Pandora Papers

Salzburg-Connection: Billigschuhe beim Diskonter, Offshore-Trust in Asien

Geheime Dokumente zeigen: Der Schuh-Großunternehmer Andreas Grohmann steht hinter einem Treuhandkonstrukt in Singapur. Wollte er einen Interessenskonflikt bei einem Prüflabor verschleiern?

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von Stefan Melichar, Michael Nikbakhsh und Martin Thür

Mittwochnachmittag in einer „Hofer“-Filiale am Stadtrand von Wien. Aneinandergereiht stehen Wühlkörbe mit Billigschuhen – von Sneakern über Kindergummistiefel bis zu Filzschlapfen. Was vor geraumer Zeit als Recherche in der schillernden Welt der Steueroasen und globalen Offshore-Zentren begonnen hat, endet hier beim Diskonter. Konkret: bei einem Paar Herren-Arbeitsschuhe, Größe 43, um 19,99 Euro.

„Pandora Papers“

profil und ORF kooperieren bei den sogenannten Pandora Papers mit mehr als 600 Journalistinnen und Journalisten weltweit. Sie alle werten einen riesigen Fundus geleakter Daten diverser Treuhänder und Kanzleien aus, die auf die Administration von Offshore-Firmen spezialisiert sind. Die Daten wurden dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zugespielt, das eine globale Recherchekooperation organisiert und leitet.

Die Pandora Papers enthalten Zigtausende Namen von Personen und Firmen. Gleich zwei davon finden sich auf jenem Kartonkärtchen, das an den Diskont-Arbeitsschuhen aus dem 11. Bezirk baumelt (siehe Foto). Damit vervollständigt sich eine Spur, die von Wien-Simmering über Salzburg bis nach Singapur führt. Es geht dabei nicht nur um billige Fußbekleidung in Millionen-Stückzahl. Es geht auch um Materialprüfungen und Tests, die Konsumenten etwa vor giftigen Chemikalien schützen sollen. Sollten Regeln umgangen werden, die dazu da sind, die Unabhängigkeit solcher Prüfmaßnahmen sicherzustellen? E-Mails aus den Pandora Papers lassen diese Vermutung zu.

Im Zentrum der Recherche steht der Salzburger Unternehmer Andreas Grohmann, ein Schwergewicht in der österreichischen Billigschuh-Branche. Die Grohmann Schuhimport GmbH, welche die erwähnten Arbeitsschuhe – und andere Modelle – über Hofer vertreibt, gehört zu seinem Imperium. 15 Millionen Paar verkauft er laut „Salzburger Nachrichten“ pro Jahr über Diskonter in Europa. In Österreich zählt neben Hofer auch Hervis dazu. Grohmann entwickelt die Schuhe und lässt sie dann in Asien produzieren.

Der Name Grohmann taucht in den Pandora Papers auf – und zwar in Zusammenhang mit geschäftlichen Interessen in Asien. Im Kern geht es dabei um eine Firma mit Sitz in Hongkong, an welcher der Geschäftsmann über seine  österreichische  Firma AGIM beteiligt war – und in gewisser Weise bis heute ist. An dieser Hongkonger PFI Far-east, vormals FTTS, wiederum hängt ein chinesisches Unternehmen, das Konsumgüter auf gefährliche Chemikalien untersucht.

Salzburger Billigschuh-Schwergewicht

Am 2. Februar 2012 wandte sich ein Geschäftspartner Grohmanns via E-Mail an die Treuhandfirma Asiaciti Trust in Singapur (Asiaciti ist einer jener Dienstleister, dessen geleakte Geschäftsunterlagen Teil der Pandora Papers sind). Der Geschäftspartner fragte an, ob Asiaciti etwas für Grohmann tun könne, nämlich: Ein „großes deutsches Test-Institut“ wolle bei der Hongkonger Firma FTTS einsteigen. Eine der Bedingungen sei, dass Grohmanns Holding AGIM ihre Anteile veräußere, da sich sonst ein potenzieller Interessenskonflikt ergeben könnte. Grohmann beziehungsweise AGIM seien „indirekt“ Kunde des deutschen Test-Instituts. Der Geschäftspartner schrieb weiters, Akkreditierungsregeln würden einen derartigen Interessenskonflikt ausdrücklich verbieten. Die Idee: Grohmann könnte seine Anteile an einen Trust – eine Art Treuhandschaft – übertragen und AGIM einfach nicht mehr als Aktionärin aufscheinen.

Sollte ein Interessenskonflikt kaschiert werden? Am 14. März 2012 schaltete sich Andreas Grohmann selbst ein. Er schrieb in einem E-Mail an Asiaciti: Grundsätzlich sei alles im Mail seines Geschäftspartners erklärt worden. „Der einzige Grund ist, dass AGIM nicht als Aktionär aufscheinen beziehungsweise kein Konnex zwischen AGIM oder mir selbst in Bezug auf FTTS aufscheinen sollte.“ Einen anderen Grund – etwa Steuern – gebe es nicht (Übersetzung durch die Redaktion).

Gemeinsame Firma mit Prüfinstitut

Tatsächlich wanderte 2012 zunächst der Anteil von Grohmanns AGIM an der Hongkong-Firma in einen Asiaciti-Trust namens „Ayana“. Im selben Jahr stieg dann ein Laborbetreiber aus Deutschland ein: das „Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e.V.“ (PFI). Die Pandora Papers zeigen jedoch, dass Grohmann und AGIM Begünstigte des Ayana-Trusts blieben. Faktisch hatten Grohmann und das PFI ab diesem Zeitpunkt also gemeinsame Geschäftsinteressen bei der Testfirma in Asien – offenbar bis heute. Ungeachtet dessen prüft das PFI immer noch Grohmann-Produkte. Das zeigen die Arbeitsschuhe aus dem Diskontmarkt: Das CE-Zertifikat und das „Geprüfte-Sicherheit“-Siegel stammen vom PFI.

Geht das? Die für das PFI zuständige deutsche Akkreditierungsstelle hält auf Anfrage allgemein fest, dass eine gemeinsame Unternehmensbeteiligung von Hersteller und Prüflaboratorium nicht verboten sei. „Jedes Prüflaboratorium hat allerdings für seine Unparteilichkeit bei der Durchführung der Prüfaufgaben Sorge zu tragen, es muss laufend Risiken für seine Unparteilichkeit identifizieren und mögliche Risiken beseitigen oder minimieren.“

"Transparent und offen"

Für das PFI nahm ein Geschäftsführer der PFI Fareast Stellung: Grohmann habe sich nicht „versteckt“. Behörden und Akkreditierungsstellen seien über die „Identität“ informiert. „Die Akkreditierungsstellen sehen, genau wie wir, keinen Interessenskonflikt, da die Gesellschafter nicht in das operative Geschäft eingreifen dürfen und können.“

Die AGIM teilte mit, dass die Anteilsübertragung an den Trust „für alle Beteiligten transparent und offen“ erfolgt sei. Ein Beisatz lässt aufhorchen: Da auch andere Unternehmen über die Hongkong-Firma Testungen durchführen lassen sollten, sei eine direkte Beteiligung von AGIM als Konkurrenzunternehmen „auf den ersten Blick nicht wünschenswert“ gewesen.

Auch das sei aber „in der Sache völlig unproblematisch“, wird beteuert. Die Übertragung der Anteile an Ayana sei rechtlich geprüft und kein Interessenskonflikt gesehen worden. Ein Interessenskonflikt sei „nicht nur rechtlich, sondern auch rein sachlich nicht gegeben“. Die „zusätzliche Kompetenz von PFI“ gewährleiste eine hohe Qualität der Testungen, wodurch „Mängel vermieden“ werden könnten.

Chrom VI in Babyschuhen

Nicht alle Mängel können vermieden werden: Trotz PFI-Tests musste Grohmann im Mai 2021 Baby- und Kleinkinder-Hausschuhe wegen eines erhöhten Chrom-VI-Wertes zurückrufen – auch in Österreich. Alle PFI-Tests am Rohmaterial sowie rund um die Produktion seien „ohne Befund“ gewesen, teilt  ein Grohmann-Anwalt mit. Als dann später erhöhte Werte festgestellt wurden, habe man Expertisen eingeholt, wie Chrom VI „in zuvor unbelasteter Ware“ entstehen könne. Die erhaltene Information: „Es ist bekannt, dass durch Hitzeeinwirkung und UV-Licht Chrom VI generiert werden kann.“ 

Bei Hofer heißt es, die eigenen Qualitätsanforderungen würde oftmals höher liegen als die gesetzlichen Vorgaben. Hofer vertraue darauf, dass das PFI – aufgrund seiner Akkreditierung – bei der Durchführung von Prüfaufträgen völlig unabhängig agiere. Eine Sprecherin des „Spar“-Konzerns, zu dem Hervis gehört, teilte mit, die Qualität der Grohmann-Schuhe sei stets in Ordnung gewesen.

Zurück zum Trust: Asiaciti ließ konkrete Fragen mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht unbeantwortet. Anschuldigungen gegen Asiaciti würden jedoch „auf Ungenauigkeiten und unvollständiger Information“ beruhen. Fußten die Mails im Jahr 2012 auf einer unnötigen Sorge vor einem gar nicht existierenden Interessenskonflikt? Leistet sich Grohmann seit Jahren einen Trust, obwohl er ihn eigentlich gar nicht braucht? Die Pandora Papers deuten darauf hin, dass es Grohmann wichtig war, den Trust gegebenenfalls widerrufen zu können. Gemacht hat er das nicht.