Österreich

Rendi-Wagner: Abgang der roten Watschenfrau

Das unrühmliche Ende der ersten weiblichen Parteivorsitzenden ist auch ein Lehrstück für die Scheinheiligkeit der SPÖ in Frauenfragen.

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Es war ihr wohl schwerster Auftritt. Gedemütigt von den Mitgliedern, hinter dem forschen Machtmenschen Hans Peter Doskozil und dem leidenschaftlichen Darling der Linken, Andreas Babler, auf den blamablen dritten Platz durchgereicht, fügte sich Pamela Rendi-Wagner ins Unvermeidliche und verkündete Dienstag ihren Rückzug. Ein unfreiwilliger Abgang – den die glücklose Parteichefin absolvierte wie ihre viereinhalb verkorksten Jahre an der SPÖ-Spitze: beherrscht und kontrolliert, disziplinierte Steherin bis zuletzt. Erhobenen Hauptes, aber ohne politische Grundsatzworte oder einprägsame Formulierungen, die im Gedächtnis bleiben. Keine große Rede, nur knappe fünf Minuten. Und aus. Mehr Eintrag in die Geschichtsbücher begab sich nicht.

Ein unrühmliches Ende, das nicht untypisch für Rendi-Wagners Leidensjahre in der Politik ist. Sie hat gekämpft, mit einer Hartnäckigkeit, die selbst Gegnern Respekt abnötigte. Und brutal verloren. Als „Last Women standing“ nach einer Blitzkarriere von lediglich eineinhalb Jahren Parteimitgliedschaft in den SPÖ-Vorsitz gespült, bleibt von ihr wenig mehr als die quälende Demontage auf Raten auf offener Bühne. Erste gewählte Bundeskanzlerin Österreichs hatte sie werden wollen – und verfehlte das Ziel meilenweit.

„Ich war nie die Laute, Spontane, die in der ersten Reihe gestanden ist“, erzählte sie einmal über sich selbst. Forsche Rampensau-Qualitäten oder der Drang zu sendungsbewussten markigen Ansagen fehlten der Quereinsteigerin von Beginn an, Rituale der Mediengesellschaft blieben für sie bis zuletzt genauso sichtlich ungewohntes Terrain wie parteiinterne Machtspiele.

Kurz: Rendi-Wagner fremdelte mit der Politik – und die Politik mit ihr.

Fehler Corona-Impfpflicht

Selbst in ihrem kurzen und einzigen Zwischenhoch, als die Medizinerin während der Corona-Pandemie ihre Expertise als frühere Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit ausspielen konnte, agierte sie eher wie eine pflichtbewusste Spitzenbeamtin, nicht wie eine führungsstarke Spitzenpolitikerin. Ohne Not stimmte auf ihr Drängen die SPÖ sogar bei der ungeliebten Corona-Impfpflicht mit der Regierung – ein schwerer taktischer Fehler, der der Partei nachhängt und bei Landtagswahlen Stimmen kostete.

Rendi-Wagner hat das Geschäft Politik nie gelernt. Als Gesundheitsministerin war sie dafür zu kurz im Amt: Im März 2017 wurde sie angelobt – zwei Monate später war die SPÖ-ÖVP-Regierung schon geplatzt, eine Neuwahl später kam Türkis-Blau. Die SPÖ landete in der ungeliebten Opposition, eine Rolle, die ihr nicht liegt. Rendi-Wagner bekam das zu spüren. Sie mutierte zur Watschenfrau der SPÖ, an der sich alle abreagierten, die mit dem Niedergang der SPÖ, mit Rauskick aus Kanzleramt und Regierung haderten.

Schon im Dezember 2018, nur ein Monat nach ihrer Kür zur Parteichefin, begann Burgenlands Hans Peter Doskozil öffentlich an ihr herumzumäkeln – und sollte bis zu ihrem Rückzug nie wieder damit aufhören. Damals urgierte er „konstruktivere Oppositionspolitik“ (und zielte auf das SPÖ-Nein zur türkis-blauen Kürzung der Mindestsicherung), dann kritisierte er „die thematisch passive“ Bundes-SPÖ, immer aber fährt er der eigentlichen Parteichefin in die Parade und untergräbt deren Autorität.

Von derartigen Querschüssen weiß auch Alfred Gusenbauer ein Lied zu singen: Er wurde im Jahr 2000, als Schwarz-Blau regierte und die SPÖ in Opposition verbannte, Parteichef. Und hatte mit anschwellendem „Gesudere“ aus seiner frustrierten Partei zu kämpfen, von seiner Kleidung bis zu seiner Themensetzung wurde alles kritisiert. Gusenbauer konnte sich dennoch halten – ihm retteten überzeugende Wahlerfolge den Parteivorsitz. In Salzburg und in der Steiermark eroberte die SPÖ die Landeshauptfrau- und Landeshauptmannsessel, in anderen Bundesländern feierte sie zweistellige Zuwächse. Nach jedem Wahlsieg verstummte die Kritik kurz – bis Gusenbauer als Kanzler scheiterte (aber das ist eine andere Geschichte).

Wie mit ChatGPT designt

Diese Etappenerfolge konnte Rendi-Wagner nie verbuchen – elf Wahlen unter ihrer Obmannschaft, viele Minus-Ergebnisse, nur ihr ewiger Kontrahent Doskozil errang die absolute Mehrheit. Und gilt seither als Siegertyp. Sie hingegen fuhr bei der Nationalratswahl 2019 das schlechteste SPÖ-Ergebnis der Parteigeschichte ein. Und die Kritik schwoll mit jedem schlechten Umfrageergebnis an. Rendi-Wagner igelte sich zusehends ein. Aus lauter Angst, Fehler zu begehen, agierte sie gar nicht. Eine echte Chance, eigenes Profil zu entwickeln, eigene Themen zu setzen, bekam sie von den ewigen Querrednern nie. Und entwickelte nie die selbstbewusste Autorität, sich die Chance einfach zu nehmen und Querredner zum Verstummen zu bringen.

Das eigentlich Paradoxe: Hätte man im Polit-Labor mit ChatGPT versucht, die ideale SPÖ-Führungsfigur zu designen – es wäre jemand wie Pamela Rendi-Wagner herausgekommen. Denn damals, im Herbst 2018, als Ex-Hoffnungsträger Christian Kern entnervt über Nacht den Parteivorsitz hingeschmissen hatte und die SPÖ orientierungslos und ausgelaugt in den Seilen hing, erschien die Frau, die alle bald jovial „die Päm“ nannten, wie die perfekte Morgen-Rote: jung, weiblich, erfolgreich außerhalb der Politik. Sympathisch und frisch. Weltläufig und rhetorisch gewandt. Von keinen SPÖ-Fehlern der Vergangenheit belastet, sodass alle Kritik an roten Irrwegen an der Quereinsteigerin abprallt. Modern genug, um der angestaubten alten Tante Sozialdemokratie neuen Pep zu verpassen, gleichzeitig verwurzelt genug in der traditionell roten Gemeindebau-Bruno-Kreisky-Aufstieg-Biografie.

Nicht nur SPÖ-intern, auch extern hätte Pamela Rendi-Wagner im Herbst 2018 wie das perfekte Kontrastprogramm zur ÖVP-FPÖ-Regierung wirken können – zur perfekt rollenden türkisen Buberl-Maschinerie und zu männerbündlerisch blauen Recken –, aus der es immer wieder streng nach Liederbüchern und anderem Vorgestrigen müffelte. Betonung auf hätte, könnte, schien. Denn nichts davon trat ein. Pamela Rendi-Wagner wirkte vielleicht im Polit-Labor perfekt – in der Polit-Realität aber nicht.

Im November 2018, da sprang die erste Frau an der SPÖ-Spitze noch vor Freude über das überwältigende Vorschussvertrauen in die Luft: Mit 97,8 Prozent war sie am Parteitag in Wels gewählt worden. Das wäre ihr Fenster gewesen, Erneuerung anzustoßen und Akzente zu setzen. Doch sie tauchte unter. Ein Fehler, den sie wieder und immer wieder wiederholte. Bis zur Unkenntlichkeit übercoacht reagierte Rendi-Wagner oft zeitverzögert – oder falsch. Dieser mangelnde politische Instinkt hätte mit einem guten Team korrigiert werden können, doch für Teamarbeit fehlte ihr längst das Vertrauen.

ÖVP glänzt im Politfach „erste Frau“

Die Geschichte des langen Scheiterns der ersten Frau an der SPÖ-Spitze taugt auch als Lehrstück, wie deutlich Anspruch und Wirklichkeit der SPÖ in der Frauenfrage auseinanderklaffen. In der Theorie preist sich die SPÖ gern als Vertreterin der Frauen – in der Praxis belegt sie im Parlament beim Frauenanteil hinter Grünen und NEOS mit 47,5 Prozent nur Platz 3. Das hat historische Wurzeln: Im Standardwerk „Die Frau und der Sozialismus“ wurde Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zwar prinzipiell für erstrebenswert erklärt, aber bloß als „Nebenwiderspruch“. Zuerst müsse der Hauptwiderspruch, die Klassengesellschaft des Kapitalismus, überwunden werden. Das wirkte nach – im Polit-Fach „die erste Frau“ glänzte stets die ÖVP, nicht die SPÖ. Die ÖVP stellte 1966 die erste Ministerin (Grete Rehor), 1986 mit Marga Hubinek die erste Frau im Nationalratspräsidium (von SPÖ-Gewerkschafter Anton Benya mit „Jössas, a Weib“ begrüßt), mit Waltraud Klasnic die erste Landeshauptfrau, mit Benita Ferrero-Waldner 2004 die erste Bundespräsidentschaftskandidatin. Und die oberste SPÖ-Frauenpolitikerin, Johanna Dohnal, wurde mit miserablen Ergebnissen auf roten Parteitagen abgestraft.

Frauen in der Spitzenpolitik sind dem „anderen Blick“ ausgesetzt, wie es in der Forschung heißt. Die Vorstellung, wie erfolgreiche, durchsetzungskräftige Politik auszusehen hat, ist nach wie vor weithin von Testosteron-Schlachtrössern geprägt. Rendi-Wagner hat sich nie als Feministin profiliert, doch ganz frei von gönnerhaftem Sexismus war auch die Kritik an ihr nicht. Wenig Wunder – von neun SPÖ-Landesparteichefs sind acht männlich, nur die kleinste Landespartei, jene Vorarlbergs, wird von einer Frau geführt.

Und die erste Frau an der Parteispitze ist Geschichte. Eine unrühmliche Geschichte – für die SPÖ und für Rendi-Wagner selbst.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin