Landwirtschaft

Parkinson durch Pestizide? Die Gefahr vom Acker

In Frankreich und Deutschland gilt Parkinson für Landwirte nach Pestizidkontakt als Berufskrankheit. In Österreich ist das Risiko zwar bekannt, Unterstützung zu bekommen, aber praktisch unmöglich.

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Pilzbefall im Weingarten, Unkraut auf Mais- oder Getreidefeldern oder Schädlinge wie Insekten: Für Landwirte kann das zur existenziellen Bedrohung werden. Nämlich dann, wenn die eigene Ernte betroffen ist. Um das zu verhindern, kommen Pestizide zum Einsatz. Doch viele dieser Stoffe, die Pflanzen schützen sollen, stehen in Verdacht, dem Menschen zu schaden. Sie könnten das Risiko erhöhen, an Parkinson zu erkranken.

Vor rund 30 Jahren waren weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen von Parkinson betroffen. Bis 2016 stieg die Zahl auf rund sechs Millionen. In Österreich leben derzeit rund 25.000 Menschen mit der Krankheit. Wie Parkinson entsteht, ist unklar. „Der Hauptrisikofaktor ist sicherlich das Alter“, sagt Atbin Djamshidian, Leiter der Abteilung Bewegungsstörungen an der Universitätsklinik Innsbruck. Neben genetischen Faktoren spiele auch das Geschlecht eine Rolle: Männer sind häufiger betroffen. Und: „Andere Risikofaktoren beinhalten möglicherweise schlechten Schlaf, sowie Pestizide, Insektizide, Herbizide“, so Djamshidian.

Besonders problematisch sind laut dem Neurologen Stoffe, die in der EU mittlerweile verboten sind. Etwa Maneb – ein Mittel, das laut EU-Pestiziddatenbank bis Anfang 2017 zugelassen war und bei Pilzbefall im Wein-, Obst- und Gemüsebau eingesetzt wurde. Auch das Unkrautbekämpfungsmittel Paraquat sowie das Insektizid Rotenon gelten als nachweislich Parkinson-fördernd. Beide sind heute in der EU verboten. 

In der Debatte geht es also Großteils um Pestizide, die EU-weit jahrelang zugelassen waren. Und um Mittel, die weiterhin verwendet werden dürfen, aber ebenfalls in Verdacht stehen, neurologische Schäden zu verursachen.

Parkinson und Pestizide

Warum bestimmte Pestizide das Risiko für Parkinson erhöhen könnten, erklärt der Experte so: „Man nimmt an, dass Insektizide und Pestizide zu einer Störung der Energielieferanten der Zellen führen könnten, welche den Energiehaushalt der Nervenzelle stören könnten – dies könnte dann zur Bildung von toxischen Stoffen führen, welche wiederum zellschädlich ist“, sagt Djamshidian. „Zusätzlich nimmt man an, dass die Bildung von pathologisch gefalteten Eiweiß-Einlagerungen in Nervenzellen durch Insektizide und Pestizide gefördert werden kann“, so der Mediziner. Man geht also davon aus, dass Eiweiße ihre natürliche Struktur verlieren und sich dann in Nervenzellen ablagern.

Auch Entzündungsprozesse könnten durch die Gifte in Gang gesetzt werden – „durch Störung der Blut-Hirn-Schranke als auch durch Aktivierung von Mikroglia“, also durch eine geschwächte Schutzbarriere im Gehirn oder die Reizung körpereigener Abwehrzellen. Und: Pestizide scheinen den Transport und die Umwandlung des Glückshormons Dopamin zu stören, „was insgesamt möglicherweise zum Zelltod führen kann“, sagt Djamshidian. Kurzum: Pestizide bergen das Risiko, empfindliche Prozesse des Gehirns anzugreifen – und können so zur Entstehung der Krankheit beitragen.

„Wenn sich Bäuerinnen und Bauern schon diesen Chemikalien aussetzen müssen, brauchen sie erstens genügend Wissen über die Risiken und zweitens eine rechtliche und finanzielle Absicherung im Fall einer Erkrankung.“

Sandra Krautwaschl, Die Grünen Steiermark

In Frankreich gilt Parkinson für Menschen mit Pestizidkontakt seit 2012 als Berufskrankheit. Deutschland ist im März 2024 nachgezogen. Dort kann die Erkrankung anerkannt werden, wenn die betroffene Person mindestens 100 Tage lang Herbiziden, Fungiziden oder Insektiziden ausgesetzt war und die Erkrankung nicht auf eine andere Grunderkrankung zurückzuführen ist.

In Österreich fordern die Grünen Steiermark eine entsprechende Regelung und haben dazu einen Antrag im Landtag eingebracht. „Wenn sich Bäuerinnen und Bauern schon diesen Chemikalien aussetzen müssen, brauchen sie erstens genügend Wissen über die Risiken und zweitens eine rechtliche und finanzielle Absicherung im Fall einer Erkrankung“, sagt Klubobfrau Sandra Krautwaschl zu profil.

Aktualisierung der Berufskrankheitenliste im Vorjahr

Das Thema ist nicht neu: Bereits im Dezember 2023 befassten sich die Grünen in der Steiermark damit. Ungefähr zeitgleich zur Initiative der Grünen wurde im Rahmen des türkis-grünen Regierungsprogramms an einer Aktualisierung der Berufskrankheitenliste gearbeitet. Diese wurde im Februar 2024 im Nationalrat beschlossen. Vier neue Erkrankungen wurden aufgenommen – darunter eine Gefäßschädigung in der Hand, die vor allem Handwerker betrifft, und eine neurologische Krankheit, die bei Instrumentalmusikern zu Muskelkrämpfen führen kann. Die SPÖ forderte damals eine umfassendere Erweiterung – etwa um Long Covid –, fand dafür aber keine Mehrheit. Parkinson bei Landwirten spielte damals keine Rolle, obwohl damals der Grüne Johannes Rauch im Gesundheitsministerium das Sagen hatte.

Mit einer baldigen Umsetzung ist nicht zu rechnen, im Regierungsprogramm findet sich dazu nichts.

Und was sagt die Interessenvertretung der Bäuerinnen und Bauern? Eine Sprecherin der Landwirtschaftskammer Österreich antwortet auf profil-Anfrage knapp: Das Risiko von Pestiziden im Zusammenhang mit Parkinson sei bekannt. „In Österreich gibt es die Möglichkeit von Einzelfallprüfungen.“ Weitere Auskünfte solle man bei der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) einholen.

Steiniger Weg zur Anerkennung

Die SVS hat für profil nachgeschlagen, wie viele positive Einzelfallprüfungen es für Landwirte bereits gegeben hat. Vorgekommen ist das laut SVS-Auswertung noch nie. In der Antwort liefert die Versicherung der Selbständigen auch gleich eine mögliche Erklärung mit: „Die SVS müsste aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse (ein einfaches Sachverständigengutachten würde nicht ausreichen) feststellen, dass die Parkinsonerkrankung ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung der schädigenden Pestizide entstanden ist“, schreibt die SVS. Und: „Diese Feststellung würde zu ihrer Wirksamkeit außerdem der Zustimmung des zuständigen Bundesministers bedürfen.“ Und zwar in jedem Einzelfall. Ein steiniger Weg für Bäuerinnen und Bauern, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit Pestiziden hantiert haben und an Parkinson erkrankt sind.

In Deutschland lassen seit der Gesetzesänderung rund 8000 Bäuerinnen und Bauern prüfen, ob ihre Parkinson-Erkrankung auf den Einsatz mit Pestiziden zurückzuführen ist. Wie viele in Österreich betroffen sein könnten, lässt sich seriös nicht abschätzen. Am Prozedere, welchen Weg Betroffene im Fall der Fälle auf sich nehmen müssten, wird sich hierzulande aber nichts ändern. Aus dem Sozialministerium heißt es, dass man an der aktuellen Gesetzeslage festhalten möchte, eine Änderung sei in der türkis-rot-pinken Regierungszeit nicht geplant.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.