Othmar Karas: Erster Abtritt eines Widerspenstigen
Auf visueller Ebene hat sich Othmar Karas schon lange von seiner ÖVP verabschiedet: Statt „Die neue Volkspartei“ tragen die Glaswände hinter ihm sein eigenes Logo „OK.“ Spätestens seit der Ära von Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz steht der Vizepräsident des Europäischen Parlaments vor allem für sich selbst. Dass ihm eine europäische Vision der Volkspartei fehlt, ist kein Geheimnis. Dass er über einen politischen Alleingang nachgedacht und nach Verbündeten gesucht hat, ebenso wenig. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni tritt Karas nach fast 25 Jahren dennoch nicht an – weder für die Volkspartei noch für eine andere Liste.
Der Stil, der jetzt Einhalt erhalten hat, ist nicht mehr zu tolerieren.
„Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, nicht mehr die Kraft der Mitte, die sie sein sollte“, erklärte Karas am Donnerstag vor eilig versammelter Presse seinen ersten Abschied. Innerhalb der Partei sei eine neue Saite aufgezogen, „die ich nur menschlich enttäuschend, sondern auch einer staatstragenden Partei unwürdig halte.“ Auch bei inhaltlichen Differenzen habe es in der Vergangenheit stets gegenseitigen Respekt gegeben. Das habe sich geändert, so Karas: „Der Stil, der jetzt Einhalt erhalten hat, ist nicht mehr zu tolerieren.“ Karas nannte als Beispiel etwa, dass ihn ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker als Saboteur bezeichnet habe.
ÖVP „nicht mehr die Kraft der Mitte“
Auch gehe es ihm „unheimlich auf die Nerven, von manchen als Linker tituliert zu werden, weil ich dafür einstehe, dass Frauen, Männer und Kinder nicht im Mittelmeer ertrinken“. Das Sterben im Mittelmeer müsse ein Ende haben – es scheitere in der ÖVP aber am Willen, an europäischen Lösungen zu arbeiten, so Karas. Zudem sei Österreich innerhalb der EU vom „Motor der Veränderung zum Bremser des Notwendigen“ geworden: Aktionen wie das Schengen-Veto der ÖVP gegen Rumänien und Bulgarien, die Abwesenheit zahlreicher SPÖ-Abgeordneter bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und die „immer unverschämtere Anti-EU-Politik der FPÖ“ würden dem Ansehen des Landes schaden, so Karas.
Und schließlich stoßen Karas die „immer öfter auftretende, sinnlose Emotionalisierung und Polarisierung“ der politischen Debatte negativ auf: „Wir brauchen eine Politisierung der Politik, mehr Mut, Ehrlichkeit, Vertrauen und Respekt!“ Inhaltsleere Debatten wie jene um die Abschaffung des Bargeldes würden nur Ängste schüren, so Karas: „Das stärkt am Ende nur jene, die keine Lösungen wollen, namentlich die FPÖ.“
Unattraktive Spitze
Teil der Lösung wird Karas zunächst nicht mehr sein. Lange war darüber spekuliert worden, dass das ÖVP-Urgestein bei der Europawahl mit einer eigenen Liste antreten könnte. Dem erteilte er heute eine Abfuhr. Seine innerparteilichen Kritiker sollten sich aber nicht zu früh freuen, deutete Karas an: „Ich bleibe. Und ich bleibe ein Kämpfer.“ So bleibt Karas zwar vorerst ÖVP-Mitglied, weitere Schritte wollte er aber explizit nicht ausschließen: „Ich habe heute eine erste Entscheidung bekanntgegeben. Alles Weitere wird sich zeigen“, erklärte der 65-Jährige auf Fragen zu einer eigenen Liste bei der Nationalratswahl im Herbst oder einer Kandidatur bei der Bundespräsidentschaftswahl in fünf Jahren.
Innerhalb der Volkspartei dürfte sich nun Erleichterung ausbreiten: Die Gerüchte um eine unabhängige Liste Karas hatten sich zuletzt verdichtet: Ganz konkret könnte Karas gemeinsam mit Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) antreten, wurde gemunkelt. Kern ist Vizepräsident in dem von Karas gegründeten Europaforum. Gegenüber profil winkt der frühere SPÖ-Chef ab. Er sei Karas freundschaftlich verbunden und schätze ihn sehr, „aber selbst in den Ring zu steigen, das kommt nicht in Frage“, so Kern. Mit oder ohne Ex-Kanzler: Eine Liste Karas hätte dem Ergebnis der ÖVP bei der EU-Wahl im Juni wohl geschadet. Zusätzlich hatte es innerhalb der Partei in den letzten Wochen und Monaten ohnehin bereits Überlegungen gegeben, Karas als Spitzenkandidaten abzulösen.
Es sei „nichts Neues, dass sich die Positionen der Volkspartei sowie jene von Othmar Karas insbesondere in den vergangenen Jahren immer weiter voneinander entfernt haben“, erklärte ÖVP-Generalsekretär Stocker nach Karas' Pressekonferenz in einer Aussendung. Wenn die Volkspartei aus Karas' Sicht nicht die Partei der Mitte sei, „dann ist dies, wenn man sich all seine Positionierungen der letzten Jahre ansieht, die größtmögliche Bestätigung, dass wir es sind. Wir sind und bleiben die Partei der Mitte“, befand gar der Niederösterreichs ÖVP-Landesgeschäftsführer, Matthias Zauner. Eine Alternative zu Karas als türkiser Spitzenkandidat bei der EU-Wahl steht noch nicht fest. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Außenminister Alexander Schallenberg wurden zunächst Chancen zugesprochen. Beide sagten allerdings bereits öffentlich ab.