Beitrag. Der nach dem Anruf zwischen Grasl, Fernsehdirektorin Kathi Zechner und Alexander Wrabetz entbrannte Streit (profil berichtete) war Tagesgespräch am Küniglberg.

Allerdings geht es zwischen Wrabetz und Grasl meist zivilisiert zu: „Sie verstehen sich als Großkoalitionäre: Jeder weiß, wo der andere hingehört“, beschreibt das ein Beobachter der beiden. Ständig Krach gibt es allerdings zwischen Grasl und Zechner: Die TV-Chefin beklagt, der Finanzchef setze bei Programm und Information die Daumenschrauben an und missachte damit ihre Arbeit und die ihrer Mitarbeiter.

Dabei ist es nicht Grasls Schuld, dass überhaupt gespart werden muss: 2014 läuft die Rückerstattung der Gebührenbefreiung auf Wunsch der ÖVP aus. In der SPÖ-Spitze machte sich bisher nur Klubobmann Josef Cap dafür stark – und der wurde soeben abserviert. Ohne Rückerstattung entgingen dem ORF 2012 nicht weniger als 58 Millionen Euro – etwa jene Summe, die das schmerzhafte Sparpaket ausmacht. Mehr Geld gibt es erst wieder bei entsprechendem Wohlverhalten. Was die beiden wahrscheinlichen Koalitionspartner darunter verstehen, ist wohl Teil der geheimeren Beratungen im Rahmen der Regierungsverhandlungen.

Beobachter erwarten allerdings, dass es im Koalitionspakt keine genauen Aussagen über die ORF-Zukunft geben wird. Allfällige Einigungen würde man in einem geheimen „Sideletter“ niederschreiben, dessen Inhalte dann eben einige Zeit nach der Regierungsbildung umgesetzt werden.
Die SPÖ sitzt im derzeitigen Poker um die Macht im ORF jedenfalls auf dem längeren Ast. Wenn die ÖVP nicht zu größeren Zugeständnissen auf anderen Gebieten bereit ist, können die Sozialdemokraten trotz des Spruchs der Verfassungsrichter eine Reparatur des ORF-Gesetzes ablehnen. Dann gäbe es eben keine Fax-Wahl mehr und das Gremium würde von 36 auf 30 Köpfe verkleinert. Das hätte für die Faymann-Partei positive Auswirkungen: Entsandte der Publikumsrat nach dem ÖVP-Sieg bei der letzten Fax-Wahl zwei Vertreter der ÖVP und nur einen der SPÖ in den Stiftungsrat, könnten die Roten dann alle drei nominieren, weil sie im 30-Kopf-Gremium die Mehrheit haben.

Der Stiftungsrat wird im April neu konstituiert. Aufgrund des Wahlergebnisses wird dann ein Sitz von der SPÖ zu den NEOS wandern, das BZÖ-Mandat geht an das Team Stronach. Mit den drei Vertretern des Publikumsrats wäre die SPÖ-Mehrheit aber sogar noch deutlicher abgesichert als bisher.

Sollte die rot-schwarze Packelei im ORF samt kompletter Machtübernahme tatsächlich bis zum bitteren Ende durchgezogen werden, könnte es in Österreich zu einem Novum kommen: Die Oppositionsparteien erwägen für diesen Fall ein gemeinsames Volksbegehren.