Pappenheimer: Wie die Premiere von "Kurz - Der Film" ablief
Die „Hannelore“-Bar in der Wiener Dorotheergasse ist – nachlesbar auf ihrer Website – ein „Hotspot with Top-Notch-Approach“, also genau der richtige Ort für die Premierenfeier nach der Erstausstrahlung des Dokumentarfilms „Kurz“, der, gemessen am öffentlichen Interesse, ein Blockbuster werden muss. Für Sebastian Kurz gestaltet sich der Auftritt in der „Hannelore“ vergangenen Mittwoch wie früher der Einzug an ÖVP-Parteitagen. Er arbeitet sich durch die Menge, hier ein Pläuschchen, da ein Küsschen, Händeschütteln galore. Kein Zweifel: Er ist wieder da. Besser: Er war nie weg. Zu trinken gibt es in der „Hannelore“ Stella-Artois-Bier aus der Flasche, Gin Tonic, Vodka Red Bull, Vodka Wellness und Grünen Veltliner. Sebastian Kurz ist der Gin-Tonic-Typ. Karl Nehammer greift lieber zur Bierflasche, als er um exakt 23.30 Uhr mit kleiner Entourage in die „Hannelore“ kommt.
Wenn ein amtierender Bundeskanzler einen Raum betritt, ist er in 99,9 Prozent aller Fälle der Hauptdarsteller. An diesem Abend ist es ein anderer. Wahrscheinlich haben sie im Kanzlerbüro lang gegrübelt, ob der Chef überhaupt zur Premierenfeier gehen und dort den Nebendarsteller geben soll. Nehammer begrüßt Kurz wie alle Best-Buddies: erst Quetschhand, dann herzhafte Umarmung. Zwischen Nehammer und Kurz steht Außenminister Alexander Schallenberg, der im Herbst 2021 zwischen Kurz und Nehammer Übergangskanzler war und strahlt, als hätte er gerade den Nahostkonflikt gelöst. Der Bundeskanzler denkt offenbar, doch noch Protagonist des Abends werden zu können. Durch die „Hannelore“ ziehen und Hände schütteln kann Nehammer genauso gut wie Kurz, und anders als dieser hat er ein paar Personenschützer dabei, die ihm jene Wichtigkeitsaura verleihen, die sein Vorgänger als ÖVP-Chef so sehr vermisst.
Kampf-Türkise
Kurz’ reale Bedeutung ist weg, der Star-Appeal geblieben. Vor dem Artis Kino in der Wiener Innenstadt staut es sich schon eineinhalb Stunden vor Beginn der Filmpremiere. Im Publikum finden sich alte Kurz-Fans in türkisem Hemd und Kleid, echtes und bemühtes Wiener Bürgertum und natürlich die ÖVP in allen Facetten. Anwesend sind Alt-Schwarze wie Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol; die ehemaligen Minister im Kurz-Kabinett Elisabeth Köstinger und Gernot Blümel; Nationalratsabgeordnete, die ihr Mandat Kurz verdanken; Kampf-Konservative wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die frühere Generalsekretärin Laura Sachslehner. Und – womit nicht unbedingt zu rechnen war: die aktiven Ministerinnen und Minister Karoline Edtstadler, Martin Kocher, Klaudia Tanner und Susanne Raab. Alexander Schallenberg schwänzt den Film und kommt erst zum Feiern. Dass auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig da ist, registrieren jene, die ihn erkennen. Unter all den türkis-schwarzen Pappenheimern fehlen eigentlich nur drei: Finanzminister Magnus Brunner, Bildungsminister Martin Polaschek und Innenminister Gerhard Karner. Diese vereint, dass sie nicht von Kurz, sondern von Nehammer zu Ministern gemacht wurden.
Als schließlich Sebastian Kurz mit seiner Lebensgefährtin Susanne Thier erscheint, wird aus der Kinopremiere ein kleines Filmfestival. Die rote Auslegeware und die Fotowand vor dem Kino erfüllen endlich ihren Zweck. Kurz gibt Interviews und sagt auf die häufigste Frage der Reporter stets dasselbe. „Planen Sie ein Comeback?“ „Nein.“
Viel wurde in den vergangenen Wochen geraunt, der Film sei die Ouvertüre zu Kurz’ Rückkehr. Befeuert wurde dies durch Geheimnistuerei um die Doku, von der die Öffentlichkeit erst Anfang September erfuhr. Bekannt war, dass ein subventionierter Kurz-Film des Regisseurs Kurt Langbein am 21. September Premiere hat. Dessen Titel: „Projekt Ballhausplatz“. Die Macher von „Kurz“ verzichteten auf Förderungen. Wird der Film doch kein Blockbuster, drohen Verluste. Finanziert wurde er von der deutschen „Opus-R“. Produzent ist der Tiroler Michael Reisch (Pongo Film), der die Doku so beschrieb: „Basierend auf Interviews aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet der Film die Facetten des politischen Werdegangs von Sebastian Kurz mit allen Höhen und Tiefen bis hin zum Abschied von der politischen Bühne.“
Top-Notch-Approach
Nach der Premiere lässt sich sagen: Die Höhen werden stärker herausgearbeitet als die Tiefen. Sebastian Kurz darf seine Sicht der Dinge in epischer Breite darlegen, auch Schüssel, Khol, Köstinger und Blümel kommen zu Wort. Deren zentrale Aussage: Kurz sei ein Politiker mit Top-Notch-Approach gewesen.
Um ein reines Propagandawerk handelt es sich aber nicht. Die berühmt-berüchtigten Chats des Thomas Schmid mit ÖVP-Freunden werden mehrfach eingeblendet, inklusive kindischer Küsschen-Emojis. Und zu Wort kommen auch Kritiker wie der ehemalige SPÖ-Kanzler Christian Kern, der frühere stellvertretende profil-Chefredakteur Michael Nikbakhsh und NEOS-Gründer Matthias Strolz. Keiner muss sich für seinen Auftritt genieren.
Produzent Michael Reisch zeigt sich in seiner Begrüßung im Saal 1 des Artis Kinos zwar schon genervt von den Medien, bedankt sich aber sarkastisch für die Gratiswerbung. Das Publikum lacht. Wolfgang Schüssel und Andreas Khol knabbern Popcorn. Etwas deprimiert wirkt an diesem Abend Regisseur Sascha Köllnreitner. Er sei durch die Aufregung „geplättet“. Kritiken, sein Film wäre eine PR-Show für Kurz, würden ihn schmerzen, denn er stehe Kurz und dessen Politik „in keinster Weise“ nahe. Tatsächlich wirkt Köllnreitner so, als ob er auch gern eine Doku über Andreas Babler drehen würde.
Die Premiere wurde von Kurz gekapert, schon im Vorfeld. Der Ex-Kanzler erhielt ein großes Kartenkontingent. Einzelne Minister soll er selbst angerufen und eingeladen haben. Im Kinosaal saß Kurz fußfrei neben Wolfgang Schüssel, dem letzten ÖVP-Obmann vor ihm, der seine Partei bei Nationalratswahlen zum Sieg führte. Im Gegensatz zu Schüssel war und ist Kurz süchtig nach öffentlicher Aufmerksamkeit. Irgendwann wird er – falls es weder mit dem Polit-Comeback noch dem freien Unternehmertum klappt – vielleicht im „Dschungelcamp“ auftreten oder bei Forsthaus Rampensau.
Mangelnde Substanz als Essenz
Wirklich Neues erfährt man in der Doku „Kurz – der Film“ nicht. Nur Gernot Blümel deutet an einer Stelle des Films ein kleines Geheimnis an. Als der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Michael Spindelegger im April 2011 einen Integrationsstaatssekretär suchte, wäre Kurz, so Blümel, nicht dessen erste Wahl gewesen. Doch Spindeleggers eigentlicher Favorit sagte ab. profil recherchierte am Rande der Premiere, dass es sich um Veronika Mickel handelte, damals Bezirksvorsteherin von Wien-Josefstadt. Nun kann spekuliert werden: Hätte Mickel zugesagt, wäre Kurz dann auf anderem Weg Bundeskanzler geworden? Oder wäre er ohne den Karriere-Boost im Staatssekretariat nicht über den Wiener Gemeinderat hinausgekommen? Und wäre am Ende aus der Bezirksvorsteherin eine Kanzlerin geworden und im Kino würde nun nicht die Doku „Kurz“, sondern „Mickel“ anlaufen?
Aufmerksame Zuseher können Kurz’ aktuelles Denken dank des Films besser erfassen. In einer Sequenz ist ein Buch zu sehen, das er auf Reisen liest: „The Hungarian Way of Strategy“. Autor ist Balázs Orbán (ein enger, aber nicht verwandter Mitarbeiter von Premier Viktor Orbán), der darin eine EU entwirft, die nicht liberalen Prinzipien, sondern national-konservativen folgt.
An einer einzigen Stelle bricht der Film seine Methodik, nur die Interviewten zu Wort kommen zu lassen. Aus dem Off ist die Stimme des Interviewers zu hören, der Kurz fragt, was er am Anfang seiner politischen Karriere dachte, bewegen zu können. Kurz schweigt und meint schließlich lachend, ihm falle dazu jetzt nichts ein. Mangelnde Substanz als Essenz.
Am Ende des Films klatscht das Publikum, zwar nicht voller Begeisterung, aber doch mit Ausdauer. Andreas Khol und Wolfgang Schüssel haben ihr Popcorn aufgegessen. Zur Premierenfeier ziehen die Älteren nicht weiter. Der Hauptdarsteller wird vom ersten Auftritt am roten Teppich bis zur Ankunft in der „Hannelore“ von diversen Kamerateams begleitet. Stoff für „Kurz – Der tollkühne Held kehrt zurück“ ist also bereits vorhanden.