Othmar Karas: Ein Unbequemer verlässt den Weg der ÖVP
Auf visueller Ebene hatte sich Othmar Karas schon lange von der ÖVP getrennt: Der Vizepräsident des EU-Parlaments zieht sein eigenes Logo „OK.“ dem Schriftzug der „Neuen Volkspartei“ vor. So auch am Donnerstag, als er zu einer „Persönlichen Erklärung“ lud – ein Code für Rücktritte. Bei der nächsten EU-Wahl am 9. Juni wird Karas nach 25 Jahren im Europäischen Parlament nicht mehr kandidieren. Die ÖVP atmet auf. Doch Karas ist mit der Politik noch nicht fertig.
„Ich bleibe. Und ich bleibe ein Kämpfer“, richtete der EU–Politiker seinen innerparteilichen Kritikern aus. Gerüchte um eine eigene Liste bei der Nationalratswahl befeuerte Karas am Donnerstag selbst: Er habe „eine erste Entscheidung bekanntgegeben. Alles Weitere wird sich zeigen.“
Selbst in den Ring zu steigen, kommt für mich nicht in Frage.
Ein oft Genannter winkt ab: Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) wird auf keiner Liste Karas stehen. Er sei dem EU-Politiker freundschaftlich und Vizepräsident des Forum Europa verbunden, so der Ex-SPÖ-Chef, „aber selbst in den Ring zu steigen, kommt für mich nicht in Frage“. Der frühere Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn, ebenfalls an der Gerüchtebörse gehandelt, hält sich diese Option offen. Er warte mit der Entscheidung über seine eigene politische Zukunft erst einmal ab, sagt der Gastronom zu profil: Dass Karas vorerst Mitglied der Volkspartei bleibt, sei allerdings „das beste Indiz dafür, dass er keine eigene Liste machen wird“. ÖVP-Mitglieder dürfen laut Statut keiner anderen Partei angehören.
Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, nicht mehr die Kraft der Mitte, die sie sein sollte.
Abschied mit Abrechnung
Andererseits erscheint es schwer vorstellbar, dass Karas in der Volkspartei noch einmal Fuß fassen kann. „Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, nicht mehr die Kraft der Mitte, die sie sein sollte“, sagte Karas am Donnerstag. Die Partei zeige eine neue Seite, „die ich nicht nur für menschlich enttäuschend, sondern auch für eine staatstragende Partei unwürdig halte.“
Der EU-Politiker hatte schon bei der EU-Wahl über einen Alleingang nachgedacht: „Aber anders als bei anderen endet mein Horizont nicht beim Wahltag. Ich werde nur das tun, was einen Mehrwert für Österreich und Europa hat.“
Die türkise Spitze dürfte den konservativen Kritiker nicht missen. Es sei „nichts Neues, dass sich die Positionen der Volkspartei sowie jene von Othmar Karas immer weiter voneinander entfernt haben“, ließ ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker wissen. Wie zum Beweis streuten SPÖ, Grüne und Neos dem scheidenden EU-Politiker Rosen.
Marke Widerspruch
Der 65-Jährige ist seit Beginn seiner vier Jahrzehnte langen Karriere eigensinnig. Obwohl Alois Mock (ÖVP) als sein politischer Ziehvater galt, besetzte Karas etwa gegen dessen Widerspruch die Hainburger Au. Für seine Widerborstigkeit wurde der glühende Europäer immer wieder gemaßregelt. Bei der EU-Wahl 2009 wurde ihm Ex-Innenminister Ernst Strasser als ÖVP-Spitzenkandidat vorgezogen. Die öffentliche Demütigung befeuerte Karas‘ innerparteilichen Kampfgeist.
Bereits vor der Europawahl 2019 überlegte er, mit einer eigenen Liste ins Rennen zu gehen. Die Zusammenarbeit mit der FPÖ, der verschärfte Migrationskurs und mangelnde europäische Kooperation seiner Volkspartei waren Karas ein Dorn im Auge. Schlussendlich erhielt er den ersten Listenplatz sowie Karoline Edtstadler als linientreue Nummer Zwei. Das starke Wahlergebnis war dem Ibiza-Video zuzuschreiben – und Sebastian Kurz, der 2019 noch von der Spitze der ÖVP strahlte.
Unverantwortliche Partei
Karas wurde Erster Vizepräsident des EU-Parlaments in Brüssel und die Distanz nach Wien immer sichtbarer. Die Blockade des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien durch ÖVP-Chef Karl Nehammer nannte Karas „unverantwortlich und unsäglich“. Für die schwarz-blaue Zusammenarbeit in Niederösterreich fand er nur Bedauern. Und bei seinem heurigen „Neujahrsempfang“ fanden sich Politiker von SPÖ, Grünen und Neos. Die ÖVP glänzte durch Abwesenheit.
Selbst im EU-Parlament war der Ex-Spitzenkandidat zuletzt isoliert. Als einziger ÖVP-Abgeordneter hatte er im Frühjahr das Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 befürwortet. Die sachliche Einigung auf EU-Ebene werde „politisch missbraucht und faktisch verzerrt“, ärgerte sich Karas auch über den eigenen Parteichef.
Der Ärger hat nun ein erstes Ende. Leiser treten wird Karas aber wohl kaum. Selbst ein Antreten bei der Bundespräsidentschaftswahl in fünf Jahren will der 65-Jährige nicht ausschließen. Ob für oder gegen die Volkspartei, ist völlig offen.