Wie viel Zeit hab' ich noch?
Panic Room Ballhausplatz: SPÖ in der Krise

Panic Room Ballhausplatz

Die SPÖ-Spitze ist nicht mehr in der Lage, mit Kritik in den eigenen Reihen und auseinanderdriftenden Lagern umzugehen. Im Fokus steht: Wie hältst du es mit der FPÖ?

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In der Sozialdemokratie ist nichts mehr, wie es war. Im ehemals stolzen roten Wien errang der SPÖ-Präsidentschaftskandidat in gerade einmal drei von 1504 Wahlsprengeln Platz eins. Und in diesen drei Sprengeln stehen das "Haus Prater“, das "Haus am Mühlgrund“ und "Fortuna“, lauter große Pensionistenheime. Bundesweit kam Rudolf Hundstorfer auf kümmerliche 11,3 Prozent.

So stirbt eine Partei

"So stirbt eine Partei“, sagen Funktionäre massenhaft. Sogar der ehemalige Landeshauptmann der Steiermark, Franz Voves, der nach seiner krachenden Wahlniederlage 2015 alles hingeworfen hatte und nie wieder gesehen ward, meldete sich mit einem Hilferuf zu Wort. Von Eisenstadt bis zum Bodensee forderten Landesparteivorsitzende eine Neuaufstellung der SPÖ, eine Debatte ohne Tabus, eine Kursänderung, und - mehr oder weniger verklausuliert - einen neuen Chef. Selbst Alt-Kanzler Franz Vranitzky, der bei Parteiveranstaltungen stets mit Standing Ovations begrüßt wird und der sich vor einem Jahr noch öffentlich hinter Faymann stellte, tut das nicht mehr. Im Gegenteil, Vranitzky warnt jetzt: Viel Zeit habe seine Partei nicht mehr. Es brauche rasche Veränderungen.

Am Wiener Ballhausplatz herrscht nackte Angst. Loyalitätsbekundungen, meist von Mitarbeitern des Apparats, werden eingefordert. Hätte sich nicht der Wiener Bürgermeister Michael Häupl bereit erklärt, in einem gemeinsamen Fernseh-Interview mit Kanzler Werner Faymann ein Ende der Debatte auszurufen, wäre Faymann wahrscheinlich schon kommende Woche stehend k. o. gegangen. Überzeugend fiel Häupls Unterstützung allerdings nicht aus. Missmutig saß er auf einem der geschwungenen Stühlchen im Kanzleramt und sagte: Er werde alles tun, damit der nächste Kanzler wieder ein Sozialdemokrat ist. Erst auf Nachfrage des ORF-Reporters meinte er genervt: Ja, Werner Faymann. Vielleicht galt Häupls Knappendienst gar nicht dem angeschlagenen Kanzler, sondern der Sorge um die Koalition, für den Fall, dass ein Freiheitlicher in der Hofburg sitzt, der gewillt ist, seine Rechte autoritär zu nützen.

Vielleicht galt Häupls Knappendienst gar nicht dem angeschlagenen Kanzler, sondern der Sorge um die Koalition

Die Empörung schwelt. Vieles hat sich in den vergangenen Jahren aufgestaut. Faymann & Freunde hätten sich immer mehr eingebunkert, "Wagenburg“ nennen das Kritiker. SPÖ-Vorbesprechungen zum Ministerrat wurden seit Faymanns Kurswechsel beim Flüchtlingsthema in Serie abgesagt, auch Diskussionen im Parteivorstand abgewürgt, damit ja keine Kritik aufkommt. Wer es dennoch wagt, eine abweichende Meinung zu äußern, wird prompt ins Kanzleramt zitiert.

In einem derartigen Paralleluniversum werden bizarre Auftritte wie jener von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid möglich. Ein Landesparteivorsitzender nach dem anderen hatte vergangenen Mittwoch auf eine Vorverlegung des Parteitags auf Mai oder Juni gedrängt. Kurz nach 16 Uhr verschickte Schmid dann das Mail: "Nach Rücksprache mit den Landesparteivorsitzenden wurde der Termin für den Bundesparteitag mit 12. bis 13. November fixiert.“ Was feixend von Parteigranden so kommentiert wurde: "Das erinnert an Comical Ali, der darauf beharrte, dass keine Amerikaner in Bagdad sind - und hinter ihm waren schon die US-Panzer zu sehen.“ Auch eine Variante, den Autoritätsverlust der Parteispitze zu umschreiben.

Schaffe ich es, die Partei geeint und erfolgreich in die nächsten Wahlen zu führen?

Es ist die 19. herbe Wahlniederlage, seit Faymann vor knapp acht Jahren seinen Vorgänger, Alfred Gusenbauer überrumpelt und selbst nach der Macht gegriffen hat. Schon damals hatte er um guten Wind für sich werben lassen, indem er das Inseratenvolumen seines Infrastrukturministeriums erwähnte. Den berühmten Wink mit dem Zaunpfahl bemühten Faymanns Getreue auch dieser Tage wieder. Die aufmüpfigen Kärntner etwa bekamen zu hören, dass sie in ihrer Hypo-Finanzmalaise "Freunde“ am Ballhausplatz brauchen werden.

Diese Kunst des Machterhalts, die der gewiefte Taktiker Faymann perfektioniert hat, heizte den Aufruhr eher an, statt ihn zu dämpfen. Dass die SPÖ-Spitze etwa der ehemaligen SPÖ-Geschäftsführerin und Siemens-Managerin Brigitte Ederer pampig ausrichten ließ, sie solle sich beim nächsten Parteitag eine Gastdelegiertenkarte mit Rederecht besorgen, brachte die Genossen auf. So dürfe man mit Kritikern nicht umgehen, sagt Steiermarks Landeshauptmannvize und SPÖ-Chef Michael Schickhofer. Faymann müsse "in sich selbst hineinhören und sich fragen: Schaffe ich es, die Partei geeint und erfolgreich in die nächsten Wahlen zu führen?“

Wir dürfen uns nicht monothematisch auf das Flüchtlingsthema reduzieren lassen

Ein Aufruhr, doch die Genossen zerren in verschiedene Richtungen. Die einen sind für einen pragmatischen, taktischen Umgang mit der FPÖ und sehen es als Fehler an, eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene auszuschließen. Die anderen wollen unbedingt am geltenden Parteitagsbeschluss - "Niemals mit der FPÖ“ - festhalten. Auch in der Flüchtlingspolitik geht ein Riss quer durch Landesparteien, Gewerkschaften und Arbeiterkammern. Die SPÖ-Burgenland drängt auf eine Mitgliederbefragung. Erich Foglar, der Präsident des Gewerkschaftsbundes, urgiert: Auch eine Regierung mit der FPÖ müsse möglich sein.

Diametral anders argumentiert die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely: "In Wien hat FPÖ-Kandidat Norbert Hofer wesentlich weniger Stimmen bekommen als die FPÖ bei der Gemeinderatswahl im vergangenen Herbst: Haltung zahlt sich also aus.“ Diesmal aber hat die SPÖ in beide Richtungen verloren - zu den Grünen und zur FPÖ.

Wer verfügt über die moralische Autorität, die Zerreißprobe zu stoppen und beide Flügel der SPÖ hinter sich zu vereinen? Faymann offenbar nur mehr bedingt. Mit anschwellender Lautstärke wird gefordert, die SPÖ müsse sich "neu aufstellen“ und sich inhaltlich neu positionieren: "Wir dürfen uns nicht monothematisch auf das Flüchtlingsthema reduzieren lassen, wir brauchen erkennbare eigene Inhalte“, monierten SPÖ-Granden vergangenen Montag in der eilig einberufenen Präsidiumssitzung. Und: "Die Zeit drängt.“

Das politische Kapital Faymanns scheint verbraucht. Am 1. Mai ist er seit exakt 2932 Tagen Kanzler, länger als die legendären ÖVP-Regierungschefs Leopold Figl oder Wolfgang Schüssel. Faymann liegt mittlerweile im Ranking der Langzeit-Bundeskanzler der Zweiten Republik auf Platz 4, geschlagen nur noch von Bruno Kreisky, Franz Vranitzky und Julius Raab. Bleibt Faymann bis Dezember, würde er auch noch Staatsvertragskanzler Raab hinter sich lassen.

Ich gehöre nicht zu denen, die bei offenem Fenster schlafen, damit sie den Ruf nicht überhören

Es gibt nicht wenige in der SPÖ, die das gerne zu verhindern wüssten. Ein Potpourri von Nachfolgern steht parat: Einerseits Ex-Vranitzky-Sekretär und Medienmanager Gerhard Zeiler, dem nachgesagt wird, er sei notfalls auch zu einer Kampfkandidatur gegen Faymann entschlossen. Er hat den Vorteil, seit dem Jahr 1998 für RTL oder Turner weltweit stationiert gewesen und niemand in Österreich auf die Zehen gestiegen zu sein. Das minimiert die Zahl seiner Gegner. Als Signal der Verjüngung geht Zeiler, der im Juli 61 Jahre alt wird, allerdings nicht durch, als Übergangskandidat durchaus.

ÖBB-Chef Christian Kern wäre um elf Jahre jünger. Der alerte Bahn-Manager bewies in der Flüchtlingskrise 2015 "Menschlichkeit und hohe Krisenkompetenz“ - mit den Worten begründet die umtriebige Sektion-8, warum sie Kern auf ihre Liste der Kandidaten für den SPÖ-Vorsitz setzt, über den die Parteimitglieder abstimmen sollen. Kern selbst kommentiert das gegenüber profil lapidar knapp mit: "Ich gehöre nicht zu denen, die bei offenem Fenster schlafen, damit sie den Ruf nicht überhören.“

Entschlossene Dementis klingen anders.

Neben Managern von außen bleiben zwei Kandidaten aus der aktuellen Führungsriege der SPÖ: Klubobmann Andreas Schieder, 47, der über Regierungserfahrung und die Kunst der ausgleichenden Sätze verfügt, und Shootingstar Hans Peter Doskozil, 45, der als Verteidigungsminister die "Law and Border“-Fans hinter sich sammelt.

Als im Juni 2008 Alfred Gusenbauers politisches Kapital verbraucht war, stand mit Werner Faymann ein Nachfolger parat. Diesmal sind es vier - und jedes Mitglied des "Team Putsch“ favorisiert jemand anderen.

Der zweite gravierende Unterschied zum roten Wechseljahr 2008: Die Serie der Wahlniederlagen dezimierte auch die Anzahl potenzieller stimmgewaltiger Chef-Kritiker, die eine Ablöse vorantreiben könnten. In der Ära Faymann kamen die SPÖ-Landeshauptleute in Salzburg und in der Steiermark abhanden, die Landesparteien in Tirol und Vorarlberg schrumpften auf Sektengröße. Burgenlands Hans Niessl ist durch den rot-blauen Tabubruch geschwächt, Kärntens Peter Kaiser durch den drohenden Bankrott seines Bundeslandes, Stars in der Ministerriege sind Mangelware. Viele rote Kraftfelder existieren neben der Wiener SPÖ und der Gewerkschaft nicht mehr.

Bitter für die SPÖ. Bequem für Faymann.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik